Mitarbeiter in Zulieferbetrieben werden systematisch ausgebeutet

Heftige Vorwürfe gegen Computerhersteller

06.02.2004
Die gemeinnützige britische Caritas-Organisation Catholic Agency for Overseas Development (Cafod) klagt große Computerhersteller wie Hewlett-Packard (HP), Dell und IBM sowie deren Auftragsfertiger an, in Ländern wie Mexiko, China und Thailand Beschäftigte in Zulieferproduktionsstätten unter widrigsten Bedingungen für sich arbeiten zu lassen.

Cafod hat bei Recherchen und in Interviews mit Arbeitern in diesen Entwicklungsländern (Developing Countries) für ihren Bericht "Clean up your Computer" große Missstände in den Zulieferfabriken ausgemacht: Hierzu gehören extrem geringe Lohnzahlungen - noch unter den staatlich vorgeschriebenen Mindestlöhnen - und viele erzwungene Überstunden. Cafod moniert ferner Produktionsstätten, die die Sicherheit der Angestellten gefährden. Zudem würden Arbeitskräfte häufig in entwürdigender Weise behandelt.

Die Autoren schreiben, die Computerprodukte der großen Konzerne entsprächen zwar dem neuesten Stand der Technik, aber die Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten seien erschreckend. Die meisten Tätigkeiten würden von schlecht ausgebildeten, gering bezahlten Arbeitern - in der Regel Frauen - in Entwicklungsländern ausgeführt. Während aber etwa die Bekleidungs- und Schuhindustrie in solchen Regionen mittlerweile bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen unter genauer Beobachtung ständen, hätten sich Computerunternehmen und die in der gesamten Lieferkette involvierten Auftragsfertiger dieser Kontrolle bislang mit Erfolg entziehen können.

Schnüffeln bei den Nachbarn

Cafod fand heraus, dass die Fabrikarbeiter in Drittländern in aller Regel nicht von den großen Computeranbietern direkt angeworben werden, sondern von Stellenvermittlungsagenturen. Direkt von OEM-Produzenten angeheuerten Arbeitskräften wird entsprechend den Gesetzen des Landes ein Mindestlohn gezahlt. Sie erhalten Zuzahlungen für Urlaub, im Krankheitsfall werden die Vergütungen nicht sofort eingestellt. All dies gilt nicht für von Vermittlungsagenturen angeworbene Arbeitnehmer.

Auch sonst ist die Behandlung dieser Arbeitskräfte schlechter. In Guadalajara, einer Millionenstadt im Westen des Hochlands von Mexiko, sollen Frauen bei ihrem Einstellungsgespräch in barscher Weise aufgefordert worden sein, sich komplett auszuziehen, damit sie medizinisch untersucht werden können. Begründung in einem Fall: Man wolle sehen, wie viele Tattoos die Arbeitswilligen am Körper trügen. Schwangerschafts- und Drogentests im Lauf des Einstellungsgesprächs sind die Regel.

Manchmal, so weitere Erkenntnisse der Cafod, versuchten die Agenturen auch, in der persönlichen Nachbarschaft eines Jobanwärters herumzuschnüffeln. Dabei wollen sie herausfinden, mit wem der Bewerber befreundet ist - ob zum Beispiel Drogensüchtige zu seinem Bekanntenkreis gehören -, oder ob er parteipolitisch aktiv ist. Insbesondere Personen, denen zugetraut wird, gewerkschaftliche Organisationsstrukturen zu etablieren, werden aussortiert.

Sind die Arbeitsuchenden dann eingestellt, leben sie in der ständigen Angst, ihren Job wieder zu verlieren. Viele erhalten nur Verträge über maximal drei Monate. Die meisten dieser Angestellten arbeiten jahrelang nur mit solchen immer wieder erneuerten Kurzverträgen - eine Praxis, die etwa in Mexiko offiziell verboten ist. Schwangere Frauen verlieren meistens ihren Job - ohne dass ihnen der Arbeitgeber irgendeine Kompensation zahlt.

Arbeiter, die um bessere Bezahlung bitten, werden laut Cafod-Bericht gefeuert, oder man droht ihnen damit, ihren Arbeitsplatz nach China zu verlegen, wo die Bezahlung noch geringer sei, die Leute aber besser arbeiten würden. Eine Drohung, die im Übrigen im globalisierten Kapitalismus längst Wirklichkeit ist: Die Wanderung von Arbeitsplätzen in Niedrigstlohnländer lässt sich beispielsweise an der Stafette USA, Taiwan, China nachvollziehen (siehe Grafik "Dramatisches Gehaltsgefällle"). Der Terminus technicus hierfür ist "Seagull capitalism" (Seagull = Möwe).

Viele Entwicklungsländer exportierten früher vor allem Wirtschaftsgüter wie etwa Kaffee, Zinn, Textilien, Holz, Bananen etc. Heute bestehen ihre Ausfuhren großteils aus Elektronik-, Halbleiter- und sonstigen Computerkomponenten, wie die Beispiele von Malaysia (53 Prozent vom gesamten Export), Costa Rica (35 Prozent), Thailand (26 Prozent), Philippinen (63 Prozent), Singapur (über 50 Prozent) unter anderem zeigen.

Insbesondere die Elektronikkomponentenindustrie, die für Computerhersteller von entscheidender Bedeutung ist, hat den Trend, Arbeitsprozesse vollständig an Drittproduzenten zu vergeben (Outsourcing), in starkem Maße bereits verwirklicht. Flextronics, einer der ganz großen Auftragsfertiger, sagt, man könne seinen Kunden, also zum Beispiel Hewlett-Packard, auf diese Weise 75 Prozent der Arbeitskosten ersparen.

