IT im Gesundheitswesen/ Neue Praxis-, Diagnose- und Operationstechniken

High-Tech-Medizin: Vom EKG-Schreiber bis zum Operationsroboter

05.02.1999
Virtuelle Endoskopie, Robotersteuerung vom Operationscockpit aus und Patienten-Teleüberwachung sind nur einige Themen im Spektrum der künftigen Medizintechnik. Über diese und andere Entwicklungstrends hat sich Johannes Kelch bei Forschern und Anbietern kundig gemacht.

Auf dem Gebiet der ärztlichen Diagnostik ist ein harter Wettbewerb um die schnellsten, besten, zuverlässigsten und preisgünstigsten Methoden und Geräte entbrannt. Ein normales Ultraschall-Gerät, früher der ganze Stolz des Internisten, gehört mittlerweile zum alten Eisen. Heute kommt in sämtlichen medizinischen Fachdisziplinen die Sonographie zum Einsatz.

Eines von vielen Beispielen für die vielfältigen Anwendungsbereiche ist die Ultraschall-Untersuchung der Schilddrüse. Bei der herkömmlichen Methode konnte sich der Arzt am Bildschirm nur ein ungenaues Bild verschaffen. Durch das ständige Bewegen des Schallkopfes war der Eindruck, der sich von der räumlichen Ausdehnung des untersuchten Organs und von eventuell vorhandenen krankhaften Veränderungen gewinnen ließ, sehr stark von der individuellen Interpretation des Arztes geprägt. Die Diagnose war also sehr subjektiv.

Weitaus objektiver und damit für Mediziner wie Patienten von enormen Vorteil ist die 3D-Sonografie, die derzeit an der Würzburger Universität in der Schilddrüsen-Diagnostik getestet und weiterentwickelt wird. Ein elektromagnetisches Sensorsystem, das am Schallkopf montiert ist, ermittelt laufend dessen exakte Position und leitet diese Daten, zusammen mit den digitalisierten Ultraschall-Bildern, an einen Computer weiter. Aus den Rohdaten erzeugt eine Spezialsoftware dreidimensionale Datensätze, die sich am Bildschirm darstellen lassen. Auf diese Weise entstehen neuartige "Organansichten", berichtet Christoph Reiners, Direktor am Institut für Nuklearmedizin.

Um die Schilddrüsen-Untersuchung weiter zu perfektionieren, erarbeiten die Würzburger Forscher derzeit ein Konturerkennungsprogramm, das die Umrisse der Schilddrüse automatisch oder halbautomatisch orten kann und eine exakte Volumenberechnung, die bislang nicht möglich war, erlauben soll.

Völlig neue Anwendungen der Ultraschall-Diagnostik eröffnet die Miniaturisierung der Schallköpfe. Das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) hat bereits Köpfe mit einem Durchmesser von weniger als einem halben Millimeter hergestellt. Nach Auskunft von Sven-Peter Heyn, Geschäftsführer des "Medics"-Projekts, das mit Unterstützung der EU die Implementierung der Mikrosystemtechnik betreibt, kann man mit den Miniatur-Ultraschall-Köpfen in Gefäße eindringen und dort etwaige Verkalkungen ausfindig machen und die Möglichkeit ihrer Beseitigung prüfen.

Weniger spektakulär, aber ebenfalls sehr wirkungsvoll sind Änderungen an traditionellen Geräten unter Nutzung neuester Standardtechnik. So hat das Münchner Medizintechnik-Unternehmen Custo Med seinen EKG-Schreiber mit einem handelsüblichen Tintenstrahldrucker kombiniert und damit das inzwischen unwirtschaftliche und umweltfeindliche Thermodruck-Verfahren abgelöst. Da die Ausdrucke auf Normalpapier erfolgen und sich deshalb, im Gegensatz zu den Prints auf Faxpapier, für die Langzeit-Archivierung eignen, entfällt in den Kliniken und Arztpraxen die bisher notwendige Kopierarbeit.

Ähnlich wie in der Sonographie ist auch in der Endoskopie nicht mehr von Fort-Schritt zu reden - das Bild des Fort-Eilens beschreibt die derzeitige Situation besser, in der Sensorsysteme(CCD-Chips) an der Spitze von Endoskopen mittlerweile zur Normalausstattung dieser Geräte gehören. Eine wichtige Neuerung ist das Laserscanverfahren für die endoskopische Diagnostik. Das Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie (ISIT) hat eine nminiaturisierten zweiachsigen Laserscanner (Ausmaße 8 x 4 x 6 Millimeter) entwickelt. An der Spitze des Endoskopen sind zwei etwa zwei bis drei Millimeter große Mikrospiegel befestigt, die sich in verschiedene Richtungen drehen lassen. Bei einer Auflösung von 1,5 Mikrometern lassen sich zum Beispiel tumoröse Gewebestrukturen weitaus zuverlässiger erkennen, als dies bislang möglich war.

