Der PC-Markt wird neu gestaltet

Herstellerinitiative ACE stellt die Weichen für OS/2

10.05.1991

Das von Microsoft und IBM gemeinsam vermarktete Betriebssystem OS/2 konnte bisher nicht aus dem Schatten von MS-DOS und Windows 3.0 heraustreten. Dies, so meint Manfred Frey, wird sich mit zunehmender Akzeptanz der unter der Bezeichnung ACE standardisierten Software und Betriebssystem-Plattformen ändern: Neben der Unixbasierten Open-Desktop-Umgebung von SCO könnte sich nämlich OS/2, Version 3.0, PC-Betriebssystem der Zukunft etablieren.

21 Unternehmen der DV-Branche haben sich unter dem Namen "Advanced Computing Environment" (ACE) auf eine offene und standardisierte Computerumgebung geeinigt, die sowohl PCs mit CISC-Technologie als auch RISC-Computer umfaßt (siehe auch CW Nr. 16 vom 19. April 1991, Seite 1 und 2) sowie CW Nr. 18 vom 3. Mai 1991, Seite 29). Ziel dieser Initiative ist, einen herstellerübergreifenden offenen Standard für "eine neue Klasse fortschrittlicher Computersysteme" zu schaffen.

Die Organisation steht allen Computerherstellern offen. Allein die bisher beteiligten Unternehmen stellen in der DV-Branche ein Umsatzvolumen von mehr als 50 Milliarden Dollar. Systemhersteller, die ACE-kompatible Rechner entwickeln wollen, erhalten gleichberechtigen Zugang zur ARC-Standardspezifikation (Advanced RISC Computing von Mips) und können sich den technischen Komitees anschließen.

Der ACE-Gruppe steht an bereits Gründungszeitpunkt an bereits ein Software-Angebot von etwa, 40 000 Applikationen zur Verfügung. So erlauben demnächst Sowohl OS/2, Version 3.0. als auch Open Desktop den Einsatz von weltweit mehr als 35 000 verschiedenen PC-Pakete. Das ACE-Konzept basiert auf vier Schlüsselkomponenten:

- dem Betriebsystem OS/2, Version 3.0, von Microsoft,

- dem Betriebssystem Open Desktop von der Santa Cruz Operation (SCO),

- der Mikroprozessor-Reihe x86 von Intel und

- der RISC-Prozessorlinie von Mips Computer Systems.

Vorgesehen ist, daß die Betriebssysteme auf beiden Hardware-Architekturen verfügbar gemacht werden. Die ersten Produkte für Entwickler sind für Ende 1991 vorgesehen, Anwender sollen ab 1992 die ersten ACE-Systeme erhalten. Bis heute ist ausschließlich die Betriebssystem-Umgebung Open Desktop auf x86-Basis verfügbar.

Wohin führt das Konzept der Herstellergruppe? Wird mit Hilfe dieser Initiative der PC die DV-Welt erobern? Immerhin bedeutet ACE auch, daß bisher ausschließlich auf PCs begrenzte Betriebssystem-Umgebungen sowie OS/2 und Open Desktop und damit indirekt auch MS-DOS und Windows demnächst auf einer RISC-Bandbreite zur Verfügung stehen, die künftig vom Laptop über den Abteilungsserver bis hin zum RISC-Rechenzentrum reichen soll. Damit wird die PC-Welt mit ihren Applikationen im Grunde auf die gesamte DV-Welt ausgedehnt. Welche Auswirkungen hat dieser Standardisierungsansatz in der Zukunft, und für welche Unternehmen ist das Konzept vorteilhaft?

Mit ACE steht der DV-Welt ein neues Medium zur Standardisierung von Software zur Verfügung, das vormals undenkbar war. Zwar wurden bisher nur Pläne angekündigt, doch die große Beteiligung an der ACE-Initiative zeigt, daß eine Reihe von Unternehmen ein essentielles Interesse an solchen Bemühungen hat.

So wird es mit diesem Ansatz beispielsweise möglich sein, ein ACE-konformes DOS-Programm nach erneuter Kompilation auf einem RISC-Rechner zum Ablauf zu bringen. Damit ergeben sich für Software-Anbieter natürlich ganz andere Marktpotentiale als bislang. Der Anwender seinerseits erhält aufgrund der niedrigeren Implementationskosten mehr Leistungsmerkmale in seiner Software, ohne daß die Kosten merklich steigen.

Besonders vorteilhaft ist die ACE-Initiative für die Mitglieder Compaq, Mips, DEC, SCO und natürlich Microsoft. Diese fünf Unternehmen sind die treibenden Kräfte hinter dieser Organisation. Digital und Compaq werden sich zweifelsohne ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, um der erste Anbieter eines ARC-kompatiblen Rechners zu sein. Ähnliches gilt analog für Microsoft und Santa Cruz Operation auf der Seite der Betriebssysteme.

