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Hersteller pleite - Anwender ohne Rechte

20.12.2002
Wenn ein Softwarehersteller Pleite macht, darf der Insolvenzverwalter praktisch alles. Die Kunden haben keine Rechte. Daher empfiehlt es sich, nur bei stabilen Anbietern zu kaufen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wenn ein Softwarehersteller Pleite macht, darf der Insolvenzverwalter praktisch alles. Die Kunden haben keine Rechte. Nur in Spezialfällen können Forderungen durchgesetzt werden. Daher empfiehlt es sich, nur bei stabilen Anbietern zu kaufen.

Die M&A Consultants AG hat es knüppeldick erwischt. Gerade hatte die Mannheimer Unternehmensberatung für rund 100.000 Euro eine CRM-Software eingeführt, da machte deren Hersteller, die Firma Officekomfort, Pleite. Die Folge: Keine Weiterentwicklung der Software, kein Support, keine neuen Lizenzen. Mittlerweile gehört das Programm einem anderen Unternehmen, das bereit ist, M&A Consultants den Quelltext zu überlassen - aber nur gegen Bezahlung. Und auch die ehemaligen Programmierer halten die Hand auf: Sie haben sich selbständig gemacht und bieten die Wartung der alten Software an. Das Ärgerlichste aber war für Thomas Greth, IT-Manager bei M&A Consultants: "Wir haben von der Insolvenzeröffnung von Dritten erfahren - der Insolvenzverwalter hat uns nicht informiert."

Foto: Photodisc
Foto: Photodisc

Dumm gelaufen? Mitnichten - alles war rechtens. "Der Insolvenzverwalter kann bei jeder Vertragsbeziehung völlig eigenständig entscheiden, ob er sie erfüllt oder nicht", berichtet Markus Schmidt, Rechtsanwalt bei der Sozietät Görg Rechtsanwälte in Berlin. Er braucht auch Kunden nicht zu informieren. Sie haben in solchen Fällen praktisch keine Rechte.

Verluste werden nur zum Teil erstattet

Wer infolge der Pleite seines Softwarelieferanten Schäden erleidet, zum Beispiel durch nicht erfüllte Wartungsverträge oder abgebrochene Einführungen, dem bleibt nur, sich in die Gläubigerliste einzureihen, mit der Hoffnung, einen Teil der Kosten erstattet zu bekommen. Wird der Geschäftsbetrieb eingestellt, dürfte dieser Eintreibungsversuch allerdings kaum den Aufwand wert sein. Softwarehäuser verfügen nur selten über größere Vermögenswerte. Quoten von einem Prozent oder weniger sind nicht unüblich, das heißt nur diesen Anteil seiner Forderungen erhält der Gläubiger aus der Insolvenzmasse. Schmidt: "Wenn ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, hat der Kunde immer schlechte Karten." Nur in wenigen Spezialfällen kann er sich dagegen absichern.

Prinzipiell gilt: Ist der Softwarekauf abgeschlossen, ist kaum etwas zu machen. Immerhin bleiben die erworbenen Nutzungsrechte bestehen. "Wenn die Software eingeführt und bezahlt worden ist, behält ein Kunde die mit dieser Software erworbenen Rechte, also praktisch die Software und das Nutzungsrecht", erläutert Michael Bartsch, Rechtsanwalt in der Kanzlei Bartsch und Partner, Karlsruhe. Der Kunde darf die Software also weiter einsetzen.

Rechte sind nicht immer durchsetzbar

Allerdings kann das mit praktischen Problemen verbunden sein. Bei M&A Consultants ist die Arbeitsplatzlizenz an die PC-Hardware gekoppelt. Soll ein anderer PC verwendet werden, braucht das Unternehmen einen Freischaltcode, den es aber nicht mehr erhält. Selbst die ordnungsgemäße Nutzung kann also im Alltag scheitern.

