Künstliche Intelligenz und die Datenkraken im Web

Herzlich Willkommen im Hotel California der Artificial Intelligence

01.05.2017
Von 


René Büst ist Research Director in Gartners Managed Business and Technology Services Team mit Hauptfokus auf Infrastructure Services & Digital Operations. Er analysiert Entwicklungen im Bereich Cloud Computing (Anbieter von Managed Cloud-Services und Public Cloud sowie Cloud-Strategien wie IaaS, PaaS und Multicloud), digitale Infrastrukturen und Managed Services sowie den Einfluss der digitalen Transformation auf die IT. Seit Mitte der 90er Jahre konzentriert sich Herr Büst auf den strategischen Einsatz der IT in Unternehmen und setzt sich mit deren Einfluss auf unsere Gesellschaft sowie disruptiven Technologien auseinander.
Im Jahr 1977 haben die Eagles "Hotel California" veröffentlicht. Einen Song über Drogen und die Auswirkungen einer Abhängigkeit auf Menschen. Setzen wir die Textpassage "We are all just prisoners here, of our own device" in den Kontext unseres heutigen digitalen Lebensstils, finden wir darin jede Menge Wahrheit.

Es gibt gute Gründe, warum uns Google den Großteil seiner Dienste kostenlos zur Verfügung stellt, oder warum Amazon will, dass jeder von uns ein Echo zu Hause hat, oder warum Facebook zum Verzeichnis unserer "Freunde" geworden ist. Was im ersten Moment sehr praktisch erscheinen mag, ist auch eine Gefahr - für die Endverbraucher ebenso wie für etablierte Unternehmen der Old Economy. Und auch wenn wir auschecken können, wann immer wir wollen - wir werden niemals gehen.

Ähnlich wie im Eagles-Song "Hotel California" gilt auch bei Google, Amazon und Co: Sie können auschecken, aber niemals wirklich gehen.
Ähnlich wie im Eagles-Song "Hotel California" gilt auch bei Google, Amazon und Co: Sie können auschecken, aber niemals wirklich gehen.
Foto: J.D.S - shutterstock.com

Das Festmahl der Datenkraken

Nach nunmehr zwei Dekaden sammeln die Internetgiganten Amazon, Google, Facebook, Alibaba und Baidu weiterhin Tonnen an Daten, um ihre Datenbanken mit Informationen von jedermanns Wissen, Meinungen, Empfehlungen, Aufenthaltsorten, Bewegungen, Kaufverhalten, Beziehungsstatus, Lebensstil und mehr zu befüllen. Das ist kein Geheimnis und neu ist dieser Zustand schon gar nicht. Zudem ist auch kein Ende in Sicht: Fast jeden Monat erscheinen neue Dienste oder Endgeräte, um für ein besseres Nutzererlebnis zu sorgen, unser Leben bequemer zu machen und unsere digitale Abhängigkeit zu erhöhen.

Hotel California der Artificial Intelligence nach Service-Angeboten.
Hotel California der Artificial Intelligence nach Service-Angeboten.
Foto: arago GmbH, 2017

Amazon, Google, Facebook und Co. sind in unserem Leben allgegenwärtig geworden. Und Dank des Internet of Things wird die Lücke zwischen unserem analogen und digitalen Leben ständig kleiner. Nachdem die Internet Giganten eine gewaltige Menge an Diensten bereitgestellt haben, um uns an den Web-Haken beziehungsweise den Endgeräte-Haken - anhand von Smartphones und Tablets - zu bekommen, machen sie es sich nun in unserem Zuhause bequem.

Smart-Home-Lösungen wie Nest, Tado oder Netatmo sind nur der Anfang einer neue Klasse von Geräten. Diese werden zu Augen in unseren privaten Umgebungen, die zuvor nicht mit dem Internet verbunden waren und auf diesem Weg in die Greifarme von Google & Co gelangen. Intelligente private Assistenten wie Amazon Echo oder Google Home sind der nächste Evolutionsschritt. Sie lassen sich einsetzen, um Smart-Home-Lösungen zu steuern oder unser Leben einfacher zu machen, indem wir unsere Stimme nutzen. Kleine Randbemerkung: Wir sollten das Wort "intelligent" in diesem Zusammenhang mit Vorsicht verwenden, da es sich bei den Kommandos über vordefinierte Skripte handelt.

