Versorgungswirtschaft/Software für die Stadtentwässerung

Hamburg: Ein optimierter Ressourceneinsatz für die Instandhaltung

02.06.2000
Um die komplexen Anforderungen an Unterhaltung und Instandhaltung des Hamburger Sielnetzes zu koordinieren, setzt man in der Hansestadt auf DV-Unterstützung. Ein im eigenen Haus entwickeltes Programm hilft, den Personal- und Maschineneinsatz zu planen und die ausgeführten Arbeiten sauber zu dokumentieren. Ergebnis für die Bürger: Die Effizienz legte um bis zu 30 Prozent zu. Peter Niedrich* schildert, warum in Hamburg die Abwassergebühren konstant bleiben konnten.

Mit Datenverarbeitung als originärer Aufgabe hat die Hamburger Stadtentwässerung natürlich nichts zu tun. Vielmehr ist es das Sielnetz, das für die ordnungsgemäße Ableitung der Abwässer sorgt. Und Umfang und Betrieb des Sielnetzes - der Hamburger Sprachgebrauch für die Abwasser sammelnden und ableitenden Kanäle - haben es in sich. Denn die Hamburger Stadtentwässerung sammelt Abwasser in einem Einzugsgebiet von rund 300 Quadratkilometern und leitet es über ein System von Sielen, Sammlern, Pumpwerken und Stammsielen mit mehr als 5300 Kilometern Länge in Richtung Klärwerke ab.

Damit die Funktionsweise des Netzes, dessen älteste Wurzeln mehr als 150 Jahre zurückliegen, jederzeit garantiert ist, müssen kontinuierlich Inspektionen, Reinigungsarbeiten, Wartungs- oder Reparaturtätigkeiten vorgenommen werden. Zerlegt man das Netz in wartbare Abschnitte, müssen die Mitarbeiter der Hamburger Stadtentwässerung für mehr als 600000 Objekte diese drei Tätigkeiten erbringen und nachweisen.

Objekt ist aber nicht gleich Objekt, und dementsprechend unterscheiden sich auch die Tätigkeiten. Denn ein Objekt kann ein Kanalabschnitt sein, es kann sich aber auch um einen Schacht, einen Schieber, eine Pumpe oder Ähnliches handeln. Hinzu kommen die mitunter deutlichen Größenunterschiede. Beispielsweise gibt es Kanalabschnitte mit 4,80 Metern Höhe, die mit Booten per Augenschein begutachtet werden, während bei anderen mit 30 Zentimetern Durchmesser die Inspektion nur noch mit Hilfe der Kanalfernaugenuntersuchung, einer Art fahrender Kamera, vorgenommen werden kann.

Die jeweiligen Objekte verfügen folglich über eigene Inspektions-, Wartungs- und Reinigungsrhythmen, deren Einhaltung differenziert nachgewiesen werden muss. Rund 180 Teams der Hamburger Stadtentwässerung sind deshalb ständig auf Achse, um die anfallenden Aufgaben durchzuführen. Dabei dient ein gemeinsam mit der Stadt erstellter Katalog, der sich an den gesetzlichen Bestimmungen und den Vorgaben der Abwassertechnischen Vereinigung orientiert, als Vorgabe. Zur Größenordnung: Im Mittel werden pro Jahr 800000 Tätigkeiten durchgeführt, für die Personal und Maschinen bereitzustellen sind.

Zur Verwaltung und zum Nachweis dieser Tätigkeiten diente zunächst das gute, alte Karteikartensystem. Karteikarten lassen sich mit vernünftigem Aufwand allerdings nur nach einem einzigen Kriterium, beispielweise der alphabetischen Reihenfolge, sortieren, da das Anfertigen von Doubletten schnell zu Inkonsistenzen führt. Für die Instandhaltung des Netzes ist aber die freie Sortierung wünschenswert, damit es möglich ist, die Arbeiten stärker zu verzahnen. Mit dem traditionellen Verfahren stößt man jedoch schnell an Grenzen. Schließlich kann nur dann der Einsatz optimiert werden, wenn es Verdichtungsmöglichkeiten für Zeit, Ort und Art der Tätigkeit gibt - und das ist natürlich eine klassische DV-Aufgabe.

Auf einer anderen Seite stand der Hamburger Stadtentwässerung bereits eine Möglichkeit zur Verfügung, die in den frühen Neunzigern in Kommunen nicht die Norm war: Man hatte prinzipiell Zugriff auf die digitalisierte Stadtgrundkarte (Kataster) der Hansestadt, auf der das Sielnetz eingetragen war. Was lag da näher, als die Sachinformation - also die Karteikarte - mit der geografischen Information der digitalisierten Karte in einem System zu kombinieren.

