warum technisches know-how nicht alles ist

Handwerker kontra Philosophen

01.07.1999
Informatiker haben nicht nur ein Kommunikationsproblem, sie sind auch unfähig, es zu erkennen, meint Siegfried Wendt. Im Gespräch mit CW-Redakteurin Alexandra Glasl erklärt der Direktor des Hasso-Plattner-Instituts, wie er seinen Studenten das Reden beibringen will.

young professional Herr Professor Wendt, wo ordnen Sie das Hasso-Plattner-Institut für Software-Systemtechnik (HPI) in der deutschen Hochschullandschaft ein?

wendt Das HPI ist in der Presse fälschlicherweise als Elite-Universität bezeichnet worden. Herr Plattner ist sich bewußt, daß er, auch wenn er viel Geld gibt, keine Uni stiften kann. Er sieht das HPI als Ergänzung des universitären Angebots, deswegen haben wir auch einen Kooperationsvertrag mit der Universität Potsdam. Unsere finanzielle Ausstattung erlaubt die Größe eines Fachbereichs. Wir wollen aber nicht nur die Zahl der Informatikstudienplätze um 100 erhöhen, sondern etwas Vorbildhaftes leisten, in der Hoffnung, daß wir Nachahmer finden. Wenn wir gute Absolventen hervorbringen können, haben wir unser Ziel erreicht.

young professional Aber einen Elite-Anspruch hat sich das HPI trotzdem auf die Fahnen geschrieben, auch wenn es nur die Größe eines Fachbereichs hat.

wendt Die Idee, überdurchschnittliche Absolventen auszubilden, ist richtig. Zumindest unsere Master-Absolventen sollen potentielle Führungskräfte sein. Wir schulen nicht den Sachbearbeiter, auch wenn er noch so gut programmieren kann. Unser Ziel ist es, nicht nur Teamleiter für sechs Leute, sondern zum Beispiel auch Entwicklungsleiter mit einer Verantwortung für 3000 Mitarbeiter und mehr auszubilden. Ein Softwaresystem-Ingenieur soll größere Gruppen von Fachleuten führen, umfangreiche Teilaufgaben zerlegen und an kleinere Gruppen delegieren können. So jemand kann keinen Abschluß mit der Note vier haben, das ist undenkbar. Natürlich heißt vier ausreichend, aber für was ausreichend? Vielleicht, um irgendwo einen Job zu finden, mit dem man Geld verdienen kann, aber sicher nicht, um eine größere Verantwortung zu übernehmen.

young professional Sind die sehr guten Noten das ausschlaggebende Kriterium für die Auswahl der Studenten?

wendt Wer den Numerus Clausus schafft, muß nicht unbedingt geeignet sein. Wir haben unsere Vorstellungen, welche Leute geeignet sind. Das können wir nur durch Beratung, aber nicht durch Paragraphen regeln. Wir wollen schon früh darauf aufmerksam machen, wenn einer nicht unseren Anforderungen entspricht. Die Schlechten sind im Wissenschaftsbetrieb schnell das fünfte Rad am Wagen, werden nicht so gehätschelt von den Professoren wie die besonders Guten, die als wissenschaftliche Hilfskräfte aufgenommen werden.

young professional Ist die Auslese am HPI im Vergleich zu staatlichen Instituten also auch während des Studiums härter?

wendt Wir wollen eigentlich keine Vieren vergeben, sondern nur Einsen und Zweien. Nun werden wir aber Leute mit schlechteren Noten haben, die wir rechtlich nicht hinauswerfen können. In der Betreuungskapazität und den interessanten Projekten sind wir aber beschränkt. Das heißt, daß die besonders Guten die besonders interessanten Projekte bekommen werden. Die Schlechten werden schnell merken, daß es möglicherweise eine Zwei-Klassen-Gesellschaft am Institut geben wird. Die wollen wir eigentlich nicht. Jeder, der jahrelang in der Studentenberatung war, bestätigt, daß bei guter Beratung die Schwächeren von allein gehen und etwas anderes machen, weil es besser für sie ist. Es ist vernünftiger, woanders einen befriedigenden Abschluß zu machen, als bei uns im letzten Glied zu marschieren und es täglich zu spüren.

