Datenbank-Systeme - das ewige Streitobjekt

Hierarchisten versus Relationisten

03.09.1976

Kaum ein anderes Gebiet der Datenverarbeitung ist so vom Streit zwischen Anhängern unterschiedlicher Ideologien gekennzeichnet wie das der Datenbank-Systeme.

Waren es früher mehr die Techniker, die sich in den Haaren lagen: auf der einen Seite die Befürworter der Adress-Verkettung, im anderen Lager die Verfechter des Inverted-File-Verfahrens, so hat sich in den letzten Monaten der Disput mehr auf eine allgemeine theoretische Ebene verlagert. Heute

heißt es "Hierarchisten" gegen "Relationisten", d. h. auf der einen Seite der Matte stehen die Anhänger des CODASYL-Normenvorschlages, auf der anderen -die Gefolgschaft des Coddschen Relationenmodells. Nun gibt es zwar die bekannte Weisheit von dem lachenden Dritten, doch ist am DV-Horizont bisher kein Streifen eines Weisen zu entdecken, der nun die vollkommene Lösung der anstehenden Probleme aufzeigt. Pragmatischer Ansatz: die unbestreitbaren Vorteile beider Modelle miteinander vereinen.

Der CODASYL-Vorschlag, als Normen-Entwurf von vielen Herstellern aufgegriffen, und damit ein Hoffnungsschimmer für viele von Kompatibilitätsängsten geplagte Anwender, konnte sich bisher nicht recht durchsetzen. Drei wesentliche Gründe hierfür sind zu nennen:

1. Der Marktführer, dessen erfolgreiches, wenn auch oft geschmähtes DB-System eine Art Untermenge zu CODASYL darstellt, konnte sich bisher erfolgreich gegen die Vereinheitlichung wehren.

2. Die Struktur-Vielfalt und der dazu notwendige Sprach-Umfang verlangt vom Anwender höhere Qualifikationen und bietet zusätzliche Fehlermöglichkeiten, was manchen Benutzer dazu veranlaßt, vereinfachende Schnittstellen-Routinen vorzuschreiben, wodurch das Spektrum der System-Varianten natürlich wieder eingeschränkt wird.

3. Der CODASYL-Vorschlag hat wie alle strukturbildenden DB-Systeme, die auf dem Prinzip der Adress-Verkettung beruhen, den Nachteil, daß einmal definierte Strukturen nur mit sehr großem Aufwand nachträglich abgeändert werden können. Meistens bedeutet dies auch eine Programmänderung.

Das Coddsche Relationen-Modell andererseits sieht nur den logischen Aspekt. Eine Beziehung zwischen zwei oder mehreren Elementen einer Datenbank (Relation) ist eine temporäre Definition, die sich jederzeit in eine andere umwandeln läßt. Gegen den kurzfristigen Erfolg dieses Modells sprechen zwei Argumente:

1. Die Mehrzahl der heutigen DV-Anwendungen, besonders die batchorientierten, benötigen gar nicht den sehr allgemeinen Ansatz dieses Modells und sind mit relativ einfachen Strukturen "zufrieden".

2. Über die technische Realisierung wird im Gegensatz zum CODASYL-Vorschlag bisher recht wenig ausgesagt. Zur Zeit gibt es keinen anderen Lösungsansatz als den der Inverted-File-Technik.

Trotzdem muß anerkannt werden, daß dem Relationen-Modell - vielleicht in Varianten - vor allem in Einklang mit fortschreitender Hardware-Technologie die Zukunft gehören wird.

Bleibt zum Abschluß die Frage nach dem pragmatischen Ansatz. In letzter Zeit wurden DB-Systeme angekündigt, von denen behauptet wird, sie würden beide Modelle in sich vereinigen. Da man weiß, daß z. B. die Erweiterung von CODASYL- oder ähnlichen Systemen um den Komfort der Invertierung einen erheblichen Zusatzaufwand der Systemunterstützung bedeutet, darf man gespannt sein, wie hier die technische Realisierung aussieht.

Dr. Karl-Heinz Hopf, Prokurist und Distriktleiter Berlin/Niedersachsen bei der GMO Gesellschaft für moderne Organisationsverfahren mbH & Co KG, Hamburg, in "Newsware", dem GMO-Informationsdienst für die EDV-Branche vom 25. Mai 1976.