China - billigste Arbeitskräfte locken

Generell ist es schwer, Informationen über die Arbeitsbedingungen in China zu bekommen. Cafod aber ist dies über eine Partnerorganisation gelungen. So rekrutieren etwa in Dongguan in der Provinz Guangdong Agenturen Arbeitskräfte aus ländlichen Gebieten. Dort sehen sich sehr viele Menschen gezwungen, praktisch alle Bedingungen anzunehmen. Oft, so der Cafod-Bericht, hätten diese Arbeitskräfte sich bei den Stellenvermittlungsagenturen schon verschuldet, bevor sie überhaupt zu arbeiten anfingen. Ihr Lohn liege häufig unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimum. Manche Arbeiter verdienen nur 37 US-Dollar pro Monat. Den Mindestlohn von 54 Dollar erzielen sie nur, wenn sie massiv Überstunden leisten. In Spitzenzeiten, so eine weitere Erkenntnis des Cafod-Berichts, arbeiten solche Werktätigen 15 oder 16 Stunden am Tag - und das sieben Tage die Woche.

Zudem sind diese Arbeitskräfte bei verschiedenen Produktionsabläufen gesundheitsschädigenden Bedingungen unterworfen. So seien sie unter anderem gefährlichen Chemikalien und Metallstaub ausgesetzt. Von Fließbandarbeitern wird erwartet, dass sie jeden Tag elf Stunden ununterbrochen arbeiten. Beschäftigte, die Monitore testen, müssten ebenso lang vor aufleuchtenden Bildschirmen sitzen. In solchen Firmen existieren keinerlei Gesundheits- oder Sicherheitseinrichtungen, schreibt Cafold.

Entwürdigende Behandlung bei Fehlern

Die großen Computeranbieter sehen sich der britischen Organisation zufolge mit einem schwierigen Geschäftsumfeld konfrontiert. Um deshalb die Kosten zu senken, lagern sie die Fertigung an Vertragsproduzenten in Billiglohnländern aus. Hierbei verlangen sie ihren Auftragspartnern möglichst niedrige Preise ab. Die Vertragsproduzenten wiederum vergeben Aufträge an Komponentenfertiger und pressen auch diesen erhebliche Preiszugeständnisse ab. Am Ende der Nahrungskette stehen dann die Arbeitnehmer, auf die der Preisdruck letztlich abgeladen wird.

In diesen Abhängigkeitsverhältnissen trägt übrigens der einzelne Arbeiter die Verantwortung für Fehler während des Produktionsablaufs. Die Strafen für Missgeschicke sind teilweise harsch und entwürdigend, schreibt Cafod: In einer chinesischen Fabrik etwa müssen Arbeiter, die einen Fehler gemacht haben, einen roten Kittel anziehen. In anderen Fabriken werden Strafzahlungen fällig.

Große Computerhersteller würden diesen Missständen in unterschiedlicher Weise begegnen, berichten die Cafod-Autoren. Prinzipiell hätten sie eine Verantwortung für alle Arbeitskräfte des gesamten Produktionsprozesses durchaus erkannt. Erste Schritte, die Arbeitsstandards ihrer Partner zu kontrollieren, gebe es ebenfalls. Auch hätten die drei im Cafod-Bericht untersuchten Computerhersteller HP, Dell und IBM mehr oder weniger taugliche Konzepte (Codes of Conduct), um ihre Lieferketten zu überwachen.

Alle drei Unternehmen träfen jedoch keine Anstalten, an den grundsätzlichen Geschäftspraktiken etwas zu ändern: Weder Dell noch IBM oder HP machen es ihren Lieferanten im zweiten oder dritten Glied zur Pflicht, Arbeitskodices zu verwirklichen. Hierzu müssten die Branchengrößen allerdings den Auftragsfertigern Preise zahlen, die es diesen ermöglichen, solche Standards tatsächlich einzuführen.

Zudem würden sich die örtlichen Organe sowohl in den Firmen als auch bei den Behörden den wirtschaftlichen Zwängen und dem Kostendruck zu häufig beugen. Dies führte dazu, dass sich die Arbeitskonditionen verschlechterten und eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt werde.

Ein Grund für die teils menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen ist auch im Verhalten der politisch Verantwortlichen in den Billiglohnländern zu suchen. Im Bestreben, Investitionen ins Land oder in eine bestimmte Region zu locken, würden sie nicht nur die Bildung von Gewerkschaften unterbinden, sondern zum Teil überhaupt keine Arbeitsgesetzgebung etablieren. In China etwa sind freie Gewerkschaften verboten. Allerdings, so Cafod, hätten auch die großen Computerhersteller oft etwas gegen diese Institutionen.

Jan-Bernd Meyer, jbmeyer@computerwoche.de

Einstellungshindernisse

- Homosexuell,

- schwanger,

- ermutigt andere möglicherweise, um bessere Arbeitsbedingungen zu verhandeln,

- sozial nicht tragbar,

- hat mehr als zwei Tattoos,

- trägt Ohrringe,

- Transvestit,

- hat drogenabhängige Freunde,

- hat lange Haare,

- aktives Mitglied einer politischen Partei,

- hat einen Bruder in einer Gewerkschaft,

- Vater ist Jurist,

- hat selbst eine Qualifikation als Jurist,

- ist über 30 Jahre alt.

Abb.1: Dramatisches Gehaltsgefälle

Die UN Conference on Trade and Development (Unctad) hat recherchiert, dass in den USA ein Produktionsarbeiter 47,8-mal mehr verdient als ein Chinese. Quelle: Unctad Trade and Development Report 2002

Abb.2: Fertiger im Minus

Die Branchenkrise hat den Auftragsfertigern zugesetzt. Quelle: CW