Rechte gegenüber möglichen Nachfolgegesellschaften hat der Kunde zunächst nicht, auch wenn das alte Unternehmen unter neuem Namen fortgeführt wird. "Wenn eine Auffanggesellschaft ein Unternehmen praktisch fortsetzt und das auch offensichtlich ist, zum Beispiel weil die Gesellschafter und die Geschäftsführer die gleichen sind wie zuvor, ist eine Durchgriffshaftung möglich", erläutert Rechtsanwalt Schmidt. Allerdings werde eine solche Auffanggesellschaft in der Regel so angelegt sein, dass solche Forderungen sich nicht durchsetzen lassen. Zum Beispiel führen Betreiber nur einen Teil des Geschäfts fort, so dass die Unternehmenskontinuität schwer nachzuweisen ist.

Zugriff auf Programmierer sichern

Bleibt eigentlich nur Selbsthilfe. Wenn das Unternehmen aufgelöst und der Geschäftsbetrieb eingestellt wird, sollten Kunden mit Hilfe der Programmierer die Weiterentwicklung selbst in die Hand nehmen. "In diesem Fall ist es wichtig, dass der Kunde ein Recht zur Änderung der Software hat und der Techniker beziehungsweise der Kunde auch legal in Besitz des Quellprogramms der Software ist", zeigt Bartsch die Rahmenbedingungen auf.

Ein prominentes Beispiel für die Weiterführung des Betriebs durch Kunden ist der Dokumenten-Management-Softwarehersteller Ceyoniq. Nachdem die Aktiengesellschaft Anfang des Jahres Insolvenz anmelden musste, taten sich zwei Großkunden zusammen und führen die Produktlinie seit Mitte des Jahres in Eigenregie fort. Bei den Investoren der Nachfolgegesellschaft Ceyoniq Technology GmbH handelt es sich um die Kölner DEVK Rückversicherungs- und Beteiligungsgesellschaft sowie die DEVK Private Equity GmbH. Die Firmen halten gemeinsam rund zwei Drittel von Ceyoniq, wobei der Private-Equity-Anteil Planungen zufolge an andere Investoren verkauft werden soll. Das restliche Drittel liegt in den Händen der VHV Beteiligungs AG, Hannover. Gegenwärtig beschäftigt die Firma rund 120 Mitarbeiter, davon etwa 60 Prozent in der Entwicklung. Vorrangiges Ziel ist nun, das Vertrauen aller bestehenden Kunden zurückzugewinnen. Denn eins ist klar: Je mehr frühere Anwender der

alten Software die Treue halten, desto besser lassen sich die Kosten zwischen den Kunden aufteilen - und vielleicht auch Neugeschäft generieren.

Um sich den Zugriff auf die Quellen im Falle einer Insolvenz zu sichern, bieten Drittanbieter die Hinterlegung des Sourcecodes über Escrow-Verträge an und händigen ihn bei der Pleite des Anbieters an den Kunden aus. Doch das Verfahren hat seine Tücken. "Nur den Wenigsten gelingt eine insolvenzfeste Gestaltung der Hinterlegungsvereinbarung, da der Insolvenzverwalter die Erfüllung aller vertraglichen Verpflichtungen ablehnen kann", beobachtet Schmidt. Zum Beispiel helfe eine Klausel, dass im Insolvenzfall das Eigentum beziehungsweise weitergehende Rechte an einer Software auf den Kunden übertragen werden, nicht weiter.

"Insolvenzfest ist solch eine Vereinbarung praktisch nur dann, wenn bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs auch der Quellcode und die Rechte daran an den Kunden übertragen werden", so Schmidt. Und sogar solch eine Vereinbarung kann der Insolvenzverwalter anfechten, wenn sie in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Insolvenzantrag steht.

Doch selbst wenn der Kunde die Rechte an der Software hat, geht ohne die dazugehörigen Programmierer praktisch nichts. "Es dauert Monate, bis sich jemand in den Sourcecode eingearbeitet hat", berichtet zum Beispiel Reinhold Wegmann, Geschäftsführer des Münchner Softwareanbieters CPG.

