Studieren am Hasso-Plattner-Institut

Hier lebt die Vision des Großen

15.03.2002
100 Millionen Mark stiftete SAP-Vorstandschef Hasso Plattner aus seinem Privatvermögen, um das nach ihm benannte Institut für Softwaresystemtechnik ins Leben zu rufen. Mittlerweile hat der dritte Jahrgang in Potsdam sein Studium aufgenommen. CW-Bericht, Alexandra Mesmer

Berlin, acht Uhr morgens: Kühle, erfrischende Luft dringt in die Lungen der Jogger, die Autofahrer summen zur Musik aus dem Radio, das nur noch Hits spielt und keine Staus mehr meldet. Die grüne Welle läuft - dank der neuen softwaregestützten Ampelsteuerung. Soweit der Traum von Konrad Hübner. Der 21-Jährige, der im dritten Semester am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam studiert, hat eine große Vision und ist damit nicht allein, denn am HPI begegnet man der Vision des Großen auf Schritt und Tritt.

Der Campus ist eine Parklandschaft mit einer Fläche von 30 000 Quadratmetern. Das Studium ist darauf ausgerichtet, große Softwaresysteme zu verstehen, sie trotz ihrer Komplexität verständlich darzustellen und sie planen zu können. Größe zu begreifen als erster Schritt, um später als Führungskraft Großes bewegen zu können?

Für Professor Siegfried Wendt, Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) und zuvor Ordinarius für Digitale Systeme und Datenverarbeitung an der Universität Kaiserslautern, hat der Anspruch, eine Elite auszubilden, keinen negativen Beigeschmack: "Unser Ziel ist es, nicht nur Teamleiter für sechs Leute, sondern auch Entwicklungsleiter mit einer Verantwortung für 3000 Mitarbeiter und mehr heranzuziehen. Ein Softwaresystem-Ingenieur soll große Gruppen von Experten führen, komplexe Teilaufgaben zerlegen und sie auch an kleinere Gruppen delegieren können." Dafür seien vor allem ein überdurchschnittliches Abstraktionsvermögen und eine ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit notwendig.

Eine Frage der KommunikationLetztere können Studenten schon vor ihrem ersten Semester am HPI unter Beweis stellen und sich so das Entree am Institut sichern: Jeder Bewerber muss in einem kleinen Aufsatz begründen, warum er ausgerechnet hier studieren möchte. "Für manche stellt das schon eine gewisse Hürde dar. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Studenten, die sich bewusst für das HPI entschieden haben, die Besten sind", erzählt Wendt. 40 Prozent der jährlich etwa 80 Studienplätze werden zudem über die Abiturnote vergeben. Für die Auswahl zählen aber nur die Zensuren in Mathematik (50 Prozent), Deutsch und Englisch (jeweils 25 Prozent). Zugleich bietet das Institut Gespräche an, in denen sich die Interessenten über den neuen Studiengang ausführlich informieren können.

Programmierkenntnisse sind dagegen keine Voraussetzung, eher im Gegenteil. "Dem begeisterten Entwickler muss ich erst klar machen, dass Algorithmen zwar wichtig sind, aber nie unser Denken bestimmen dürfen. Der Flugzeugingenieur richtet sein Denken auch nicht an einer einzelnen Schraube aus. An erster Stelle muss immer das Bild, die Komposition stehen", sagt Wendt. Er kämpft dafür, Tugenden, die in den Ingenieurwissenschaften selbstverständlich sind, auch in der IT-Welt zu etablieren. So spricht er in Vorlesungen immer über Kommunikation und Didaktik und schärft den Studenten ein, dass sie Softwareprogramme nicht für sich allein schreiben, sondern ihre Mitmenschen miteinzubeziehen haben.

Darum müssen die HPI-Studenten Software erst lesen und erkennen lernen, was ein gutes Programm ausmacht, bevor sie selbst entwickeln. Im Mittelpunkt der Ausbildung stehen die übergeordneten Konstruktionspläne für Softwaresysteme, die einheitlich und jederzeit nachvollziehbar sind. Die Modellierung steht im Unterschied zum klassischen Informatikstudium schon in den ersten Semestern auf dem Stundenplan. In Vorlesungen lernen die Studenten Darstellungstechniken wie die Petri-Netze kennen, in Projektgruppen versuchen sie sich an der Modellierung eines so komplexen Systems wie dem Apache Webserver.

Der inhaltliche Anspruch ist hoch, der Zeitaufwand groß. Hübner und seine Kommilitonin Tina Richter investieren durchschnittlich 60 Stunden in der Woche für das Studium. "Jedes Fach schließt mit einer Klausur ab, manchmal sind es sogar zwei", erzählt die 24-Jährige, die zur ersten Generation der HPI-Studenten und zu den insgesamt zwölf Frauen am Institut gehört. Damals hat sie sich spontan für das Studium am HPI entschieden, obwohl sie noch "keine konkreten Vorstellungen" hatte. Ein Auslandspraktikum in Bratislava hat Richter aber bestätigt, wie richtig ihre Entscheidung war und wie wichtig der Durchblick bei Softwaresystemen ist: So musste die Firma in Bratislava ihr Softwareprogramm nach 15 Jahren wegwerfen, nachdem es etliche Male erweitert wurde und keiner mehr den Überblick hatte.

