Web

HEUTE vor 12 Jahren: Microsoft startet mit Windows 95 durch

24.08.2007
Am 24. August 1995 läutete Microsoft mit Windows 95 das Ende vom kommandozeilenbasierten DOS ein. Das virtuelle Herzstück des PCs – das Betriebssystem- wurde erstmals ausschließlich über eine grafische Oberfläche gesteuert. Die COMPUTERWOCHE berichtete damals in einem siebenseitigen Heft-Special und beleuchtete unter anderem die Neuerungen des Redmonder Aushängeschilds, das eine neue Betriebssystem-Ära einleitete:

Tuning abgeschlossen: Microsoft hat Windows nicht neu erfunden, sondern nur verbessert

Beim Blick unter die Haube von Windows 95 trifft man neben vielem Altbekannten einige neü Komponenten. Der Umstieg von Windows 3.1 bringt einige Änderungen mit sich, da der sichtbare Teil des Betriebssystems relativ stark verändert worden ist.

Die wesentliche Neuerung von Microsofts jüngster Windows-Variante zeigt sich sofort nach dem Einschalten des PCs: Windows 95 startet, ohne dass die Eingabeaufforderung "C:>" am Bildschirm erscheint. Die alten Startdateien ("autoexec.bat" und "config.sys") werden aber - so vorhanden - trotzdem wie bisher ausgeführt. Damit ist laut Microsoft sichergestellt, dass alle Hilfsprogramme (Treiber), die für Spezialhardware nötig sind, geladen werden.

Für die gängige PC-Hardware kann man bei Windows 95 allerdings auf eigene Treiber verzichten, da Microsoft eine reiche Auswahl dieser Hilfsprogramme standardmäßig mitliefert - einige sind sogar schon im 32-Bit-Format programmiert, was eine höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit gewährleisten soll.

Die Installation von Windows 95 kann zentral von einem Server gestartet werden, der zeitraubende Weg zu den einzelnen PCs innerhalb eines Unternehmens gehört der Vergangenheit an. Wo aber Windows 95 parallel zu OS/2 Warp oder Windows 3.x installiert werden soll, ist Handarbeit angesagt - die Standardinstallation von Windows 95 bewirkt, dass sich keines der beiden anderen Betriebssysteme mehr nutzen lässt.

Programme werden unter Windows 95 über die gewohnten, allerdings anders angeordneten Symbole aufgerufen. Windows 95 macht Schluss mit der Zwangsjacke für die Namen der Dateien: Statt acht Zeichen vor und drei nach dem Punkt lassen sich jetzt Namen mit bis zu 255 Zeichen eingeben, die auch Leer- und Sonderzeichen enthalten dürfen. So recht ausleben kann man diese neue Freiheit aber nicht: Nur die künftigen 32-Bit-Programme kommen mit den langen Dateinamen zurecht, außerdem irritiert die Anpassung der neuen Namen an die alten Gepflogenheiten manchen Anwender. Denn auf der Festplatte werden die Dateien nach wie vor mit den Acht-Punkt- Drei-Namen gespeichert, da das VFAT-Dateisystem (VFAT = Virtual File Allocation Table) von Windows 95 dem FAT-Vorgänger von DOS sehr ähnelt.

Nicholas Petreley von der CW-Schwesterpublikation "Infoworld" erläutert eines der damit verbundenen Probleme: "Nehmen wir an, Joe erhält per E-Mail ein Dokument, das mit dem Textverarbeitungssystem Describe geschrieben wurde. Joe gibt dieser Datei den Namen info.doc. Windows 95 prüft nun die Endung dieses Dateinamens und erkennt anhand der letzten drei Buchstaben, dass es sich um ein Word-Dokument handelt. Diese Zuordnung geschieht automatisch und lässt sich vom Anwender nicht steuern. Es gibt kein Hilfsprogramm, mit dem man diese Endung wieder verändern könnte. Damit Windows 95 die Datei korrekt als Describe-Dokument erkennt, muss ein DOS-Fenster geöffnet und die Datei mit dem Befehl rename umbenannt werden."

