Der Mail-Filter-Markt steht vor dem Ausverkauf

Hap:py Birth.day, Spam!

14.05.2004
MÜNCHEN (CW) - Spam, die unverlangt zugesandte elektronische Post, weitet sich zu einem ernsten Problem für Anwenderunternehmen aus. Doch auch die Spezialhersteller von Spam-Filtern sind zuletzt unter Druck geraten. Auf die meisten von ihnen wartet die Übernahme - wenn alles glatt geht.

Software zu teuer, Körperteile zu klein, Viagra-Rezept abgelaufen? Kein Problem, es gibt für alles eine Lösung im Web. Da Surfer nicht lange suchen wollen, senden Händler ihre Angebote unaufgefordert per E-Mail ins Haus. Seit genau zehn Jahren geht das so, als am 12. April 1994 erstmals eine Rechtsanwaltskanzlei aus Arizona auf diesem Weg für ihre Dienste warb. Die Aktion soll sich gelohnt haben, berichtete Spam-Pionier Laurence Canter vor zwei Jahren in einem Interview. Mittels eines simplen Perl-Scripts sammelte er Adressen von Newsgroups, die er daraufhin zum Thema "Green Card Lottery" mit Informationen flutete. Der Aufschrei der Community war groß, der Effekt indes gleich null. Die Büchse der Pandora, die von Canter geöffnet wurde, lässt sich nicht mehr schließen.

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Zehn Jahre Spam lassen nur ein ernüchterndes Fazit zu: Die Selbstregulierung ist eine Illusion, Gesetzesinitiativen sind wirkungslos, das Abwarten der Betroffenen führt zu nichts. Auf diesen drei Ebenen spielen sich auch die unterschiedlichen Versuche ab, das Spam-Problem einzugrenzen: Solange sich Spam finanziell lohnt, wird weitergemailt - E-Mails müssen mit einer (wie auch immer gearteten) Gebühr belegt werden, lautet eine Forderung. Solange nationale Gesetze im globalen Internet zu kurz greifen, wird weitergemailt - eine internationale Harmonisierung muss angestrebt werden, so der zweite Vorschlag; solange Anwender keine Gegenmaßnahmen ergreifen, wird weitergemailt - Filterlösungen müssen angeschafft werden, sagt die dritte Empfehlung.

Letzterer Rat ist nicht nur von den Anbietern der Spam-Filter zu hören, sondern zunehmend von den Anwendern selbst. Der Hintergrund: Im Lauf der Jahre hat sich die elektronische Post zu einer strategischen Anwendung entwickelt, die ein Laissez-faire im Umgang mit dem Spam-Problem verbietet. Die Werbe-Mails blockieren teure Arbeitszeit im Support und an den Arbeitsplätzen, darüber hinaus wird die IT-Infrastruktur belastet, Unternehmen fangen sich Viren und Würmer ein, Ausfallzeiten des Mail-Systems sind teuer und peinlich, rechtliche Rahmenbedingungen zur Geschäftskorrespondenz und ihrer Archivierung wurden verschärft. Abgesehen von den Fakten: Spam nervt, und er wird immer mehr.

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Die Branche ist voll von Studien, die ein weltweites Anschwellen der Massen-Mails erkannt haben. Ein schneller Blick ins eigene Postfach bestätigt diese Analysen. Dennoch sind sie mit Vorsicht zu genießen, denn die Zahlen weichen stark voneinander ab. So berichten die Marktforscher der kalifornischen Radicati Group von einem Anstieg der Spam-Mails in diesem Jahr um 115 Prozent auf 35 Milliarden Stück. Gartner schätzt den Spam-Anteil am E-Mail-Aufkommen in Unternehmen auf 60 bis 75 Prozent, laut IDC waren 2003 ein Drittel aller Mails in den USA unerwünscht.