Das Vordringen in Körperöffnungen und -hohlräume mit immer kleineren und sensibleren Systemen gilt jedoch längst nicht mehr als höchste Entwicklungsstufe der Endoskopie. Schon erobert die"virtuelle Endoskopie" die Universitätskliniken. Diese Technik soll die für einen Patienten oft sehr unangenehmen endoskopischen Untersuchungen immer weiter ersetzen und schließlich überflüssig machen.

Die virtuelle Endoskopie basiert auf der Auswertung von Daten der Computer- oder Kernspin-Tomografie. Ein Rechner erzeugt aus diesen Daten eine virtuelle Ansicht einzelner Organe. Von vordefinierten Blickpunkten aus kann sich der Arzt am Bildschirm mit einer interaktiven Steuerung durch das Organ "bewegen" und nach krankhaften Veränderungen suchen.

Technische Grundlage dieser Untersuchungsmethode ist die "Virtual Reality Modeling Language" (VRLM), ein Standard für interaktive 3D-Objekte. Errechnet werden die virtuellen 3D-Bilder menschlicher Organe von einem Computer mit sehr hoher Rechenleistung. Zur Visualisierung der aus Daten errechneten Objekte benötigt der Arzt für seinen Browser ein VRML-Plug-in.

An der Berliner Charité, der medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität, hat eine Arbeitsgruppe die virtuelle Endoskopie bei der Untersuchung von Patienten, bei denen Verdacht auf Dickdarmtumor besteht, klinisch getestet.

Alternativ kam die Methode "Tissue Transition Projection" (TTP)zur Anwendung, bei der aus den Daten der Computertomographie der Darm als durchsichtige Röhre dargestellt wird. Nach den bislang erzielten Ergebnissen haben sich beide Verfahren bewährt - dieÄrzte der Charité konnten in den klinischen Versuchen zahlreiche Tumore aufspüren.

Eine weitere High-Tech-Revolution zeichnet sich in der Operationstechnik ab. So wird gegenwärtig die bereits zum Standard gewordene "minimal-invasive Chirurgie" perfektioniert. Als besonders schonende und exakte Methode könnte sich das Operieren mit Hilfe eines Roboters durchsetzen - schon heute erledigen autonome Robotersysteme programmgesteuert einzelne Schritte im Verlauf einer Operation, beispielsweise das Fräsen eines Prothesenkanals bei Hüftgelenkoperationen.

Die Zukunft gehört jedoch nicht den autonomen, sondern den - vonÄ rzten - geführten Robotersystemen. Diese können, nach den Vorgaben eines Chirurgen, Sonden und Instrumente mit der Genauigkeit von 1000stel Millimetern ins Körperinnere führen.

Einen Prototypen hat das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) gemeinsam mit dem Neurochirurgen Volker Schmidt aus Wiesbaden entwickelt. Der Roboter mit dem Namen "OP 2015" wird von einem Arzt gesteuert, derin einem "Operationscockpit" vor einem großdimensionierten Bildschirm sitzt. Wie der angehende Pilot in einem Flugsimulator, arbeitet der Arzt mit einem Joystick. Der Sitz und die Bildschirmdarstellung folgen den Bewegungen des Chirurgen und erleichtern ihm so die räumliche Orientierung in der Anatomie des Patienten.

Implantate von außen ansteuerbar

Der Roboter vollzieht die für die Operation zu grobe Motorik des Arztes am Joystick en miniature als feinste Bewegungen nach. Dadurch wird ein bislang nicht erreichtes Maß an Genauigkeit ermöglicht. Der vom IPA vorgestellte Prototyp beruht auf der "Hexapod-Kinematik" das heißt sechs "Füße" erlauben durch verschiedenste Stellungen die genaue Positionierung des Endoskops.

Volker Schmidt ist überzeugt von der neuen, freilich noch nicht ausgereiften Operationstechnik: "Wollen wir den Schritt in eine exakte Chirurgie im Submillimeterbereich wagen, benötigen wir die Hilfe der Ingenieurwissenschaften."

Ein zukunftsträchtiger Schwerpunkt der Medizintechnik liegt derzeit in der Erforschung neuartiger Implantate und Prothesen. Der von außen durch die Haut programmierbare Herzschrittmacher im Metallgehäuse markiert längst noch nicht den ultimativen Stand derTechnik. Sven-Peter Heyn vom Medics-Projekt nennt als Beispiele miniaturisierte Implantate, mit denen sich Muskeln ansteuern und stimulieren lassen. Ein Gerät, das querschnittgelähmten Personen hilft, die 4 Schließmuskeln zu kontrollieren, ist bereits als Serienprodukt auf dem Markt. Die Ansteuerung dieses Implantats ist von außen drahtlos über Radiofrequenzen möglich. Dagegen ist das Ziel der Forschung, Querschnittgelähmte wieder zum Laufen zu bringen, für Heyn "technisch und medizinisch sehr anspruchsvoll". Eine Muskelsteuerung, die ein "stand up and walk" ermöglichen könnte, ist noch immer pure Vision.

