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Heftige Diskussion um Mehrwertsteuer im Online-Handel

21.06.2000
US-Anbieter befürchten Wettbewerbsnachteile

Von CW-Redakteur Hermann Gfaller

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Das E-Business wird erwachsen. Mit der EU-Richtlinie zur Besteuerung des Online-Handels endet der weitgehend rechtsfreie Zustand im Web. Obwohl insbesondere die Wirtschaft immer wieder klare Rahmenbedingungen angemahnt hat, kommen von dort die meisten Widerstände.

Ansätze, Steuern auf den Internet-Handel zu erheben, hat es mehrfach auch in den USA gegeben. Auch dort ist man sich einig, dass wer kauft, einen Obolus an den Fiskus entrichten muss. Gescheitert sind die Ansätze jedoch an den unterschiedlichen Regeln der einzelnen Bundesstaaten, die jenseits des großen Teiches für Verbrauchssteuern zuständig sind. Um diesen neu entstehenden Markt nicht durch unübersichtliche Regelungen abzuwürgen, hat die Regierung in Washington ein Moratorium durchgesetzt, das vorläufig auf jegliche Steuereinnahmen aus dem Internet-Handel verzichtet, und das 1998 verlängert wurde.

Die Europäische Union tut sich in Sachen Mehrwertsteuer leichter, weil es dafür bereits eine für alle Mitgliedsländer geltende Verordnung gibt, die lediglich einer Anpassung an die Verhältnisse im Web bedarf. Diese Änderungen wurden jetzt von EU-Parlament und –Rat vorgelegt. Der Vorschlag bedarf allerdings noch der Zustimmung aller EU-Mitglieder, bevor er als Richtlinie für alle Länder verpflichtend wird. Die Zustimmung ist allerdings zweifelhaft. Für Schwierigkeiten sorgt insbesondere, dass sich ausländische Anbieter einen Registrierungsort in Europa auswählen dürfen. Dadurch begünstige man einseitig europäische Niedrigsteuerländer wie Luxemburg. Laut "Spiegel" befürchten die Steuerspezialisten der Bundesregierung sogar, dass es zu "Steueroasen mit schlüsselfertigen Hinterziehungslösungen" komme. Ihre Zustimmung dürften die anderen Staaten daher von einer Korrektur dieser Passage etwa in Form einer Umlage

abhängig machen.

EU-Richtlinie soll Missstände abschaffen

Generell soll die vorgeschlagene Regelung, wie von der Wirtschaft gefordert, einem eklatanten Missstand abhelfen. So ist nicht einsehbar, dass für die gleiche Software im Laden Mehrwertsteuer fällig wird, während sie im Internet entfällt. Ähnlich ungerecht ist, dass Online-Händler, die anfassbare Waren wie CD-ROMs oder Bücher verkaufen ihren Anteil an den Fiskus abführen, während die selben Inhalte für E-Books oder als MP3-File am Finanzamt vorbei verkauft werden.

Die Richtlinie gilt ausschließlich für digitale Produkte. Dazu gehören Software, IT-Dienstleistungen, Informationen und Services im Kultur-, Sport-, Bildungs-, Wissenschafts- und Unterhaltungsbereich, sofern dafür Geld verlangt wird. Diese Liste umfasst auch Musik, Literatur sowie Radio und Fernsehsendungen. Anfassbare Waren wie CDs oder Bücher, die grenzüberschreitend online bestellt werden, sind nicht Gegenstand des Vorschlags, weil dafür längst Einfuhrumsatzsteuer bezahlt wird. Bei der Lieferung digitaler Produkte an Firmenkunden gilt, dass der Empfänger die an seinem Standort geltenden Steuern zu entrichten hat. Bei Lieferungen an Privatkunden ist es umgekehrt. Hier zahlt der Lieferant die in seinem Land geltenden Steuern. Unter diese Regelung fallen auch nichteuropäische Anbieter. Sie müssen sich, wenn sie Privatkunden innerhalb der Gemeinschaft beliefern wollen, in einem EU-Land ihrer Wahl registrieren lassen und zahlen die dort üblichen

Sätze. Ausgenommen sind Unternehmen, die in Europa weniger als 100 000 Euro Umsatz mit digitalen Produkten erwirtschaften. Ob ein Abnehmer ein Privatkunde oder ein mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen ist, erfährt der Online-Dienstleister von der Steuerverwaltung.

USA befürchten Wettbewerbsnachteil

Insbesondere bei den US-Anbietern ist die Aufregung groß. Sie befürchten einen Wettbewerbsnachteil, weil ihre Dienstleistungen und Produkte in Europa teurer werden, während die Europäer bei Lieferungen in die USA, anders als bisher, beim Export digitaler Produkte keine Steuern mehr abführen müssen. Dadurch werden Exporthürden der hiesigen Anbieter abgebaut, während der Import aus den USA verteuert wird. Die US-Anbieter stört neben den Kosten auch das bürokratisch anmutende Verfahren, wonach sie sich an einem Steuerort in Europa registrieren müssen, sobald sie im EU-Raum mit digitalen Produkten via Internet mehr als 100 000 Euro umsetzen. So hält es die amerikanische Software and Information Industry Association (SIIA) für eine Zumutung, dass US-Unternehmen für europäische Regierungen Steuern sammeln sollen. So zumindest interpretiert die Vereinigung die Aufgabe, Steuererklärungen an ihren jeweiligen Registrierungsort zu

schicken.

Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, müsste das amerikanische Steuermoratorium aufgekündigt werden. Daran haben insbesondere die Regierungen der US-Bundesstaaten großes Interesse, weil sie weit mehr als die Europäer von indirekten Steuern abhängen. Dennoch wäre eine solche Maßnahme höchst unpopulär, weil den Dotcoms in den USA Steuerfreiheit bis 2006 zugesichert wurde. Die unter Druck geratene US-Regierung reagiert inzwischen gereizt. So wirft der amerikanische Finanzminister den Europäern vor, einen nicht abgestimmten Alleingang zu versuchen, obwohl man doch im Rahmen der OECD über eine globale Regelung verhandle. Die EU-Kommission kontert, dass ihr Vorschlag OECD-konform sei und man nicht warten wolle, nur weil die Amerikaner nicht in der Lage seien ihre innenpolitischen Steuerinteressen zu klären.

Kann die EU-Richtlinie international umgesetzt werden?

Tatsächlich ist es ein Ziel der europäischen Verordnung, den Export von digitalen Produkten von der Mehrwertsteuer zu befreien, die hiesigen Anbieter damit den US-Lieferanten gleichzustellen, und so den elektronischen Handel auf der europäischen Seite anzukurbeln. Trotzdem gibt es auch hierzulande eine Reihe kritischer Stimmen. Sie monieren vor allem, dass die Regelung außerhalb der EU nicht umsetzbar sei. Wie, so die Frage, will man ausländische Unternehmen zwingen, sich an die Regeln zu halten?

Die Autoren des Vorschlags haben dieses Problem erkannt und mahnen Regelungsbedarf auf internationaler Ebene an. So gebe es keine Möglichkeit, Steuerhinterziehung ausländischer Firmen zu ahnden. Die EU geht allerdings davon aus, dass international ambitionierte Auslandsunternehmen durchaus Interesse daran haben, ihren steuerlichen Verpflichtungen auch in Europa nachzukommen. Häufen sie nämlich Steuerschulden an, bekommen sie rechtliche Probleme, sobald sie für ihre Expansion eine europäische Niederlassung brauchen. Auch würden solche Firmen für Übernahmen durch international agierende Konzerne weniger interessant, weil diese dann für die Steuerschulden aufkommen müssten.

Generell wird die Internet-Steuer in Europa jedoch begrüßt, weil damit der Internet-Handel in das bestehende Wirtschaftssystem integriert wird und gravierende Ungerechtigkeiten im Handel behoben werden. Es gibt schließlich keinen Grund, warum über Internet verkaufte Bücher steuerpflichtig sein sollen und Software nicht.

PRO UND KONTRA

Die Finanzminister wollen die noch junge Internet-Branche melken.

EU*: Die hier zu erwartenden Steuerausfälle werden im Vergleich zum klassischen Handel von allen Fachleuten als sehr gering eingeschätzt – zumal es nur um den rein digitalen Teil des Online-Handels geht. Vielmehr geht es um mehr Steuergerechtigkeit im grenzüberschreitenden Handel.

Ein neu entstehender Markt wird durch bürokratische Regeln abgewürgt statt gefördert.

EU: Gerade die Wirtschaft hat nach klaren steuerlichen Rahmenbedingungen verlangt. Nur dadurch, so die gemeinsame Erkenntnis, lässt sich das Vertrauen der Kunden für dieses Geschäftsmodell gewinnen und dessen Potenzial entfalten.

Statt Steuern zu senken, wird wieder einmal eine neue Steuer eingeführt.

EU: Es wird keine neue Steuer eingeführt, sondern lediglich das Steuerrecht für Dienstleistungen an den Internet-Handel angepasst. Außerdem entfallen künftig die Steuern für die europäischen Anbieter beim Export digitaler Waren.

Die Unternehmen sehen sich nicht in der Lage, wie verlangt, zwischen Privat- und Firmenkunden unterscheiden.

EU: Die Information, wer Firmenkunde ist, liefern die Steuerbehörden.

Man kann Ausländer nicht zwingen, EU-Recht einzuhalten.

EU: International agierende Unternehmen haben ein natürliches Interesse, Strafen und Steuerschulden in einer Region zu vermeiden, in der sie möglicherweise bald nicht nur über Internet präsent sind. Außerdem fallen beim grenzüberschreitenden Handel auch schon jetzt Steuern an. Diese Regeln werden lediglich um den Handel mit digitalen Produkten erweitert. Im Rahmen der OECD wird bereits an internationalen Handelsabkommen für digitale Produkte gearbeitet.

US-Firmen werden benachteiligt.

EU: Bislang mussten europäische Online-Anbieter an ihrem Standort Mehrwertsteuer für den Handel mit dem Ausland abführen, die US-Unternehmen dagegen sind zu Hause von der Steuer befreit. Es wird also für mehr Steuergerechtigkeit gesorgt, die zugegebenerweise erst dann in vollem Umfang greift, wenn die USA - wie längst geplant - ihre Steuerbefreiung aufheben.

DIE PLÄNE DER EU

Die Mehrwertsteuer auf kostenpflichtige Dienstleistungen an gewerbliche Kunden wird vom Kunden geschuldet. Eine Registrierung von Unternehmen, die in EU-Staaten exportieren, ist daher nur bei Dienstleistungen an private Kunden erforderlich.

Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union, deren Geschäftsvolumen mit digitalen Produkten in der EU unter 100 000 Euro liegt, müssen sich nicht registrieren lassen.

Künftig reicht die Registrierung an einem Ort aus, so dass das Unternehmen sämtliche Mehrwertsteuern an eine Behörde abführen kann. Dadurch werden weltweit alle Unternehmer beim Verkauf im EU-Raum gleichgestellt.

Registrierung und Steuererklärung erfolgen elektronisch.

Die Steuerverwaltungen stellen den Unternehmen die nötigen Informationen über den Steuerstatus zur Verfügung, um zu erkennen ob und inwieweit ein Umsatz mit Steuern zu belasten ist.

*Die EU-Statements sind sinngemäß EU-Papieren, zumeist dem Vorschlag selbst entnommen.