Kaum besser sieht die Lage aus, wenn die Wartung der Software mit einem Dienstleister vereinbart worden ist, obwohl es zunächst anders scheint. "Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung aus einem Wartungsvertrag mit einem Händler oder einem Wartungsunternehmen auch dann weiter, wenn der Softwarehersteller Insolvenz anmeldet", erläutert Schmidt. Allerdings könne der Händler argumentieren, dass auch der Kunde wusste, dass der Händler nicht über den Quellcode verfügt - und damit entfällt die Geschäftsgrundlage für den Pflegevertrag. Zum Beispiel dürfen bei SAP andere Anbieter, etwa Beratungs- oder Systemhäuser, nicht in die Software eingreifen. Auch in diesem Fall ist der Kunde also darauf angewiesen, dass das Unternehmen in irgendeiner Weise weitergeführt wird.

Dienstleister ist nur teilweise in der Pflicht

Anders sieht es dagegen im umgekehrten Fall aus: Der Dienstleister geht insolvent, aber den Softwarehersteller gibt es weiter. "Wenn der Dienstleister Insolvenz anmeldet und sich kein anderer Dienstleister findet, kann ein Kunde auch beim Hersteller einer Software bestimmte Ansprüche einfordern", macht Schmidt Hoffnung. Schließlich sei der Hersteller ein Quasi-Monopolist, da in der Regel nur er über die Quellcodes der Software verfüge und diese bearbeiten dürfe. Aus den Regelungen des Kartellrechts lässt sich daher ein Recht des Kunden auf Belieferung mit Updates und Patches ableiten.

Ähnlich lässt sich auch argumentieren, wenn es eine Auffanggesellschaft gibt, die die Software im Prinzip weiterführt. Zwar ist eine solche Gesellschaft nicht verpflichtet, die bestehenden Wartungsverträge zu übernehmen - der Insolvenzverwalter kann diese zum Beispiel im Rahmen seines Sonderkündigungsrechts aufheben. Trotzdem kann ein Kunde die Nachfolgegesellschaft in der Regel darauf verklagen, ihn mit bestimmten Produkten oder Services zu beliefern, die für den Betrieb der Software nötig sind. Natürlich sind diese Dinge aber nicht kostenlos zu haben.

Während die Situation sich also bei bereits installierter Software in der Regel eher hoffnungslos darstellt, ist die Ausgangslage besser, wenn das Programm noch nicht ausgeliefert und noch nicht bezahlt ist. Zwar wird ein Kunde eine Software, die er ohne Wartung bestellt hat, in der Regel auch dann abnehmen müssen, wenn der Hersteller bereits Insolvenz angemeldet hat. "Wenn aber zusammen mit dem Softwarekauf auch ein Wartungsvertrag abgeschlossen wurde, kann der Kunde die Abnahme verweigern, wenn er davon ausgehen muss, dass der Anbieter seinen Verpflichtungen aus dem Wartungsvertrag nicht nachkommen wird", zeigt Rechtsanwalt Bartsch einen Ausweg auf. Auch auf die Gewährleistung habe ein Kunde immer Anspruch.

Software und Pflege im Paket kaufen

Es lohnt sich also abzuwarten. Außerdem ist zu empfehlen, Software und Pflege immer im Paket zu bestellen. Wenn sich der Insolvenzverwalter jedoch entschließt, das Geschäft fortzuführen, hat der Kunde schlechte Karten. In dem Fall wird er vermutlich die Software auch abnehmen müssen. Immerhin besteht noch die Chance, mit dem Insolvenzverwalter über Sicherheitsleistungen zu verhandeln. Die Macht des Kunden ist aber auch hierbei begrenzt. Wie immer hat der Insolvenzverwalter praktisch alle Rechte, der Kunde nur wenige.

Besonders gravierend wirkt sich das bei Individualprogrammierungen aus, wenn Software noch nicht fertig gestellt ist und vermutlich auch nicht mehr fertig gestellt wird. "In diesem Fall hat der Insolvenzverwalter ein Vertragsabbruchsrecht", berichtet Bartsch. Auch dann habe der Kunde nur Anspruch auf Schadensersatz aus der Insolvenzmasse. Und auch in diesem Fall ist das eine einseitige Angelegenheit: Der Insolvenzverwalter entscheidet, ob der Auftrag beendet wird oder nicht - und nicht der Kunde.

