Kommunikationstechnologie führt zum Zusammenbruch der Gesellschaft:

Heimarbeit als Zukunftsvision

29.08.1980

SAN FRANCISCO (cw) - Die Fortschritte in Computertechnik und Informationsverarbeitung sind nur Teil einer umfassenderen sozialen und wirtschaftlichen Revolution. Ihre Auswirkungen werden die Struktur unserer modernen Zivilisation von Grund auf verändern, meint der bekannte Autor Alvin Toffler.

Bei einem Rückblick auf Tausende von Jahren menschlicher Geschichte markierte der Autor von "Der Zukunftsschock" und "Die Zukunftschance" drei große Wendepunkte in der Entwicklung unserer Zivilisation.

Der erste Wendepunkt geschah vor etwa 10 000 Jahren und markierte den Beginn des Ackerbaus. Der zweite trat vor etwa 300 Jahren in Erscheinung, als die ersten Anzeichen der heraufziehenden industriellen Revolution erkennbar wurden. Heute steht die Menschheit an der Schwelle eines dritten Wendepunktes. In seiner Bedeutung für den weiteren Verlauf der menschlichen Geschichte erreicht er mindestens die beiden vorhergehenden, wenn er sie nicht übertrifft, sagte Toffler kürzlich auf dem zweiten World Computing Services Industry Congress in San Francisco. Das Herannahen des dritten kritischen Entwicklungszyklus signalisiere den bevorstehenden Zusammenbruch der bestehenden sozialen und technokratischen Weltordnung. Die Anzeichen seien bereits deutlich erkennbar, beispielsweise in der zunehmenden politischen Spannung und Unruhe, in wirtschaftlichen Krisen und in der immer mehr um sich greifenden Geisteshaltung von der Sinnlosigkeit allen Tuns und Handelns, in der Fragmentierung von bisher stabilen Institutionen und im Zerfall von so gut wie allen bestehenden zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Massengesellschaft.

Als Ersatz der sterbenden sozialen und technokratischen Weltordnung unserer Tage beginnt rasch eine völlig neue Form der modernen Zivilisation Gestalt anzunehmen. Im Gegensatz zur bisherigen Weltordnung betont die neue Zivilisation Mannigfaltigkeit anstelle der Uniformität, Unabhängigkeit anstelle der Konformität, Dezentralisation anstelle des Kollektivs und die Kleinheit anstelle purer Größe, erklärte der Vortragende.

"Neue Ordnung" gewinnt Gestalt

Toffler zufolge beschleunigt sich die Zerfallsgeschwindigkeit der modernen Industriegesellschaft immer mehr. Sie verstärkt dadurch die Notwendigkeit einer verbesserten Kommunikation zwischen den sich formierenden Fragmenten. Eine so ausgedehnte Auflösung - und der dadurch entstehende Kommunikationsbedarf - erkläre einleuchtend den enormen Aufschwung, den Computertechnik und Informationsverarbeitung nahmen.

Die Bildung der neuen sozialen und technologischen Ordnung werde mit mindestens drei bedeutenden Entwicklungen zusammenfallen, die alle mit der Computertechnik in Beziehung stehen. Eine dieser Entwicklungen sei der starke Rückgang der Pendler, die zweite eine Umschichtung und Umdefinition vieler Tätigkeiten. Die dritte ist in der zunehmenden Konzentration modernster Technologien in den Händen weniger wohlhabender Industrienationen zu sehen.

"Elektronische Wohnbüros"

In Tofflers Szenario für die neue Weltordnung wird es schon bald die Integration von Videogeräten und anderen elektronischen Technologien Führungskräften und Spezialisten möglich machen, ihrer Arbeit nachzugehen, ohne das Heim verlassen zu müssen. Die Übertragung von Arbeitsfunktionen vom Büro ins Heim wird manche Angestelltenwohnung in ein "elektronisches Wohnbüro" verwandeln. Als Folge werde sich der Kraftstoffverbrauch senken, indem manches unnötige "Pendeln" vermieden wird Deshalb verdiene das Prinzip der elektronischen Wohnbüros allgemeine Förderung. Es ist durchaus möglich, so meinte Toffler, "daß das für die Vereinigten Staaten gesetzte Ziel einer Verlegung von 20 Prozent aller Arbeitsplatze ins Heim bis 1990 erreicht werden kann."

Im Rahmen der neuen Weltordnung kommt den Computern eine besondere Bedeutung zu. Sie dringen unaufhaltsam in neue Anwendungsgebiete ein, in denen traditionsgemäß manuelle Tätigkeiten im Vordergrund stehen. Die Hersteller elektronischer Systeme müssen aber berücksichtigen, daß nicht alle Arbeitnehmer von der kommenden Allgegenwart der Computer in der Arbeitswelt profitieren werden. Einzelnen Mitarbeitern, die den steigenden beruflichen Anforderungen des Informationszeitalters nicht gerecht werden, müssen die Arbeitgeber alternative Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Die Hardware-Hersteller werden im Zusammenhang mit der durch Computer verursachten Arbeitslosigkeit einen langen Weg zurücklegen müssen, bis sie einen technologischen Durchbruch auf dem Gebiet der natürlichen Sprachen erzielt haben, erklärte der Autor. Die Entwicklung einer leistungsfähigen, leicht anzuwendenden natürlichen Sprache würde erstmalig Computeranwendungen einer großen Klasse von Arbeitnehmern ohne Ausbildung erschließen, die sonst für immer abgeschreckt würden und denen der Zugang zu diesen Systemen verschlossen bliebe.

Aus der Computerworld übersetzt von Hans J. Hoelzgen, Böblingen