Langfristige Anstrengungen erfordert nach Auskunft von Heyn auch die künstliche Stimulation der Netzhaut erblindeter Menschen. Idee der Forscher ist es, die gestörte Umwandlung von Licht in elektrische Reize mit sehr kleinen Elektroden wieder in Gang zusetzen. Die technische Entwickung und die Experimente mit Tieren sind noch nicht abgeschlossen; mit verwertbaren Erkenntnissen oder gar vermarktbaren Produkten ist, so Heyn, in frühestens zehn bis 20 Jahren zu rechnen.

Zu den gängigen Implantaten zählen dagegen heute schon Mikrodosiersysteme, die kontinuierlich kleinste Mengen eines Medikaments abgeben. An einer Verbesserung der implantierbaren Pumpen wird intensiv gearbeitet. So beteiligt sich das ISIT unter anderem an der Entwicklung eines Implantats, das programmiert von außen, je nach Therapiefortschritt, unterschiedliche Mengen eines Medikaments abgeben kann.

Raffiniertere Verfahren zeichnen sich in der Steuerung von Prothesen ab, erklärt Heyn. Während es mittlerweile bereits Stand der Technik ist, die elektrischen Impulse aus Oberarmmuskeln auszuwerten, um künstliche Hände zu bewegen, will man nun das weitaus schwierigere Abgreifen von Signalen aus Nervenbündeln in den Griff bekommen und damit die feinmotorische Steuerung der Prothesen optimieren.

Eine große Zukunft zeichnet sich für die Telemedizin in der Patientenüberwachung und -nachsorge ab. Verkürzte Aufenthalte in Kliniken und Rehabilitationszentren senken deutlich Kosten. Aus diesem Grund geht man immer stärker dazu über, mit Hilfe der Telekommunikation bestimmte Langzeitbehandlungen sowie die Überwachung kritischer Zustände in die häusliche Umgebung des Patienten zu verlagern.

Siemens erwartet in diesem Bereich einen Multimilliarden-Markt und strebt in den USA die Marktführerschaft an. Alex Stein, Marketingleiter bei Siemens Medical Systems, glaubt, daß bis zur Hälfte der heute durch häusliche Pflege versorgten Menschen - inden USA rund neun Millionen - "zukünftig in die Telemedizinversorgung übernommen werden können". Auch in der Bundesrepublik sind die ersten Forschungsprojekte angelaufen.

Telemedizin "im Abklingen"

Doch schon melden sich die Skeptiker zu Wort. Peter Müller, Geschäftsführer des Münchner Medizintechnik-Unternehmens Müller &Sebastiani, argumentiert, die Apparaturen, die den Patienten zu Hause überwachen, gingen am Patienten vorbei. So könnten die Geräte, die selbständig telefonieren, um im Notfall einen Arzt zurufen, die Angst eines Herzkranken vor einem Infarkt schüren, anstatt sie zu vermindern. Müller sieht auch Anzeichen dafür, daßin den USA die Tendenz zur Telemedizin "im Abklingen" sei. Abgesehen von ungelösten datenschutzrechtlichen Problemen könne sich kein Arzt darauf verlassen, daß die übertragenen medizinischen Daten auch wirklich "stimmen", das heißt, ein zutreffendes Bild vom Zustand des Patienten zeichen. Es bestehe immer die Gefahr eines Schadenersatz-Prozesses.

Angeklickt

Die Schere zwischen technischer Machbarkeit und finanziellen Möglichkeiten in der Medizin öffnet sich weiter. Einerseits läßt der medizintechnische Fortschritt die Menschen immer älter werden und Beschwerden leichter ertragen, andererseits führen die immer raffinierteren Verfahren und intelligenteren Geräte zu einem enormen Kostenanstieg im Gesundheitswesen. Dennoch dürften diese fortgeschrittenen Technologien mittelfristig ihren Markt haben:3D-Sonografie, Laserscanverfahren für die Endoskopie, virtuelle Endoskopie, Kernspin-Tomographie mit Virtual Reality Modeling Language (VRML), Hexapod-Kinematik für das Operationscockpit, Mikrodosiersysteme und Telemedizin lassen sich aus der Medizintechnik von morgen nicht mehr wegdenken.

Johannes Kelch ist freier Journalist in München.