Auch die Filteranbieter werfen mit großen Zahlen um sich und warnen vor dem Untergang der E-Mail. So hat Brightmail im April 2004 eigenen Angaben zufolge mehr als 96 Milliarden Mails im Kundenauftrag gefiltert. Postini kontrolliert laut Selbstauskunft pro Woche mehr als eine Milliarde Mails. Zudem häufen sich "Studien" der Anbieter mit dem Tenor: Das eigentliche Problem sind die Endanwender, die Lösung ist einzig in der Technik zu finden. Gartner bestätigt zumindest den ersten Punkt mit einer aktuellen Untersuchung: Demnach hätten 19 Prozent der US-amerikanischen Surfer, die bereits eine "Phishing-Mail" erhalten haben, auf den darin enthaltenen Link zu einer gefälschten Website geklickt. Immerhin noch drei von hundert hätten dieser Seite, die Web-Auftritte beispielsweise traditioneller Finanzdienstleister kopiert, sicherheitsrelevante Informationen übermittelt.

Egal, wie die Zahlen auch gewichtet werden, ein Trend ist klar erkennbar: Zehn Jahre Spam sind eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Auf dieser Welle schwammen in den vergangenen Jahren auch die Hersteller von Filterlösungen. Inzwischen haben sich drei Ansätze zur Schädlingsbekämpfung herausgebildet: Software, Appliances und Services. Zur ersten Gruppe gehört die Firma Brightmail, die schon seit 1998 im Anti-Spam-Geschäft ist. Andere Anbieter sind etwa Tumbleweed Communications, Proofpoint oder Clearswift. Bei den Appliances (vereinfacht: Pakete aus Hardware, Betriebssystem und Applikationen zum Auspacken und Anschalten) kämpfen Ciphertrust und Ironport Systems um die Gunst der Entscheider. Letztere Firma hat vergangene Woche einen Vertragsabschluss mit Microsofts Online-Diensten MSN und Hotmail gemeldet. Borderware und Barracuda sind weitere Hersteller.

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Überaus rege gestaltet sich die Szene der Dienstleister, die E-Mails der Kunden über eigene Systeme und durch ihre Filter leiten. Postini, Messagelabs, Frontbridge Technologies und MX Logic lauten die Namen der Anbieter. Sie unterscheiden sich - wie in den anderen Anti-Spam-Segmenten auch - durch die Qualität der Mail-Klassifizierung beziehungsweise anhand der Möglichkeit, die Dienste für den eigenen Bedarf zurechtzuschneidern.

Der Markt der Mail-Filter wird dadurch geprägt, dass bis vor kurzem vornehmlich kleine Spezialanbieter in dem Gebiet tätig waren. Analysten siedeln die Zahl der Lieferanten zwischen 40 und weit über 100 an. Inzwischen konsolidiert sich das Segment, da unter anderem auch die etablierten Security-Konzerne das Geschäftsfeld - mit der üblichen Reaktionsfrist - entdeckt und als lukrativ eingestuft haben. Sophos kaufte Activestate im vergangenen September, Ironport tat sich kurz darauf mit Spamcop zusammen. Die Kasseler Cobion AG schlüpfte bei Internet Security Systems (ISS) unter, Tumbleweed übernahm den Appliances-Hersteller Corvigo, Surfcontrol verleibte sich Mitte April Messagesoft ein, das ebenfalls Komplettgeräte anbietet. Laut Gartner werden 30 der rund 40 Anbieter von der Bildfläche verschwinden.

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Abgerundet wurde der Übernahmepoker mit dem Kauf der Paderborner Webwasher AG durch die US-amerikanische Firma Cyberguard. Für das Siemens-Spinoff, das einst mit Web-Content-Filtern gestartet war und inzwischen auch Anti-Spam-Tools anbietet, wurden 50 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt. Die Anbieterlandschaft verändere sich mit "Warp-Geschwindigkeit", bilanziert die Meta Group. Die angestrebte Karriere der Lieferanten ist durchaus IT-typisch: gründen, wachsen, übernommen werden.

Gemeinhin gilt das Spezialsegment als eine der Perlen im Bereich IT-Security, der ohnehin gut läuft. So gehen die Marktforscher der Radicati Group davon aus, dass im laufenden Jahr knapp eine Milliarde Dollar mit Programmen und Diensten umgesetzt wird, die sich der E-Mail-Filterung annehmen. Dies sei gleichbedeutend mit einer Wachstumsrate von mehr als 50 Prozent gegenüber 2003. Ende des Jahres, so die Analysten, sei über die Hälfte der aktiven Mailboxen durch eine oder mehrere Anti-Spam-Lösungen gesichert. Typisch seien sogar zwei bis drei unterschiedliche Filterschichten, hieß es. Die so genannte Phantasie - der Vertrauensvorschuss der Anleger - in die Spezialisten ist angesichts der Prognosen immens.