Mit dem Ziel, den Einsatz von Personal und Material zu optimieren, ging man also daran, eine dynamische Objektsicht mit der DV-Lösung zu realisieren. Die jeweiligen Objekte sollen sich mit ihren Daten problemlos nach den durch die praktische Arbeit vorgegebenen Sichtweisen ordnen lassen. So wird beispielsweise das Netz für Reinigungsarbeiten in Tagesabschnitte unterteilt, während Inspektionen eher nach räumlicher Nähe gebündelt werden. Andere Arbeiten wiederum verlangen nach ausgewiesener Fachqualifikation und besonderem Werkzeug und können folglich nur von einem Spezialisten durchgeführt werden.

Bei den Arbeiten muss auch eine bestimmte Reihenfolge in der Durchführung eingehalten werden. Reinigungen sind beispielsweise nur in der Fließrichtung des Abwassers sinnvoll, will man überhaupt ein Ergebnis erzielen. Diese Fließrichtungen liegen aber nicht unumstößlich fest, da mitunter ganze Kanalabschnitte für eine Zeitspanne aus dem Netz herausgenommen werden. Folglich ist es möglich, dass sich die Fließverhältnisse ganz anders darstellen. Auch lassen sich Tätigkeiten kombinieren, etwa die Reinigung und die Durchführung von Inspektionen vor Ort, während andere wiederum zwingend die Durchführung bestimmter Vorarbeiten voraussetzen.

Bei der Suche nach einer Standardlösung für dieses komplexe Beziehungsgeflecht an Tätigkeiten kristallisierte sich schnell heraus, dass keine der Marktofferten in der Lage war, diese Anforderungen zufriedenstellend zu lösen. Insbesondere die Verbindung von Sach- und geografischen Informationen war in der Regel schwach ausgeprägt. Hinzu kam, dass die meisten Systeme an der geforderten Dynamik in der Objektsicht scheiterten und allenfalls eine hierarchische Sicht unterstützten.

Es blieb folglich nur die Alternative, die Realisierung einer Lösung selbständig in Angriff zu nehmen. Gemeinsam mit dem Debis Systemhaus wurde deshalb zunächst eine prinzipielle Machbarkeitsstudie durchgeführt und ein entsprechender Realisierungsvorschlag erarbeitet. Dabei wurden folgende Kriterien zugrunde gelegt: Das System soll sich problemlos und flexibel in die Arbeitsabläufe der Hamburger Stadtentwässerung einbinden lassen. Außerdem soll es portierbar sein und sich auf einfache Weise an neue Anforderungen anpassen lassen.

Die Idee, das Vorhaben mit der Entwicklungs- und Integrationsumgebung Uniface von Compuware anzugehen, ging unter anderem darauf zurück, dass die Stadt Hamburg und die Datenzentrale Schleswig-Holstein Uniface gerade als strategisches Entwicklungswerkzeug ausgewählt hatten. Zudem hatte das datenbankunabhängige 4GL-Werkzeug in einem Pilotprojekt zur Fahrzeugverwaltung bei der Hamburger Landespolizei seine Qualitäten erfolgreich unter Beweis gestellt.

Eine Auswahl für die Programmierumgebung wurde deshalb erst gar nicht mehr vorgenommen, sondern man ging, als die prinzipielle Machbarkeit feststand, lieber direkt in medias res. Die genauen Vorgaben für das Entwicklungsteam wurden in einem Pflichtenheft festgezurrt, das neben der Grobspezifikation eine Beschreibung der künftigen Ablauf-/Aufbauorganisation enthielt.

Innerhalb eines Jahres wurde mit Hilfe von Uniface eine Grundversion des Programms realisiert, das den Namen Entity erhielt. Als Hardwareplattform stand hierbei zunächst eine Unix-Workstation von SGI bereit, da das Programm Sicad-View nur auf diesem System verfügbar war. Dieses war aber zwingend erforderlich, um die Katasterdaten - eine Sicad-BS2000-Anwendung - auch in der Unix-Welt zugänglich zu machen. Die notwendige Interprozess-Kommunikation wurde wiederum mit Hilfe von Uniface realisiert.

Was die Entwicklungs- und Integrationsumgebung Uniface auszeichnet und anwenderfreundlich macht, ist die Einbindung der Fremdprodukte über die offenen Schnittstellen. Insbesondere die Strategie der Hamburger Stadtentwässerung, nach Möglichkeit Standardprodukte auszuwählen und zu einer Lösung zu kombinieren, fand hierdurch entscheidende Unterstützung.

Parallel zu der Programmentwicklung leitete Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Personalrat die notwendigen organisatorischen Änderungen ein. Eine Organisationseinheit Arbeitsvorbereitung wurde eingerichtet, um die bislang von Meistern der vier Sielbezirke eingesetzten Teams künftig zentral koordinieren zu können. Stellenbeschreibungen wurden angepasst und Aufgaben neu definiert. Während dieser Zeit wurde im Rahmen des erstellten Programmpiloten das Anwendungssystem kontinuierlich getestet und den Erfordernissen angepasst.

