Henkel und das Burnout-Syndrom Dieter Eckbauer

16.09.1994

Zwei Schlagzeilen dieser Woche, die ausdruecken, wie sehr sich die Dinge in der DV-Welt geaendert haben: Hans-Olaf Henkel kehrt IBM den Ruecken. Digital-Mitarbeiter sollen von einer Auffanggesellschaft uebernommen werden. Es waere zynisch gegenueber den betroffenen Digital-Mitarbeitern, Parallelen zu ziehen oder gar Gemeinsamkeiten zu konstruieren. Gegensaetzlichere Firmenkulturen kann man sich nicht vorstellen. Hinzuweisen ist aber doch auf einen Aspekt, der in beiden Faellen eine Rolle spielt - so unterschiedlich die jeweilige Lage auch sein mag: Die Wende vom Verkaeufer- zum Kaeufermarkt wurde von einer arroganten IBM wie von einer verbohrten Olsen-Company negiert. In ihrem Mangel an Weitsicht standen sich die IBM-Manager und die Digital- Verantwortlichen in nichts nach. Den Schaden haben nicht nur die Mitarbeiter beider Unternehmen, sondern auch die Anwender.

Man kann nicht mit einem Achselzucken zur Tagesordnung uebergehen - zuviel steht fuer die Kunden auf dem Spiel. Im Falle Digital bedarf es keiner weiteren Warnungen. Es ueberrascht aber doch, wie dummdreist die Digital-Manager argumentieren. Als noch neue Mitarbeiter rekrutiert wurden, sei nicht abzusehen gewesen, dass sich die Marktchancen fuer Digital dramatisch verschlechtern wuerden. Das ist keine Entschuldigung, das ist verlogen. Bei der VAX-Akquisition gab und gibt es keine schnellen Erfolge - das liegt in der Natur des Geschaeftes -, also muss der Abwaertstrend aus dem Auftragsbestand ablesbar gewesen sein - auf einen Siegeszug der Alpha-Rechner konnten die Digital-Marketiers nicht bauen. Die Anwender brauchen Digital als Partnerunternehmen, dessen Macher Realitaetssinn beweisen.

Dies gilt auch fuer das Kunden-Lieferanten-Verhaeltnis in der IBM- Welt. Doch das waere eine eigene Geschichte. Hier interessiert ein anderer Gesichtspunkt. Wer verkoerpert die "neue" IBM? In bezug auf Hans-Olaf Henkel wurde nie gefragt: Ist er ein Mann, der leicht abtreten kann? Eine IBM-Karriere wie aus der THINK-Fibel: Der smarte Hanseate wurde in mehr als 30 Jahren bei Big Blue nach und nach mit immer hoeheren Aufgaben im In- und Ausland betraut - sein Weg fuehrte ihn in der IBM-Hierarchie stetig nach oben. Henkel verlaesst nun das Unternehmen von einem Platz in der europaeischen Topetage - ueber ihm nur noch der Amerikaner Louis Gerstner. Beide trennen IBM-Lichtjahre. Gerstner ist erst seit Maerz 1993 ein Blauer - der bisher einzige Quereinsteiger auf dem CEO-Posten, ein Outsider in der Ahnenreihe von Thomas Watson bis John Akers.

Mehr als jede produktpolitische Richtungsaenderung, die IBM vollzieht, um sich den geaenderten Marktgegebenheiten anzupassen, markiert der Henkel-Abschied den vorlaeufigen Schlusspunkt einer Entwicklung, ueber die in IBM-Kreisen nie offen gesprochen wurde: das Burnout-Syndrom, das eine ganze IBM-Manager-Generation befallen hat, eine Generation, die keine Zweifel kannte. Henkel gehoerte dazu. Die neue IBM muessen andere gestalten. Noch gibt es sie nicht. Wo sollen sie auch herkommen.