Am HPI finden die Studenten ideale Rahmenbedingungen vor, seit das Institut in den im Herbst 2001 fertig gestellten Neubau nahe des Potsdamer Griebnitzsees zog: Die Hörsäle sind dank einer Glasfront lichtdurchflutet, die Übungsräume mit insgesamt 90 modernen Rechnern inklusive Flachbildschirmen gut bestückt, die Stühle bequem gepolstert und die Bibliothek der Universität Potsdam nur fünf Schritte entfernt. Gedacht haben die Planer auch an Rückzugsorte wie einen geschützten Lesehof sowie Begegnungsstätten für Studenten und Dozenten: Unmittelbar in der Nähe der Arbeitszimmer der Hochschullehrer finden sich Teeküchen und kleine Sitzgruppen, an denen sie sich mit ihren Studenten zusammensetzen können.

Dass der Dialog zwischen Lehrer und Schüler funktioniert, hat nach Ansicht von Lars Schmidt-Bielicke nicht nur mit äußerlichen Rahmenbedingungen zu tun: "Da es ein neuer Studiengang ist, wird auch flexibel reagiert. Wir Studenten werden ernst genommen, wenn wir in den Vorlesungen zum Beispiel einen stärkeren Praxisbezug fordern", erzählt der 21-jährige Student. Sogar am Freitagnachmittag könne man noch mit Problemen zu den Dozenten kommen, denen bewusst ist, dass auch sie von ihren Schülern etwas lernen können.

Wissen um komplexe SystemeEin Idealzustand, von dem andere Hochschulen nur träumen können? "Auch hier gibt es trockene Vorlesungen und schwierige Prüfungen", gibt Schmidt-Bielicke zu. Auch Institutsleiter Wendt sieht noch Verbesserungspotenzial. So muss er sich noch mit dem brandenburgischen Wissenschaftsministerium auseinandersetzen, dass dieses auch offiziell den Master-Abschluss des HPI als gleichwertig mit dem Ingenieurdiplom anerkennt.

Zudem räumt Wendt mit Blick auf den IT-Arbeitsmarkt ein, dass die künftigen HPI-Absolventen nicht unmittelbar nach ihrem Studium als Führungskräfte starten oder große Softwaresysteme planen können. Vielmehr werden auch sie wie ihre Kommilitonen von der klassischen Informatik zunächst als Programmierer einsteigen müssen. Der Professor erklärt das so: "Im Gegensatz zu anderen Ingenieurdisziplinen haben wir in der Welt der Software nicht die Art der Arbeitsteilung, die für den frischgebackenen Ingenieur Aufgaben hätte, für die er seine akademische Ausbildung bräuchte. Er arbeitet anfangs als Programmierer und damit als Techniker. Eine Tätigkeit, die auch umgeschulte Germanisten oder Psychologen ausführen können."

Große Aufgaben sinnvoll zerlegenWendt ist aber davon überzeugt, dass seine Master-Absolventen mit dem Wissen um die großen Systeme im Hinterkopf so gute Programmierarbeit leisten werden, dass sie sich nach einigen Jahren für die nächste Karrierestufe empfehlen. Zum Gruppenleiter aufgestiegen, seien dann ihr Abstraktionsvermögen sowie ihre Kommunikationsfähigkeit gefragt. "Die Führungskräfte müssen nicht nur ihren Mitarbeitern vermitteln, was sie zu tun haben, um eine große Aufgabe sinnvoll zu zerlegen, sondern auch mit den Vorgesetzten die eigentliche Aufgabe abstecken."

Bis also Konrad Hübner seine Vision einer perfekten Ampelsteuerung entwickeln und dem Berliner Bürgermeister darlegen kann, werden die Hauptstadtbewohner noch einige weitere Jahre mit stickiger Luft und Staus am Morgen leben müssen.

"Keine Ausbildungsstätte für die SAP"Das 1999 gegründete Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam bildet Ingenieure der Softwaresystemtechnik aus. Obwohl SAP-Vorstandschef Plattner mit 100 Millionen Mark das Institut finanziert und zusätzlich 24 Millionen in den Neubau am Grienitzsee investierte, sieht sich das HPI nicht als Ausbildungsstätte für die Firma SAP. "Die SAP-Software ist nur eines unter vielen Systemen, mit denen wir uns befassen", erklärt Institutschef Siegfried Wendt. Wichtige Themen sind auch Computergrafiksysteme, Filmkontruktionssoftware oder Qualitäts-Management von softwarebasierenden technischen Anwendungen. Das siebensemestrige Bachelor-Studium, das laut Wendt einem Abschluss an der Fachhochschule entspricht, ist grundsätzlich kostenfrei. Daran kann man ein dreisemestriges Master-Studium anschließen, das sich vor allem mit der Gestaltung von Arbeitsteilung befasst und auf einer spätere Management-Aufgabe vorbereiten soll. Der Master-Grad entspricht dem Diplomingenieur. Wer einen Bachelor-Abschluss mit Note Zwei oder besser hat, wird von den formal auf etwa 10000 Euro festgesetzten Gebühren für das Master-Studium befreit. Sowohl das Bachelor- als auch das Master-Studium beinhaltet eine Projektarbeit, die sich über sechs Monate erstreckt. Das HPI kooperiert eng mit der Universität Potsdam, an der die HPI-Studenten auch eingeschrieben sind. Für das Wintersemester 2002/03 kann man sich noch bis zum 15. Juli anmelden. Informationen gibt es im Internet unter www.hpi.uni-potsdam.de.