Fernverbindungen/Das Verlegen von Seekabeln ist immer noch ein lohnendes Abenteuer

Haie und Würmer gegen Big Business

23.04.1999
Von Christiane Schulzki-Haddouti* Im 19. Jahrhundert galt das Verlegen von Kommunikationskabeln als ein Geschäft für Abenteurer und Risikofreudige, weniger für Kaufleute und Ingenieure. Schon die erste Kabellegung zwischen Irland und Neufundland 1858 brauchte mehrere Anläufe und erforderte finanzielle Klimmzüge.

Der Gründer des heute größten deutschen Elektrokonzerns, Werner Siemens - damals noch nicht adelig -, wäre während einer halsbrecherischen Kabellegung zwischen Spanien und Algerien fast ums Leben gekommen. Mit einem Küstenfahrzeug geriet er auf stürmischer See in Not: Die schwere Kabeltrommel hatte sich aus ihren Befestigungen gelöst und drohte das Schiff kentern zu lassen. In letzter Minute konnte die Kabeltrommel doch noch fixiert werden.

Später konstruierte Wilhelm Siemens, der die Firma Siemens Brothers in England leitete, einen Dampfer speziell für Kabellegungen, die "Faraday". Mit ihr versuchten die Brüder 1874 eine transatlantische Kabellegung. Doch auch sie glückte erst im dritten Anlauf.

Stahlstäbe sollen Haie abhalten

Kabelprojekte stellen an Techniker und Seeleute selbst heute noch die höchsten Ansprüche. Über riesige Strecken muß das Kabel möglichst plan und exakt auf einer optimalen Route verlegt werden. Jeder Meter Kabel schlägt mit Tausenden von Dollars zu Buche. Wird ein Kabel zu schlaff auf dem Meeresgrund verlegt, bilden sich leicht Schleifen (Slacks), in denen sich Anker und Schleppnetze verfangen können. Ist es zu straff, kann es reißen.

Es ist technisch ausgesprochen anspruchsvoll, ein Kabel genau nach Plan zu verlegen. Von dem Zeitpunkt an, zu dem eine bestimmte Stelle des Kabels die Kabeltrommel auf dem Schiff verläßt, bis zu ihrem Kontakt mit dem Meeresboden, hat das Verlegeschiff nicht selten 30 Kilometer zurückgelegt. So lange schwebt das Kabel frei im Wasser, den Strömungen ausgesetzt.

Zwar mißt man den Seeboden heute per Echolot und mit dem satellitengestützten Global Positioning System (GPS) genauestens aus und Seekarten verzeichnen jede Unebenheit, doch das Verlegen selbst bleibt schwierig wie eh und je. Die Mannschaft muß bei jedem Wellengang die Geschwindigkeit des Schiffs und die Abspulgeschwindigkeit der Kabeltrommeln im Griff haben. Per Satellit und GPS wird die Schiffsposition kontrolliert. Abweichungen von zehn Metern gehören zu den Glanzleistungen der Kabelleger.

Das ausgeklügelte Verlegeverfahren geht in den Grundzügen auf Werner Siemens zurück. Er hatte das erste, mit Guttapercha isolierte, funktionsfähige Unterwasserkabel verlegt.

Siemens hatte auch das Scheitern mehrerer Mittelmeer- und Atlantikkabel und damit den Ruin mehrerer Finanzhäuser miterlebt. Er entwickelte daher eine griffige mathematische Formel, mit der sich die vom Kabel ausgeübten Zugkräfte berechnen ließ. Und er lieferte die Lösung des Problems: die Kabelbremse, die verhindert, daß das schwere Kabel zu schnell von der Rolle gleitet und unkontrolliert versinkt.

In den letzten Jahren wurden viele neue Projekte in Angriff genommen. Satelliten sind keine große Konkurrenz, gelten Kabel doch als schneller und zuverlässiger, als immun gegen elektromagnetische Störsignale und Interferenzen. Backup-Kanäle werden daher seltener über Satellit als über parallele Zusatzkabel realisiert. Neue Übertragungstechniken, ausgefeilte Signalverstärker und solide Materialien machen die Kabel wieder attraktiv.

Seekabel müssen gegen eine Menge Gefahren gut gesichert sein. Miniroboter und Taucher graben sie daher in den Meeresboden ein. Immerhin erreichen zum Beispiel Schleppnetze heute Tiefen von bis zu 2000 Metern.

Aber auch andere Unwägbarkeiten sorgten für Kommunika- tionsunterbrechungen. Der berüchtigte Toredo-Wurm macht sich mit Heißhunger über die Isolationshüllen her. Heute hält eine teuere Kupferummantelung das gierige Gewürm ab. Zusätzlich werden die Leitungen mit einem Kranz aus Stahlstäben gegen Haifischzähne umgeben.

Als Landestellen für die High-Tech-Unterwasserkabel werden Küsten bevorzugt, die sehr schnell ins Meer abfallen und große Tiefen erreichen. Traditionelle Anlegestelle ist Porthcurno in Cornwall, Großbritannien. Im Zweiten Weltkrieg wurden alle technischen Anlagen in einen extra in Granit geschlagenen Stollen verlegt. Deutsche Fliegerangriffe hätten sonst die Kommunikation über den Atlantik stillegen können.

Die Konsortien, die heute die Unterwasser-Kabelsysteme verlegen, unterscheiden sich fundamental von denen, die noch vor wenigen Jahren die Industrie dominierten. Damals diktierten die Telefonmonopolisten, wie, wann und wo Seekabel in Betrieb genommen wurden. Unbehelligt von jedem Wettbewerb, konnten sie die Preise für ihre Dienstleistungen festlegen. Die Machtposition zahlte sich aus: Der Return on Investment lag zwischen 30 und 50 Prozent pro Jahr. Die meisten Seekabel finanzierten sich so binnen weniger Jahre - bei einer Mindestlebensdauer von 30 Jahren.