Der tägliche Absturz ist nicht mehr gewährleistet

Windows 95 wurde trotz solcher Mängel vor allem in zwei Punkten im Vergleich zum Vorgänger verbessert: Laut Microsoft gehört der gefürchtete tägliche Absturz des Betriebssystems ebenso der Vergangenheit an wie die Meldungen über Speichermangel. Unter Windows 3.x können normalerweise drei bis fünf Programme gleichzeitig in den Speicher geladen werden, unter Windows 95 steigt diese Zahl auf sechs bis zwölf.

Die Zahl der Applikationen ist jedoch noch immer eng beschränkt, weil für jedes laufende Programm ein Speicherbereich (Program Segment Prefix) im unteren Bereich des Arbeitsspeichers (bis zur Grenze von 640 KB) reserviert werden muss, schreibt der Windows- Guru Andrew Schulman in "Unauthorized Windows 95". Die heute erhältlichen 16-Bit-Programme können außerdem wie bisher Speicher blockieren, ohne ihn bei Programmende wieder an das Betriebssystem freizugeben. Erst wenn kein 16-Bit-Programm mehr genutzt wird, kann Windows 95 diese Überreste beseitigen.

Mit mehreren Schutzmechanismen will Microsoft Windows 95 absturzsicherer als Windows 3.x machen, doch noch immer sind große Teile des Arbeitsspeichers für alle Programme zugänglich, so dass ein Fehler in einer Anwendung das ganze Software-Kartenhaus zum Einsturz bringen kann. Ein Beispiel: Windows 95 verwaltet intern einen 4 GB großen Speicher, der in mehrere Segmente eingeteilt und auf die tatsächlich vorhandenen 4 oder 8 MB Arbeitsspeicher umgesetzt wird. Innerhalb des 4 GB großen "linearen" Speichers gibt es ein fast 1 GB großes Segment, in dem alle 32-Bit- Applikationen Daten ablegen dürfen. Genau dort speichert Windows 95 selbst aber auch Daten über geöffnete Fenster und die laufenden Programme. Wenn ein 32-Bit-Programm fälschlicherweise diese Daten überschreibt, stürzt Windows 95 unweigerlich ab.

Besonders gefährdet, weil ungeschützt, ist auch die Interrupt- Vektortabelle, die im unteren Teil des Arbeitsspeichers abgelegt wird. Diese Tabelle gibt an, welche Befehle nach einer Unterbrechung ausgeführt werden sollen. Beispielsweise wird nach einem Uhr-Interrupt die Uhr auf dem Bildschirm um eine Sekunde vorgestellt.

Allen Versprechen zum Trotz können auch unter Windows 95 nur wenige Programme parallel genutzt werden. Die CW- Schwesterpublikation "Computerworld" versuchte eine Diskette zu formatieren, während gleichzeitig ein umfangreiches Wordperfect- Dokument gedruckt wurde, eine Installation von "Microsoft Office" lief und in einem DOS-Textverarbeitungsprogramm geschrieben wurde. Diese Belastung habe dazu geführt, dass die gedruckten Seiten unleserlich wurden und das Installationsprogramm von Office abstürzte.

Erstmalige Unterstützung von Multi-Threading

Der von Microsoft versprochenen Zeitscheibenmechanismus auf Basis einzelner Aufgaben (Preemptive Multitasking und Multithreading) wird erst mit den kommenden 32-Bit-Applikationen wirksam. Nur mit ihnen lassen sich verschiedene Aufgaben (Threads) parallel bearbeiten (beispielsweise Drucken im Hintergrund), alle heute erhältlichen 16-Bit-Programme können den Prozessor belegen, ohne dass Windows 95 dies unterbrechen könnte.

Ein einziges 16-Bit-Programm, das mit einer langwierigen Berechnung beschäftigt ist, kann den Rechner wie bisher lahmlegen, weil alle Applikationen auf Teile von Windows 95 zugreifen, die mehr oder direkt von Windows 3.x übernommen worden sind. Konkret: Wenn eine heute erhältliche Software auf die Speichersegmente "Graphical Device Interface" (GDI) oder "User" zugreift, kann kein anderes Programm mit diesen Bereichen arbeiten. Der Rechner steht...

Walter Mehl