Allerdings kann sich der Kunde hier vor den finanziellen Folgen einer Insolvenz schützen. "Bei einer Individuallösung kann ein Kunde während der Erstellungsphase auf Rückgewährbürgschaften bestehen, so dass zumindest bereits erfolgte Zahlungen im Falle der Insolvenz durch eine Bank rückerstattet werden", weist Schmidt auf Möglichkeiten der Vorsorge hin. Dann habe der Kunde zwar keine Software, aber auch kein Geld ausgegeben. Bei Standardsoftware sei solch ein Vorgehen jedoch unüblich.

Im Endeffekt bleibt der Kunde also allein, wenn der Softwareanbieter vom Markt verschwindet. Auch Beratungsunternehmen sind an solchen Kunden nicht interessiert. Große IT-Servicefirmen wie CSC Ploenzke und Gedas haben keine speziellen Services oder Dienstleistungen im Portfolio, um Kontinuität des IT-Betriebs im Falle der Insolvenz eines fremden Softwareherstellers sicherzustellen. Bearingpoint, die ehemalige KPMG Consulting, bietet zumindest an, auch fremde Softwarepakete im Rahmen ihrer "Managed Services" weiter zu betreiben oder durch andere Software abzulösen. Allerdings ist dieser Service nicht speziell für den Fall einer Insolvenz gedacht, sondern eher dazu eingerichtet worden, Altsysteme im Rahmen eines Business Process Outsourcing zunächst zu übernehmen und später abzulösen.

Als eine der wenigen Ausnahmen hat das Beratungsunternehmen Pass Consulting, Aschaffenburg, ein eigenes Vorgehen für den Fall einer Insolvenz entwickelt. Der Dienstleister bietet an, den Lieferanten ganz oder in Teilen zu übernehmen und zu restrukturieren sowie die Leistungserfüllung fortzusetzen. Pass überprüft dabei die bestehenden Softwareprojekte und erarbeitet Konzepte für die Weiterführung oder Ablösung der Software. "Wenn die Dokumentation einer Software gut und das Programm nicht zu komplex ist sowie die Anwendung nur wenige Schnittstellen hat, ist auch eine Codeanalyse und ein Re-Design einer bestehenden Anwendung möglich", macht Andreas Rinner, verantwortlich für R&D sowie E-Business bei Pass, Hoffnung. Dann kommt der Dienstleister auch ohne Zugriff auf die früheren Programmierer aus. Allerdings gibt ein solches Vorgehen nur in Spezialfällen Sinn. Bei einer kompletten Unternehmenssoftware lässt sich die Ablösung durch ein

anderes Produkt nicht umgehen.

Stabile Anbieter bevorzugen

Für die Kunden eines insolventen Softwarehauses bleibt also meist nur das Prinzip Hoffnung: dass der Insolvenzverwalter das Unternehmen nicht einfach liquidiert, sondern in irgendeiner Form fortführt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist umso größer, je wichtiger das Softwarehaus und je breiter die Kundenbasis ist. "Bei bedeutenden Unternehmen gibt es im Falle der Insolvenz in der Regel so viel Marktdruck, dass die Software in irgendeiner Form fortgeführt wird", beobachtet Rechtsanwalt Bartsch. Daher empfehle es sich, bei der Auswahl eines Softwarelieferanten auf Solidität zu achten - das ist der beste Schutz vor den möglichen Folgen einer Insolvenz. Ähnlich sieht es auch Rechtsanwalt Schmidt: "Wichtig ist im Vorfeld eines Softwarekaufs, sich über die wirtschaftliche Substanz des Anbieters zu informieren und das Insolvenzrisiko so weit als möglich zu vermeiden." Dass das aber manchmal selbst für Experten nur schwer möglich ist, zeigt die

Entwicklung in den vergangenen Monaten. Und auch Schmidt weiß: "Größe alleine ist keine Zukunftsgarantie." (mo)