young professional Sie haben jetzt viel von Beratung gesprochen. Die finden Studenten an staatlichen Universitäten ja oft weniger. Wie sollen die Studenten des HPI betreut werden?

wendt Wir wollen das amerikanische Universitätssystem, in dem Beratung eine große Rolle spielt, etwas nachmachen. Dort wird der Student eher als Kunde akzeptiert und hofiert. In Amerika hat mich tatsächlich einer meiner Studenten um 22 Uhr angerufen, als er bei einer Übungsaufgabe nicht weiterkam. Das wäre bei uns undenkbar. Dieses entkrampfte Verhältnis soll aber gerade das HPI prägen. Wir werden früh jedem Studenten einen wissenschaftlichen Berater zuordnen, der ihn möglichst durch das ganze Studium begleitet. Der Berater muß genau wissen, wo sein Student steht, wo er Schwächen hat und Hilfe braucht. Wir wollen anders als die anonyme Universität ein Familienbetrieb sein.

young professional Sie haben sich vorgenommen, den Studenten den großen Überblick zu vermitteln, ohne sich in Details zu verlieren. Wie soll das umgesetzt werden?

wendt Im wesentlichen muß Modellierungs- und Darstellungsmethodik gelernt werden. Im Bauingenieur-, Maschinenbau- oder Elektrotechnikstudium wird vier Semester lang nur dargestellt, modelliert und analysiert. Gegebenes wird präsentiert und diskutiert. Erst im fünften Semester fängt man an, aufgrund des bisher Gesehenen zu konstruieren. In der Informatik beginnt die Konstruktion 14 Tage nach Studienbeginn. Das ist unmöglich.

young professional Sollen Ihre Studenten mehr diskutieren als konstruieren?

wendt Wir bilden die Studenten dazu aus, darzustellen, Fragen zu stellen und in richtigen Kategorien zu strukturieren. In der Software müssen wir Gedanken darstellen, die Programmzeilen sind nur Sprache, und Sprache ist dargestelltes Denken. Spezifikation ist nichts anderes als hingeschriebener menschlicher Wille. Implementierung ist das Hinschreiben für die Maschine, damit sie weiß, was wir wollen.

young professional Warum ist Sprachvermögen gerade für Informatiker so wichtig?

wendt Die meisten Leute können sich nicht vorstellen, welche Kommunikationshürden in einer großen Softwarefirma zu überwinden sind. Ich habe vor kurzem einen Aufsatz mit dem ketzerischen Titel "Das Kommunikationsproblem der Informatiker und ihre Unfähigkeit, es wahrzunehmen" geschrieben. Das ist tatsächlich so. Was in der Informatik geschrieben wird, ist keine Fachsprache, sondern Kauderwelsch, Vernebelung, Unfähigkeit.

young professional Die Informatiker wollen aber zum Teil auch gar nicht anders.

wendtWas denken Sie, welche Widerstände da sind, wenn man Dinge transparent und verständlich machen will, so daß es auch der Durchschnittsfachmann versteht. Dann heißt es doch, Sie hätten Informationsmonopole in den Köpfen der Leute zerstört: "Wenn ich nicht der einzige bin, der es weiß, und es sogar verständlich nachlesbar ist, dann habe ich meinen Guru-Status verloren. Bisher müssen sie doch alle auf den Knien rutschen und mich um Informationen bitten. Jeder bewundert, was ich alles weiß." Diesen Status gibt doch keiner freiwillig auf. Die Informatik ist selbst schuld, sie hat das Guru-Wesen gezüchtet - auch wenn die Professoren jetzt darüber jammern.

young professional Wie sehen dann Ihre Wunschkandidaten aus?

