Der Computer hält Einzug in die Konzertsäle:

Hancock und PS/2 spielen vierhändig

19.08.1988

MÜNCHEN (CW) - Im Scheinwerferlicht des Münchner Gasteig wurde es offenbar: Die Tasten des Konzertflügels bewegten sich wie von Geisterhand. Doch was wie ein simpler Jahrmarktstrick aussah, entpuppte sich als konzertantes High-Tech-Spektakel: Hier griff der Computer in die Tasten.

Was von den IBM-Organisatoren indes als Weltpremiere angekündigt worden war, hatte die Welt schon gesehen. Der von der Wiener Bösendorfer Klavierfabrik AG hergestellte Computerflügel ist bereits mehrfach präsentiert worden, so auch 1986 während der "Internationalen Sommerakademie" in Salzburg. Neu an der Präsentation in München war Herbie Hancocks musikalisches Ego-Meeting, "Herbie Hancock meets Herbie Hancock" betitelt und als musikalisches Experiment angekündigt, sollte Hancock über selbst eingespielte Stücke improvisieren.

Als er frenetisch umjubelt den Saal betrat, zierten zwei Bösendorfer-Instrumente und ein IBM-Computer die Bühne. In weiches Scheinwerferlicht getaucht, begann Hancock eine sehr ruhige, lyrische Melodie einzuspielen, wechselte danach an den zweiten Flügel, und während der Computerflügel das eben gespeicherte wiedergab, improvisierte Hancock darüber. Zur Freude von Veranstalter und Publikum avancierte sein Spiel zur musikalischen Sternstunde.

Hancock, der bereits als Elfjähriger im Konzertsaal debütierte, gilt als einer der besten Jazzpianisten. Er studierte neben seiner musikalischen Ausbildung Elektrotechnik und setzte diese Kenntnisse auch musikalisch um. Mitte der siebziger Jahre entwickelte er sich zum Tüftler elektronischer Sounds und landete mit seichten Computerrhythmen kommerzielle Erfolge. Aber gerade wegen seiner Vielseitigkeit und Experimentierfreude schien Hancock für die Organisatoren der richtige Musiker, um den Computerflügel vorzustellen.

"Man wollte einen Mann, der positiv an die Sache herangeht und gleichzeitig glaubwürdig ist", erläutert Dieter Huober von der IBM. Hancocks anfängliche Skepsis gegenüber dem Bösendorfer-Projekt ist nach dem Konzert völlig gewichen. Er hält den Computerflügel für die derzeit beste Wiedergabemöglichkeit von Klaviermusik.

Entwickelt wurde der Konzertflügel in 15 Jahren Forschung vom Amerikaner Wayne Stahnke in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Bösendorfer in erster Linie als didaktische Hilfe für Musikhochschüler. Ziel der Entwicklung war es (unter Ausschaltung der üblichen Aufnahme- und Wiedergabesysteme), das Klavierspiel bis ins kleinste Detail reproduzierbar zu machen.

Dabei wird jede Bewegung des Hammerkopfes im Piano bis zu 800 mal pro Sekunde optisch gemessen. Das Signal wird vom PS/2 digitalisiert und gespeichert. Bis zu 1024 dynamische Abstufungen des Anschlags sind möglich (man schätzt, daß ein normaler Profipianist bis zu 40 unterschiedliche Anschlagsnuancen produzieren kann). Für die Wiedergabe greift das Signal mit Hilfe eines komplizierten Magnetverfahrens direkt in die Mechanik des Flügels und setzt die Hämmer wieder in Bewegung. Die vollkommene Authentizität des Originals soll damit gewährleistet werden.