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Herz-Rhythmus-Störungen in der IT

20.02.2008
Von Handelsblatt 
Experten sagen das Ende des Betriebssystems voraus - Marktführer Microsoft kontert mit einer neuen Server-Software. Der Software-Riese hat mit großem Pomp in Frankfurt seine neue Server-Produktlinie vorgestellt, quasi das Betriebssystem für Netzwerkrechner.

FRANKFURT. Eine IT-Welt ohne Betriebssysteme? Für Achim Berg, den Deutschlandchef des Softwareriesen Microsoft ist das auf absehbare Zeit undenkbar. "Zwar verschieben sich die Grenzen. Themen wie Virtualisierung und Betriebssysteme wachsen zusammen. Aber das bedeutet nicht die Abschaffung von Betriebssystemen", sagte Berg dem Handelsblatt.

Die Aussage überrascht nicht, schließlich geht es für Microsoft um viel. Der Software-Riese hat am Dienstag seine neue Server-Produktlinie vorgestellt. Die Erwartungen sind enorm. "Das ist für uns eine größere Produkteinführung als die des neuen Betriebssystems Vista", sagte Berg. Zwar nennt Microsoft keine konkreten Wachstumspläne für den Windows Server 2008. Allerdings verwies Berg auf historische Daten. "Wir sind in den zurückliegenden 19 Quartalen im Server-Bereich stets zweistellig gewachsen", sagte er und ergänzte: "In Deutschland sind erst zehn Prozent der Netzwerkrechner virtualisiert. Da ist noch viel Potential."

Microsoft lebt zu einem großen Teil vom Verkauf von Betriebssystem-Lizenzen für Tischrechner, Notebooks und Server. So entfielen im Fiskaljahr 2007 rund 30 Prozent der Konzernumsätze in Höhe von gut 51 Mrd. Dollar auf die Sparte Client, in der Geschäft mit PC-Betriebssystemen konsolidiert ist. Werden noch die Lizenzerlöse mit Server-Systemen addiert, beträgt dieser Anteil sogar rund 50 Prozent des gesamten Microsoft-Umsatzes.

Allerdings wird in der IT-Industrie zurzeit heftig über die Zukunft von Betriebssystemen diskutiert. Bislang sind die Betriebssysteme das Herz-Kreislauf-System eines jeden Rechners. Es übernimmt alle grundlegenden Funktionen der Computer, so etwa den Zugriff auf Dateien oder die Verwaltung der Speicherkapazitäten.

Experten etwa der Gartner-Gruppe oder von IDC erwarten, dass diese Aufgaben zunehmend von anderen Bereichen der IT übernommen werden. Bei den Tischcomputern und Notebooks habe vor allem das Internet gute Chancen, das Betriebssystem der Zukunft zu werden. Immer mehr Anwendungen würden im Internet laufen, benötigten per se also kein Betriebssystem mehr. Dennoch werde es noch lange dauern, bis das Betriebssystem hier überflüssig werde.

Anders sieht es dagegen in den Rechenzentren aus. Hier wildern neue Werkzeuge wie die Virtualisierung bereits mächtig in den Gefilden der traditionellen Betriebssysteme. Das zeigt das Beispiel der Software-Firma Bea Systems, die derzeit vom SAP-Rivalen Oracle übernommen wird. Sie hat mit der neuen Server-Software "Weblogic Server Virtual Edition" eine Virtualisierung-Lösung entwickelt, die erstmals ohne ein separates Herz-Kreislauf-System auskommt. Die Virtualisierung erlaubt es, auf einem Netzwerkrechner verschiedene Software-Plattformen zu betreiben, die Server also flexibler und besser zu nutzen. Allerdings setzten die Virtualisierungs-Lösungen bislang ein existierendes Betriebssystem voraus. Das ist nun bei der Bea-Lösung erstmals nicht mehr der Fall.

Dennoch warnen IT-Experten vor einer "Virtualisierungs-Euphorie", darunter sogar Manager, die mit der Virtualisierung gutes Geld verdienen. "Es gibt Experten, die glauben, dass es in Zukunft nur noch virtuelle Systeme gibt. Das stimmt nicht. Es wird immer beides geben: virtualisierte Server und separate Netzwerkrechner", prognostiziert Karl Heinz Warum, Geschäftsführer des IT-Unternehmens Citrix und Leiter der Region Zentral- und Osteuropa. Citrix bietet zwar eigene Virtualisierungs-Lösungen auf Basis des quelloffenen Betriebssystems Linux an, ist aber anderseits ein enger Partner von Microsoft.

Auch das Microsoft-Management reagiert gelassen auf Entwicklungen wie die von BEA. Es kontert mit dem umgekehrten Ansatz. Mit der neuen Server-Lösung Windows Server 2008 werden Werkzeuge etwa zur Virtualisierung gleich mitgeliefert. "Wir machen im Prinzip genau das gleiche wie Bea mit unserem neuen Windows Server 2008, bei dem alles sehr eng in das Betriebssystem integriert ist", argumentiert Deutschland-Chef Berg.

Am Ende zeigt allerdings auch die neue Microsoft-Lösung eines: Betriebssysteme und Anwendungen wachsen allmählich zusammen. So gehört zum Windows Server zum Beispiel ein umfassendes Sicherheitspaket zum Programmumfang. Auch die immer stärker in Mode kommenden Web-Anwendungen können Programmierer ohne Probleme auf Basis der neuen Software entwickeln. Das ist nicht zuletzt eine Reaktion darauf, dass das Internet bei den Anwendungen künftig eine weitaus größere Bedeutung spielen wird.

Angesichts solcher Features im neuen Microsoft-Programm sieht auch Klaus Rumsauer, Manager von Hewlett-Packard und zuständig für das Server- und Speichergeschäft, keine akute Bedrohung für die Marktposition des Softwarekonzerns in den Rechenzentren. "Zwar ist das Interesse an Linux weiterhin da. Wir sehen aber beim Thema Virtualisierung das größte Marktwachstum bei Microsoft, alleine schon wegen der breiten Kundenbasis, die Microsoft hier hat", sagte der IT-Experte.