Immerhin bringt uns diese technologische Entwicklung eine wichtige Erkenntnis: Amazon, Google & Co finden neue Wege, um uns über andere Kanäle an sich zu binden. Sie sammeln Daten und Informationen, die sie benötigen, um bessere Entscheidungen zu treffen und uns bessere Antworten zu liefern. Die Absicht dahinter ist klar: Jeder von uns wird schlichtweg dafür genutzt, um die Artificial-Intelligence-Systeme auf einer täglichen Basis zu trainieren. Das bedeutet, dass alle Services, die Google & Co. ihren Kunden anbieten, letztlich dazu dienen, eine Landkarte der Welt zu zeichnen, die auf den gesammelten Daten basiert.

Endverbraucher im Hamsterrad

Endverbraucher können sich im Grunde genommen nicht beschweren. Getreu dem Motto "Quid pro quo", stellen insbesondere Google und Facebook ihre Dienste kostenlos zur Verfügung und nehmen dafür Daten als Gegenleistung. Hierbei spielt ihnen die digitale Sucht perfekt in die Karten. Endverbraucher haben in das "Hotel California" eingecheckt. Und auch wenn sie jederzeit wieder auschecken können, stellt sich die Frage, wollen sie gehen?

Die tragische Antwort auf diese Frage ist nein. Befindet man sich erst einmal in dieser Spirale, ist es sehr schwierig oder gar unmöglich sie zu verlassen. Der Grund besteht darin, dass alles digitalisiert wird. Unsere Gesellschaft wird an einen Punkt gelangen, an dem nichts mehr ohne digitale Dienste funktionieren wird. Man könnte auch sagen, dass eine Person, die digital nicht existiert, überhaupt nicht mehr existiert. Und indem das Nutzererlebnis ständig angenehmer wird, muss niemand mehr ein Technologie-Experte sein. Dies macht das Stolpern in die "Hotel-California"-Falle nur noch schlimmer. Denn die Mehrheit unserer Gesellschaft weiß überhaupt nicht, wie welche Dinge miteinander verknüpft sind und was technologisch im Hintergrund vor sich geht: Komfort im Hamsterrad.

Unterm Strich liefert das Hamsterrad alle unsere Daten, die die Grundlage für den Erfolg von Google & Co. bilden und als Waffen gegen die renommierten Unternehmen eingesetzt werden.

Angriff auf die Old Economy

Der sarkastische Teil dieser Geschichte besteht darin, dass jeder von uns die Internetriesen bei ihrem Kampf gegen die Old Economy unterstützt, sogar die Old Economy selbst. Die etablierten Unternehmen sind schließlich ebenfalls Kunden der Internetkonzerne, wenn auch aus guten Grund: In den meisten Fällen ergibt es keinen Sinn mehr, eine eigene IT-Infrastruktur oder Dienste in eigenen Umgebungen zu betreiben. Oder es ist einfach zu teuer, innovative Dienste selbst zu entwickeln, die bereits von Amazon, Google & Co. entwickelt wurden. Allerdings befinden sich die alteingesessenen Unternehmen in einem Teufelskreis. Denn auch wenn sie weiterhin die Besitzer ihre Daten sind - aus einer rechtlichen Perspektive - bedeutet dies nicht, dass sie der exklusive Besitzer des Wissens sind, welches aus diesen Daten entsteht.

Daten und Erkenntnisse aus Daten sind die Grundlage, auf der die Internetgiganten Teile ihres Geschäfts aufgebaut haben. Sie arbeiten mit Daten und monetisieren diese. Allerdings handelt es sich dabei nur um einen Teil ihrer großen Maschinerie. Dieser aber gibt ihnen die Macht, quasi jedes funktionierende Geschäftsmodell der Old Economy anzugreifen. Amazon ist nur ein Beispiel von vielen. Der Konzern hat bereits damit begonnen, die Zwischenhändler in der eigenen Lieferkette aus dem Weg zu räumen. Wir können sicher sein, dass Unternehmen wie DHL, UPS oder FedEx in Zukunft ihre Geschäfte anders machen werden als heute - Stichwort Amazon Prime Air. Zudem hat Amazon alles in die Wege geleitet, um ein Ende-zu-Ende Anbieter von Gütern zu werden, und zwar nicht nur digital.

Die Internetkonzerne setzen also voll auf Künstliche Intelligenz. Und viele Führungskräfte unterschätzen noch immer, welche Auswirkungen das auf ihr eigenes Unternehmen haben kann. Damit wächst die Gefahr, dass die Player der Old Economy zu den großen Verlierern in diesem Spiel werden.