Haftpflicht/Programmierer koennen sich gegen Folgen ihrer Fehler schuetzen Versicherung bietet spezielle Police fuer Software-Anbieter

21.04.1995

Herkoemmliche Betriebshaftpflichtversicherungen schuetzen Softwarehersteller in der Regel nur gegen Ansprueche aus Personen- und Sachschaeden, Vermoegensschaeden bleiben ausgenommen. Da die neuere Rechtsauffassung dahin tendiert, auch Software als Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes anzusehen, entsteht fuer Softwarehaeuser eine weitere Unwaegbarkeit, falls fehlerhafte Programme Schaeden verursachen. Die Agrippina Versicherungen AG bietet seit einigen Jahren eine spezielle DV-Haftpflichtpolice an, die auf die Beduerfnisse von Softwareherstellern abgestimmt ist. Mit Hans-Dieter Kaschig, Direktor der Koelner Agrippina, sprach CW- Redakteurin Kriemhilde Klippstaetter.

CW: Was unterscheidet die DV-Haftpflichtversicherung von einer herkoemmlichen Betriebshaftpflicht?

Kaschig: Ueber eine normale Betriebshaftpflichtversicherung sind Personen- und Sachschaeden versichert. Allerdings mit einer Einschraenkung, die auch fuer Softwarehersteller wesentlich ist: Vermoegensschaeden sind damit nicht abgedeckt.

CW: Was waere ein solcher Vermoegensschaden, fuer den ein Softwarehaus aufkommen muesste?

Kaschig: Nehmen Sie als Beispiel einen Grosshaendler aus der Modebranche, dem ein fehlerhaftes Lagerhaltungsprogramm geliefert wird. Er ordert infolgedessen zuviel Sommermode, die er nicht an seine Einzelhaendler weitergeben kann, und sitzt auf einem Berg von Ladenhuetern. Dann hat er weder einen Sach- noch einen Personenschaden.

CW: Macht Ihr Angebot eine normale Betriebshaftpflicht ueberfluessig?

Kaschig: Unser Konzept ist so angelegt, dass die Betriebshaftpflicht im bisherigen Umfang eingeschlossen ist. Wir haben es um Ergaenzungen erweitert, die fuer Softwarehersteller wichtig sind.

CW: Also eine Art spezielle Betriebshaftpflicht fuer Softwarehaeuser. Was ist mit der Hardware?

Kaschig: Als Option kann auch die Hardware aufgenommen werden, wenn sie mitverkauft wird, was ja ab und zu vorkommt.

CW: Wie sieht denn die Rechtslage fuer Softwarehersteller aus? Fallen deren Produkte unter das Produkthaftungsgesetz? Bis jetzt gibt es zu diesem Thema ja noch keine Rechtsprechung.

Kaschig: Da wird derzeit noch eine recht akademische Diskussion darueber gefuehrt, ob ein Softwareprogramm auch ein Produkt ist oder nicht. Mir scheint nun aber die Meinung dahin zu gehen, dass Software als Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes (ProdHafG) zu gelten hat. Das macht ja auch Sinn, wenn man den Vergleich beispielsweise zur Schallplatte zieht. Da wuerde wohl auch niemand bezweifeln, dass es sich dabei um ein Produkt handelt.

CW: Wie kommt es denn, dass es bislang noch keine Urteile zum ProdHafG gibt?

Kaschig: In Deutschland gibt es genuegend andere Haftungsvorschriften, die teilweise fuer den Geschaedigten guenstiger sind als das ProdHafG.

CW: Welche davon sind relevant fuer die Softwarehaeuser?

Kaschig: Wenn es um die Entwicklung von Individualsoftware geht, wird man normalerweise einen Werkvertrag abschliessen, bei Standardsoftware einen Kaufvertrag. Wird nicht gekauft, sondern gemietet oder gepachtet, erwachsen aus diesen Vertraegen die Ansprueche.

CW: Wie kann sich ein Dritter, der nicht in unmittelbarer Vertragsbeziehung zum Softwarehersteller steht, nach einem Schaden sein Geld holen?

Kaschig: Der erwirbt ein Institut, wir nennen das unerlaubte Handlung oder deliktische Haftung. Das klingt fuerchterlich und hat in den meisten Faellen auch nichts mit einem Delikt zu tun, sondern ist eine Anspruchsgrundlage fuer jemand, der in seinen Rechtsguetern Gesundheit, Besitz oder Eigentum geschaedigt wurde. Der hat dann einen Anspruch gegen den Schaediger, also den Softwarehersteller.