Ende 1997 war es dann soweit. Die neue Organisation stand, und Funktionalität sowie Bedienerführung fanden die Zustimmung aller Beteiligten. Der Rollout konnte eingeleitet werden. Mit diesem Rollout einher ging auch ein Wechsel der Hardwareplattform. Die teuren Unix-Workstations wurden gegen NT-Systeme der Firma Compaq ausgetauscht. In diesem Zusammenhang waren auch ein Datenbankwechsel auf Oracle sowie die Einführung von Viewinf zur Darstellung der Sicad-Daten auf NT erforderlich. Aufgrund der angesprochenen Plattformunabhängigkeit von Uniface bereitete dieser Umstieg allerdings keine Probleme, und die Portierung konnte innerhalb einer Woche durchgeführt werden.

Peu à peu wurden nun die Entity-Systeme aufgestellt. Man ließ hierbei eine gewisse Vorsicht walten, da man es in erster Linie mit gewerblichen Sachbearbeitern und nicht mit DV-Experten zu tun hatte. Ziel war es, den Sachbearbeitern durch sorgfältige Vorbereitung zunächst die Angst vor dem Rechner zu nehmen, um sie danach Schritt für Schritt an das neue System heran zu führen.

In der Endausbaustufe - wenn einmal alle vier Sielbezirke mit Entity-Systemen ausgerüstet sind - werden rund 50 NT-Workstations bei der Hamburger Stadtentwässerung arbeiten. An jedem dieser Arbeitsplätze steht dann ein NT-Rechner mit einem Doppelbildschirm, um Karte und Sachinformationslisten parallel anzuzeigen. Über TCP/IP sind diese Arbeitsplätze mit einem ebenfalls NT-basierenden Server verbunden, der die Katasterinformationen vorhält, während die eigentliche (Uniface-)Anwendung auf dem Client-System abläuft.

Das System funktioniert dabei auf der einen Seite als Dokumentationssystem, auf der anderen Seite als Betriebsführungssystem zur Steuerung der Arbeitskolonnen. Sämtliche über das Kanalnetz vorliegenden Daten, ob grafisch oder alphanumerisch, werden in einer Gesamtdokumentation verknüpft. Über einfaches Klicken kann der Sachbearbeiter beliebig zwischen dem Streckenabschnitt der Karte und der Uniface-gestützten Fachinformationen wechseln.

Der zentrale Zugriff auf alle Einzeldaten ermöglicht so den technisch optimalen und wirtschaftlichsten Einsatz der personellen und maschinellen Ressourcen über gezielte Routenplanung sowie Vereinheitlichung der Arbeitspläne. Ausgeführte Arbeiten werden direkt wieder eingegeben, um eine stets aktuelle Dokumentation zu besitzen. Quasi als Nebenprodukt fallen durch diese automatisierte Rückmeldung Nachweispflicht und die Verbuchung der durchgeführten Leistungen ab.

Bis zu 30 Prozent Effizienzsteigerung sind möglich, lautet die erfreuliche Bilanz nach den ersten Einsatzerfahrungen im Produktivbetrieb. So sind zum Beispiel im Rahmen einer außerplanmäßigen Sanierung des 150 Jahre alten Sielnetzes 1999 viele Kanäle inspiziert worden. Diese konnten nun im System automatisch aus der Liste der planmäßigen Turnusmaßnahmen entnommen werden, um so Doppelarbeiten zu vermeiden. Früher wäre es nicht möglich gewesen, mit den Karteikarten solche Sonderarbeiten zu verfolgen.

Der Einsatz von Entity mit seinen Elementen Objektdatenbank, geografische Informationen, intuitive Bedienoberfläche und freie Menüstruktur ist aber nicht nur auf Entwässerungen beschränkt. Weitere Anwendungsfelder sind sowohl Ver- und Entsorgungsnetze jeglicher Art als auch Straßen- und Schienennetze. Aus diesem Grund vermarktet die Hamburger Stadtentwässerung ihr Programm gemeinsam mit der von den ursprünglichen Entity-Entwicklern gegründeten Hamburger Firma IVEN Unternehmensberatung GmbH an Dritte. Mit Erfolg: Beispielsweise setzt die Abwasser Bremen GmbH schon auf die Hamburger Lösung, und erst kürzlich entschloss sich das Tiefbauamt einer mittelgroßen Stadt, mit Entity seine Instandhaltungsaufgaben zu koordinieren.

*Peter Niedrich ist Projektleiter beim Netzbetrieb der Hamburger Stadtentwässerung.