wendt Sie brauchen Freude an der Präzision der Kommunikation, am Erklären und ein gewisses didaktisches Geschick. Das größte Glück ist es, wenn es die anderen auch kapiert haben, schließlich hat man immer mit anderen Menschen zu tun. Es ist noch nicht einmal wichtig, daß sie im Abitur Leistungskurs Mathematik hatten. Wenn sie gescheit und motiviert genug sind sowie die kommunikative Eignung mitbringen, können sie auch Altgriechisch belegt haben. Englisch müssen sie können, weil wir auch Gastdozenten aus dem Ausland, vor allem aus Amerika, haben, die dann die Vorlesungen auf Englisch halten.

young professional Und wie steht es mit den Programmierkenntnissen?

wendt Am liebsten sind mir eigentlich die, die noch nicht programmiert haben. In der Elektrotechnik stellen die Funkamateure auch ein besonderes Problem dar. Die kommen an die Uni und glauben, sie wüßten schon alles. Denen müssen Sie erst einmal beibringen, daß sie nichts wissen. Programmieren als Heimwerker hat mit Software-Engineering nichts zu tun.

young professional Mit diesem Standpunkt schrecken Sie aber viele potentielle Kandidaten. In der Regel wird gepredigt, daß man sich schon während der Schulzeit intensiv mit dem Computer beschäftigen soll.

wendt Wer ist daran interessiert, daß alle Schulen vernetzt werden? Zum einen die Hersteller, die damit ein wahnsinniges Geschäft machen. Zum anderen die alten Bildungspolitiker, die selbst computerscheu und der Meinung sind, sie würden es verstehen, wenn man es ihnen in der Schule beigebracht hätte. Das bringt nichts. Die jungen Leute erwerben sich auch außerhalb der Schule Kenntnisse am Computer, so daß keinerlei Scheu vor dem Computer überwunden werden muß.

young professional Ist in der Broschüre für das HPI bewußt kein einziger Computer abgebildet?

wendt Ja, die Software-Systemtechnik stellt menschliches Denken dar. Unser Bewußtsein läßt uns Information erleben. Man muß darüber nachdenken, wie wir kommunizieren. Das ist nicht alles nur Formalismus. Wir müssen die Brücke schlagen zur intuitiven Semantik. "Käse" zum Beispiel wird assoziiert mit Frankreich. Der Rechner hat keine intuitive Semantik von Käse. Ich wüßte nicht, wie ich einen Rechner bauen sollte, der sich über französischen Käse freut. Da fehlt eine Kategorie. Darum will ich Leute haben, die bereit sind, mit mir diesen Ausflug in die Analyse menschlichen Denkens mitzugehen. Was gab es schon an Strukturen, bevor der Computer erfunden wurde? Ich muß über Kommunikation im menschlichen Bereich nachdenken. Letztlich wird unser Weltbild in Codeformen im Computer abgebildet.

young professional Sehen Sie die Software-Systemtechniker als Philosophen?

wendt Unsere Leute reden in philosophischen Kategorien, während die anderen im Handwerklichen verhaftet bleiben. Der eine spricht von Kupplung und der andere von Drehmoment. Dieses Wort ist eine wahnsinnige physikalische Abstraktion. Deswegen muß man anders über die Systeme reden.

young professionalWenn wir die Zeit vier, fünf Jahre weiterdrehen, wo sehen Sie dann Ihre Software-Philosophen im Einsatz?

wendt Ich bin überzeugt, daß sie uns aus den Händen gerissen werden. Es war vom ersten Tag an klar, daß das HPI keine Ausbildungsstätte für die Firma SAP ist. Das SAP-System wird nur eines unter vielen Systemen sein, mit denen man sich befaßt. Wir werden auch CAD-Systeme oder Filmkonstruktionssoftware betrachten. Die Palette der Funktionen wird sehr breit sein.

young professional Welchen Einfluß hat Hasso Plattner als Geldgeber?

wendt Herr Plattner hat den gleichen Einfluß auf das Institut wie es ein Aufsichtsrat auf die Produktplatte einer Firma hat. Der Vorstand legt die Richtung fest, der Aufsichtsrat kann den Vorstand entlassen, wenn er entgegen seinem Willen handelt. Herr Plattner kann mir nichts vorschreiben, solange ich Direktor bin. Wir diskutieren miteinander. Ich handle den Studiengang mit der Universität Potsdam aus.