Als Gewinner steht Mips heute schon fest

Ein Gewinner der gesamten ACE-Aktivitäten steht heute schon fest, nämlich Mips. Vieles deutet darauf hin, daß dieses Unternehmen künftig im RISC. Markt die Rolle übernehmen wird, die Intel im traditionellen PC-Markt spielt. Schwierigkeiten mit der ACE-Bewegung wird dagegen Workstation-Marktführer Sun Microsystems haben, dem jetzt ein neuer "Wettbewerber" gegenübersteht.

Neben den traditionellen Widersachern Hewlett-Packard (mit dem Sun auf der Softwareseite zum Teil kooperiert) und IBM entsteht hier eine neue Größe, Zwar dürfte ACE vorläufig nur ein drohender Schatten am Workstation-Horizont sein, nach der erfolgten Realisierung wird die Initiative aber einigen Einfluß auf den Workstation-Markt nehmen. Gleiches gilt natürlich für den PC- und Small-Scale-Markt.

In den nächsten beiden Jahren ist - wegen der mangelnden Verfügbarkeit - keine wesentliche Marktdurchdringung mit ACE-Produkten zu erwarten. Allerdings werden sich der Initiative in diesem Zeitraum noch eine Reihe weiterer Anbieter anschließen. Sind die einzelnen Komponenten erst einmal verfügbar, so dürfte die Marktpenetration im PC- und Workstation-Bereich sprunghaft zunehmen.

Für Microsoft stellt ACE eine weitere, auf die Zukunft gerichtete Schiene dar. Es bleibt abzuwarten, ob das Unternehmen in der Lage ist, die angekündigte OS/2-Version 3.0 termingerecht fertigzustellen. Schließlich ist es keine Ausnahme, sondern eher die Regel, daß bei der Implementierung eines derartig hochentwickelten Systems Probleme und schwer auffindbare Fehler entstehen. Eine verspätete OS/2-Verfügbarkeit würde für die restlichen Anbieter der ACE-Initiative aber zu einer Verzögerung der von ihnen erwarteten Vorteile führen.

Microsoft, mit der Vermarktung von MS-DOS und Windows 3.0 überaus erfolgreich, verbessert mit seiner ACE-Mitgliedschaft die Verkaufsbedingungen für OS/2, dessen Marktdurchdringung bislang eher kläglich war. Ursprünglich hatte Firmengründer Bill Gates wohl mit einem ähnlichen Erfolg wie bei DOS gerechnet, der sich aber - so weiß man heute nicht eingestellt hat.

Man darf in diesem Zusammenhang gespannt sein, wie sich IBM zu ACE stellen wird. Die positiven Effekte der ACE-Ankündigung für OS/2 sind unübersehbar, sie kommen IBM unmittelbar zugute. Immerhin ist eines der beiden strategischen Betriebssysteme identisch mit einem Kernstück von IBMs SAA-Strategie. Andererseits setzt IBM im RISC-Markt natürlich auf die eigene Power-Architektur; ein Umschwenken auf Mips ist schwer vorstellbar.

Im folgenden sollen die von den Mitgliedsunternehmen der ACE-Initiative unterstützten Hauptelemente kurz erläutert werden: OS/2, Version 3.0, soll ein 32-Bit-Betriebssystem auf der Basis der neuen NT (New Technology) von Microsoft werden. Mit modernen Betriebssystem-Techniken entstehen Leistungsmerkmale wie 32-Bit-Preemptive-Multitasking, Portabilität, symmetrisches Multiprocessing, Sicherheitseinrichtungen und integrierte Netzwerk-Fähigkeiten. OS/2 wird in der Version 3.0 den Einsatz (Remote-Zugriff) von MS-DOS, Windows und OS/2- beziehungsweise Posix-Anwendungen im Netz unterstützen und sich damit für Desktop- und Serversysteme eignen.

Open Desktop für alle Rechnerklassen

Bei Open Desktop für ACE handelt es sich um ein vereinheitlichtes Unix-Betriebssystem von SCO. Es wurde anhand der Standards für offene Systeme wie Posix 1003.1, X/Open XPG3, SVID 2 und OSF AES 2 entwickelt. Open Desktop umfaßt neben Unix weitere Services wie eine grafische Benutzeroberfläche, SQL-Datenbank-Management, verteiltes Netzwerkmanagement etc. Open Desktop bietet den Mehrplatz-Betrieb, Multitasking, Sicherheitseinrichtungen, symmetrisches Multiprocessing und vernetzte Fenstertechnik. Das System kann für alle Rechnerklassen vom Laptop-PC bis zum Multiprocessing Server eingesetzt werden und ist seit Frühjahr 1990 als 32-Bit-Implementierung für die ACE-Plattform x86 auf dem Markt.

Basiselemente der ARC-Spezifikation sind der Mips-RISC-Prozessor, Interfaces zu gängigen Ein- und Ausgabegeräten, eine standardisierte PC-Tastatur (mit 101 Tasten), Firmware-Services, Ein-Ausgabe-Subsystemfunktionen und Datenträger-Speicherformate.