Festzuhalten bleibt aber, dass diese Anspruchsgrundlage nicht fuer Vermoegensschaeden greift, die nicht aus einer Verletzung der vorgenannten Rechtsgueter entstanden sind. Dafuer gibt es nur Schadenersatz, wenn eine vertragliche Beziehung besteht wie ein Werk- oder Kaufvertrag.

CW: Wo liegt der Unterschied zu Anspruechen aus dem ProdHafG?

Kaschig: Bei Personenschaeden kann man Schmerzensgeld einklagen, was bei der Produkthaftung nicht moeglich ist.

CW: Die Agrippina ist eine der wenigen Versicherungen, die auf die Softwarebranche abgestimmte Policen anbietet. Scheut die Konkurrenz das Risiko?

Kaschig: Wir haben da eine Nische entdeckt und Vertraege ausgearbeitet, die gluecklicherweise bislang noch nicht kopiert wurden. Urheberschutz gibt es dafuer naemlich nicht. Eine Gruppe von Versicherern bietet ein etwas anderes Produkt an, das eher fuer Grossunternehmen gedacht ist und auch deshalb einen recht hohen Selbstbehalt hat. Wir wenden uns an mittlere und kleinere Softwarehaeuser.

CW: Aus welchen Gruenden schliesst man bei Ihnen eine DV- Haftpflichtversicherung ab?

Kaschig: Zum einen natuerlich, um sich gegen das Risiko zu schuetzen und im Fall eines Schadens einen Schutz zu geniessen. Interessant ist aber, dass kleine GmbHs oder gar Einzelunternehmen diese Versicherung auch als Verkaufsargument bei ihren Kunden benutzen. Wenn die Frage auftaucht: "Was passiert, wenn du bei uns einen groesseren Schaden anrichtest, du hast doch gar nicht soviel Geld."

CW: Dann legt der Softwerker die Police auf den Tisch?

Kaschig: Genau, und er kann exakt beziffern, bis zu welcher Hoehe ein Schaden abgedeckt ist.

CW: Welche Schadensarten sind denn versichert?

Kaschig: Vom Grundsatz her Personen-, Sach- und Vermoegensschaeden.

CW: Was heisst das konkret?

Kaschig: Die Police kanalisiert im Produktbereich die Versicherungsleistung auf die bestimmten Schadensarten: DV-Analyse und -Organisation, dazu wuerde auch die nachtraegliche Schulung und Beratung gehoeren. Das sind Dinge, die immer zu Vermoegensschaeden fuehren koennen.

CW: Was ist mit der eigentlichen Software?

Kaschig: Das ist der naechste Bereich. Da haben wir nicht nur auf Standardsoftware abgestellt, sondern auch auf individuelle Programme, Betriebssysteme und dergleichen. Das betrifft zum einen Schaeden im kaufmaennisch-statistischen Bereich, wenn etwa ein Fehler in einem Gehaltsabrechnungsprogramm zu Ueberzahlungen an die Mitarbeiter fuehrt. Ein anderes Beispiel waere der juengste Fall aus der Praxis, den wir kuerzlich abwickelten (siehe Kasten auf Seite 56).

Auf diesen Schadenstypus ist unser Engagement aber nicht beschraenkt, sondern wir versichern auch Risiken, die sich im mathematisch-medizinischen Sektor ergeben. Denkbar waere zum Beispiel, dass das Programm fuer Statiker Fehler hat und deshalb die Tragfaehigkeit von Gebaeuden nicht stimmt, oder fehlerhafte Programme fuer medizinische Labore fuehren zu falschen Analysen und in der Konsequenz zur falschen Behandlung von Patienten. Oder die Software fuer eine Maschine beziehungsweise eine ganze Produktionsstrasse weist Maengel auf, so dass es zu einem Produktions- und damit zu einem Umsatzausfall kommt, der ebenfalls durch die DV-Haftpflicht abgedeckt waere.

CW: Sind nur heimische Softwarepakete zu versichern oder auch Programme aus Drittlaendern?

Kaschig: Vom Grundsatz her bieten wir natuerlich primaer Versicherungsschutz in Deutschland. Aber wenn jemand auslaendische Produkte hier nach Deutschland importiert, vertreibt und vielleicht sogar veraendert, dann haftet der ja nach deutschem Recht. Dafuer besteht dann auch Versicherungsschutz. Die Einschraenkung betrifft den deutschen Hersteller, der exportiert. Da wollen wir informiert werden, da im Ausland die Schadensregelung anders ist. Innerhalb Europas ist das meistens kein Problem - schon allein im Hinblick auf die EU. Vorsichtiger sind wir bei Exporten in die USA, weil da ja die

Haftungssituation fuerchterlich ist.

