Hetzjagd auf Freier

16.08.2005
Pranger waren im Mittelalter und der frühen Neuzeit eine wenig feinfühlige Art, Mitmenschen wegen vielfältiger Verfehlungen dem Hohn und Spott der Öffentlichkeit preiszugeben. Glückliche deutsche Lande: Die Paulskirchenverfassung des Deutschen Reiches hatte schon am 28. März 1849 die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung abgeschafft.

In den USA wird das anders gesehen, und die Stadt Chicago geht hier neue Wege. Sie stellt im Internet mutmaßliche Kunden von Prostituierten mit Bild, Alters- und Geschlechtsangabe sowie der genauen Wohnanschrift aus. Ob sie sich wirklich eines Vergehens schuldig gemacht haben, ist zum Zeitpunkt der öffentlichen Diskreditierung überhaupt noch nicht erwiesen. Auf diese juristische Lappalie wird prophylaktisch mit dem rechtsbelehrenden Lendenschurz hingewiesen, diese Personen seien vermutlich unschuldig ("presumed innocent"). Interessanterweise hat der englische Begriff "presume" die Doppelbedeutung vermuten und anmaßen. Spätestens 30 Tage nach der Festnahme werden, so eine weitere Information, alle Fotos und privaten Angaben von der Homepage gelöscht. In Deutschland gibt es ein treffendes Wort für solche Art der Exekutive: Hetzjagd.

Solch ein Verfahren ließe sich allerdings demokratisieren, indem man es auf alle Bürger gleich anwendet. Hierzu müsste man nur sämtliche mutmaßlichen Verfehlungen - egal ob bewiesen oder nicht - von Politikern, Unternehmensführern, Verbandsvertretern, Sportlern, Kulturschaffenden, von Ihnen und mir in einer öffentlich zugänglichen Datenbank präsentieren. Über die thematische Ordnung solch eines Schandpools kann man noch diskutieren. Solch ein öffentliches Exekutionsportal würde unglaubliche Klickraten erzeugen. Worauf warten wir eigentlich noch?