ACE sieht weiterhin die Unterstützung von Personal Computern und PC-Systemen auf der Basis von Intel-x86-Prozessoren vor. Dadurch erreicht die Initiative Kompatibilität in Anwendungen und Peripherie zu Millionen bereits installierter PCs.

Die neue Betriebssystem-Version 3.0 von OS/2 soll auf der Basis einer Betriebssystem-Technologie erstellt werden, die bei Microsoft unter dem Codenamen NT (New Technology) bekannt ist. NT bietet eine robuste, sichere Betriebssystem-Umgebung, die ein hohes Maß an Flexibilität und künftiger Erweiterbarkeit bereithält.

Ein NT-Betriebssystem besteht aus vier Komponenten (Executive, Privileged-Mode-Erweiterungen, Protected-Subsystem und Anwendungsprogrammen). Der Executive stellt die Basisdienste bereit, auf die die anderen Komponenten zurückgreifen. Die Privileged-Mode-Erweiterungen umfassen Einheitentreiber, Dateisysteme und Betriebssystem-nahe Prozesse (beispielsweise LAN-Fileserver). Das Protected-Subsystem schließlich stellt Dienste für die verschiedensten Anwendungsprogramme zur Verfügung.

Vorteile für Entwickler und Anwender: Durch die breite Verfügbarkeit, die OS/2 3.0 aufgrund der ACE-Hardwareplattformen erlangen wird, sind auch die heutigen Investitionen von Anwendern und Anwendungsentwicklern in Windows- und OS/2-Applikationen geschützt - so verspricht zumindest Microsoft.

Die Bill-Gates-Company möchte dem Anwender im Rahmen von ACE zwei einander ergänzende Betriebssystem-Implementationen zur Verfügung stellen. Zum einen ein "Midrange"-Produktangebot auf der Basis heutiger und künftiger DOS- und Windows-Umgebungen. Windows soll die Leistungsmerkmale der hochentwickelten Intel-CPUs nutzen und über alle Charakteristika verfügen, die der normale Benutzer am Schreibtisch verlangt und benötigt. Windows wird die Ergänzung zu DOS darstellen - eine Strategie, die sich nach Microsoft-Aussagen bislang als recht erfolgreich erwiesen hat.

Zum zweiten gibt es ein "High-end"-Produktangebot, das dieselbe Benutzerschnittstelle wie das Midrange-Pendant bietet und auch die dafür entwickelten Anwendungen ausführen kann. Das High-end-Angebot soll sich durch seine erweiterten Leistungsmerkmale für die Bearbeitung kritischer Unternehmensanwendungen, das Client-Server-Computing und das Downsizing eignen.

Portierung auf jede RISC-Plattform

Zieht man in Betracht, daß OS/2 auch für IBM das High-end-PC-Betriebssystem ist, so läßt sich daraus folgern: OS/2 wird in absehbarer Zeit auch für IBMs "High-end-PC-Angebot", nämlich die Power-Architektur, verfügbar werden. Microsoft hat bei der ACE-Vorstellung in Brüssel bereits deutlich gemacht, daß die RISC-Implementierung von NT derart universell vorgenommen wurde, daß die Portierung auf praktisch jede RISC-Plattform mit wenig Aufwand durchführbar ist.

Kurzfristig hat Microsoft im High-end-Angebot das Betriebssystem OS/2 in den Versionen 1.3 und demnächst auch 2.0 (letztere Version soll noch 1991 verfügbar werden) vorzuweisen. Die Betriebssystem-Versionen werden auf 386/486-Rechnern ausgeführt und bieten das Preemptive-Multitasking. Bei OS/2 Version 2.0 ist bereits der Zugriff auf den umfangreichen virtuellen Adreßbereich gegeben. Beide Systeme sind auf das Client-Server-Computing ausgelegt und werden von Microsoft in Verbindung mit dem LAN Manager und anderen Netzwerkprodukten eingesetzt.

Zudem stellt Microsoft Bibliotheken (Windows Libraries for OS/2) zur Verfügung, mit denen eine OS/2-Anwendung aus Windows-Anwendungsprogrammcode erstellt werden kann. Die Bibliotheken sind der erste Schritt auf dem Weg zu zwei einander ergänzenden Plattformen. Langfristig ist Microsofts Strategie auf OS/2, Version 3.0, ausgerichtet. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenführung und gleichzeitige Erweiterung der beiden Versionen 1.3 und 2.0.

Initiativen wie ACE sind richtungsweisend und werden in Zukunft immer wichtiger. Heute hat kaum ein Anbieter mehr die Kapazität, Standards aus eigener Kraft zu generieren. Die Standardisierungsbemühungen werden künftig immer stärker in die Hände von Komitees und anderen (Anbieter- beziehungsweise Anwender-) Gruppen übergehen, wobei von essentieller Wichtigkeit sein wird, wer sich an welchem Standardisierungsansatz beteiligt.