Diese Zeiten sind seit der Liberalisierung der nationalen Telefonmärkte vorbei. Neue Telefongesellschaften wie Otelo, Worldcom oder Nynex weigern sich, die überhöhten Kabelmieten zu zahlen. Sie finanzieren lieber eigene Projekte. Heute bestimmt der Wettbewerb privater Gesellschaften, wie die Kabel vermarktet und an wen sie verkauft werden.

Eingeleitet wurde die neue Ära durch Flag (Fiberoptic Link Around the Globe): Als erstes privat organisiertes und finanziertes Übersee-Glasfaserkabel wurde die 28000 Kilometer lange Verbindung Ende 1997 mit einer Gesamtkapazität von 5 Gbit/s - das entspricht 60000 gleichzeitigen Telefongesprächen - in Betrieb genommen. Über den traditionsreichen Knotenpunkt in Porth- curno verbindet das Netz Europa über den Nahen Osten und Südostasien mit Japan.

Als Flag geplant wurde, galt das Internet lediglich als Randgröße, was das Übertragungsvolumen angeht. Lag der Anteil des reinen Datenverkehrs 1995 noch bei 30 Prozent, so erwartet man in den nächsten fünf Jahren einen Anstieg auf 85 Prozent. Doch es droht bereits eng zu werden: Noch vor einem Jahr ging man von zehnfachen Überkapazitäten zwischen Europa und den USA aus. Heute treten bereits die ersten Staus auf.

Telekom an drei Objekten beteiligt

Die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte gab der rasanten Entwicklung zusätzlichen Schub. Durch den exponential angestiegenen Kapazitätsbedarf galt Flag deshalb schon vor seiner Inbetriebnahme als unterdimensioniert. Dennoch ermöglichte es der privaten Konkurrenz der früheren TK-Monopolisten rechtzeitig zur Marktöffnung einen Innovationsschub. Allein die Tatsache, daß die privaten Konsortiumsmitglieder von Flag das traditionelle Verteilsystem der Telekomkonzerne durch ein eigenes Projekt einfach übergangen hatten, schockierte Riesen wie AT&T und die Deutsche Telekom. Sie beschlossen die globalen Bandbreiten nun ihrerseits auszuweiten. Allein die Telekom ist an drei großen Projekten beteiligt: SEA-ME-WE 3 ( Southeast Asia-Middle East-Western Europe 3), Atlantis 2 und UK-Germany 6.

Das von den traditionellen Konsortien lancierte SEA-ME-WE 3 war ursprünglich nur bis Singapur geplant, wurde jedoch wegen der Flag-Konkurrenz um einen 11000 Kilometer langen Bogen nach Japan erweitert. Von der Stadt Norden über den Ärmelkanal durch die Meeresenge von Gibraltar weiter über den Suezkanal, in einem weiten Bogen um Indien herum wird sich SEA-ME-WE 3 dann bis nach Okinawa/Japan mit Auslegern nach Keoje/Korea und Perth/Australien spannen.

Ein Rennen um die besten Strecken in der Tiefe

Bislang sind vor allem die westlichen Industriestaaten gut erschlossen. Australien, Neuseeland, aber auch Südamerika und Afrika wird im nächsten Jahrzehnt großes Entwicklungspotential zugeschrieben. Die Telekom hat die Marktlücke bereits entdeckt: Ihr Seekabelprojekt Atlantis 2 soll gleich zwei der bislang vernachlässigten Kontinente mit Europa verbinden: Über Lissabon/Portugal, El Medano/Kanarische Inseln, Dakar/Senegal und Praia/Kapverdische Inseln wird das Kabel bis nach Fortaleza/Brasilien und Las Toninas/Argentinien führen.

Die Gesamtbaukosten veranschlagt die Telekom auf rund 455 Millionen Mark. Atlantis 2 wird im Erstausbau eine Übertragungskapazität von 20 Gbit/s bieten, das entspricht etwa 300000 gleichzeitigen Telefongesprächen. Das Seekabel soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen. Eine Verlängerung entlang der afrikanischen Küste bis nach Südafrika ist bereits in Planung.

Kabel sind die Ressourcen des milliardenschweren Telekommunikationsmarkts, Tarife und Services stehen am Ende des Wertschöpfungs- und Dienstleistungsprozesses. Bislang wurden die Tarife zwischen den nationalen Telefongesellschaften zur beiderseitigen Zufriedenheit ausgehandelt. Doch mit den ersten Deregulierungen kamen Produkte auf den Markt, die das austarierte Entgeltsystem der Monopolisten ins Wanken brachten, allen voran Callback-Angebote und die Internet-Telefonie.

Mit lukrativen Fernverbindungen stellten die privaten Herausforderer im vergangenen Jahr den ersten Fuß in die Tür. Je mehr sie dabei über leistungsfähige Auslandsverbindungen verfügen, je mehr Kabel ihnen gehören, desto aggressiver können sie die Preise drücken.

Manchem der Konzerne wäre es sogar inzwischen ein leichtes, durch ein zusätzliches Kabel oder eine verbesserte Vermittlungstechnik die Kosten so weit zu drücken, daß eine Einheit Ferngespräch so teuer wie im Ortsgespräch kommt. Wer über die Kabelressourcen verfügt, sitzt daher am Hebel des Tarifgefüges.

*Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin in Koblenz.