CW: Heisst das, dass ich als Softwarehaus Versicherungsschutz geniessen kann fuer ein Betriebssystem, das, sagen wir, aus den USA kommt?

Kaschig: Da koennen Sie Versicherungsschutz erwerben. Wir wuerden natuerlich versuchen, beim amerikanischen Hersteller Regress zu nehmen, falls die Software fehlerhaft ist. Die Lieferung selbst ist allerdings nicht abgedeckt.

CW: Was bedeutet das?

Kaschig: Wenn ein fehlerhaftes Programm geschrieben und ausgeliefert wird, sind die Kosten fuer den Austausch oder die Programmaenderung nicht versichert. Fuehrt diese Sache aber beim Kunden zu einem Schaden, wuerde Versicherungsschutz bestehen. Das ist bei allen Haftpflichtversicherungen so, dass man das unternehmerische Risiko nicht abdecken moechte.

CW: Sind fuer den Abschluss einer DV-Haftpflicht spezielle Vertragsverhaeltnisse zwischen Softwarehaus und Auftraggeber erforderlich?

Kaschig: Vor ein paar Jahren versuchten die Hersteller, ueber die Allgemeinen Geschaeftsbedingungen (AGBs) jedes Risiko und jede Haftung auszuschliessen. Hinzu kam die starke Abhaengigkeit der Kunden von den Softwarehaeusern. Nach dem Motto:

"Die Auftraggeber sind riesig froh, wenn wir ueberhaupt hinkommen und die Angelegenheit in Ordnung bringen. Der Kunde wuerde nie versuchen, Folgeschaeden gegen uns geltend zu machen." Mit dieser Einstellung hatten auch wir anfangs zu kaempfen.

CW: Mittlerweile gibt es aber ein paar Entscheidungen gegen allzu einseitige AGBs.

Kaschig: Hinzu kommt, dass auch der Konkurrenzkampf auf dem Softwaremarkt staerker geworden ist. Mit der Folge, dass die Entwickler viele Forderungsausschluesse in den AGBs beim Kunden nicht mehr durchsetzen koennen.

CW: Welche Qualifikationsanforderungen stellen Sie an die Betriebe? Spielt beispielsweise ISO 9000 eine Rolle?

Kaschig: Das interessiert uns schon, ist aber keine Bedingung fuer den Abschluss der Versicherung. Das Unternehmen sollte allerdings seit drei Jahren existieren und die Geschaeftsfuehrer und leitenden Angestellten einschlaegige Berufspraxis vorweisen koennen.

CW: Aber bei Neugruendungen ist das nicht zu verwirklichen. Und gerade am Anfang waere doch der Versicherungsschutz - auch im Hinblick auf die Bonitaet gegenueber den Kunden - sehr hilfreich.

Kaschig: Da machen wir dann auch eine Ausnahme, vorausgesetzt, das Management konnte zuvor hinreichend Erfahrungen sammeln.

CW: Fordern Sie fuer den Abschluss einer DV-Haftpflichtversicherung eine Mindestgroesse des Software-Unternehmens?

Kaschig: Ein Umsatz von mindestens 150 000 Mark im Jahr sollte erzielt werden.

Ein Beispiel aus der Praxis

Folgender Schadensfall, den die Agrippina kuerzlich zu regulieren hatte, zeigt, wie schnell ein immer moeglicher Serienschaden aufgrund von fehlerhafter Software zu einer ansehnlichen Schadenssumme fuehren kann.

Durch den Fehler eines Mitarbeiters des Versicherungsnehmers bei einer Programmumstellung wurde beim maschinellen Traegeraustausch in einer Bank statt eines Lastschriftenbandes ein Gutschriftenband erzeugt. Das Geldinstitut als geschaedigter Kunde hatte dadurch Geld ausbezahlt, das es haette einziehen muessen.

Das Glueck der Kontoinhaber war allerdings nur von kurzer Dauer. Schon am naechsten Tag brachte ein Anruf bei der Bank ans Licht, dass an verschiedene Kunden insgesamt 22 Millionen Mark ueberwiesen statt eingezogen worden waren. Gluecklicherweise bekam die Bank das Geld vollstaendig zurueck. So blieb nur wegen der Kontoueberziehung, die in ihren Auswirkungen erst nach drei Tagen abgebaut war, ein Zinsverlust in Hoehe von 13 000 Mark, der sich mit Nebenkosten auf insgesamt 14 500 Mark erhoehte.