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Indes sieht die Realität nicht ganz so rosig aus. Cyberguard setzte im ersten Quartal gerade einmal 13 Millionen Dollar um, der Verlust belief sich auf zwei Millionen Dollar. Wert war die Company an der Börse etwa 220 Millionen Dollar. Commtouch verzeichnete im vergangenen Jahr einen Umsatzeinbruch um 90 Prozent auf 329000 Dollar. Die Company ist aber an der Börse immer noch 20 Millionen Dollar schwer. Tumbleweed wurde mit einem Quartalsumsatz von zuletzt zehn Millionen Dollar bei Verlusten sogar mit einer Marktkapitalisierung von etwa 300 Millionen Dollar bewertet. Der Kurs des Unternehmens hatte sich im vergangenen Jahr mehr als versechsfacht. Allerdings nahm der Höhenflug Ende April ein jähes Ende: Weil Tumbleweed die Erwartungen nicht erfüllen konnte, verlor die Aktie die Hälfte des Werts - und die Firma ihren Chef. Das Klima für die Spezialisten wird rauher.

Mitte März hat Brightmail Unterlagen für den Börsengang eingereicht, Postini erwägt den gleichen Schritt - vielleicht die letzte Chance, auf der Hype-Welle an das große Geld zu kommen. Gartner prognostiziert für 2004 reine Umsätze mit Neulizenzen von 155 Millionen Dollar. Die Steigerungsrate gegenüber 2003 wird auf 62 Prozent beziffert. In den zwei Jahren zuvor hatte sich das Marktvolumen allerdings noch verdoppelt. Für 2005 gehen die Analysten von einem Rückgang der Einnahmen um zehn Prozent aus, danach schrumpft das Volumen deutlich schneller. Ein Grund sei der Preisdruck, der auch in dem Segment herrsche. Zudem wollen Anwender umfassende Lösungen für den Mail-Schutz, die von den Spezialisten häufig nicht angeboten werden können.

Betroffene Anwenderunternehmen müssen in dieser Situation abwägen, wie viel ihnen der Investitionsschutz wert ist. Die Chance, dass ihr Lieferant gekauft wird oder aus dem Rennen ausscheidet, ist groß. Die Chance, mit Spam-Mails zugemüllt zu werden, während sie auf die umfassende Lösung eines stabilen IT-Konzerns warten, ist um ein Mehrfaches größer. (ajf)

Papier ist geduldig

Anfang des Jahres ist in den USA der "CAN-Spam-Act" in Kraft getreten, mit dem die Massen-Mails eingedämmt werden sollen. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Sex-Mails als solche gekennzeichnet sein müssen und keine falschen Absenderangaben mehr gemacht werden dürfen. Zudem soll ein landesweites Register geschaffen werden, in das man sich eintragen kann, falls man keine Werbe-Mails bekommen will. Allerdings wurde Spam nicht generell verboten, und ausländische Mailer lassen sich damit nur schwer dingfest machen.

Anfang April hat der Deutsche Bundestag die Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) beschlossen, es wird voraussichtlich Mitte des Jahres in Kraft treten. Die Theorie: Werbe-Mails erhält, wer sich vorher dafür anmeldet (Opt-in-Regelung). Verbraucher haben kein Klagerecht, dies beschränkt sich auf Verbraucherverbände, Wettbewerber sowie IHKs. Ausländische Mailer sind, ähnlich wie in den USA, vom UWG nicht wirklich betroffen.

Abb: Umsätze mit Anti-Spam: Starkes Wachstum - tiefer Fall

Nach dreistelligen Wachstumsraten in den vergangenen Jahren schrumpfen die reinen Anti-Spam-Umsätze. Anwender wollen keine isolierten Lösungen, sondern Pakete. Quelle: Gartner Datquest (April 2004)