Der deutsche TK-Markt

Gute Laune im Haifischbecken

24.09.2004
Von 

Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Der Überlebenskampf im deutschen Markt für Telekommunikationsdienste ist nahezu beendet. Ein florierender Mobilfunk-sektor und ein sich respektabel entwickelndes Segment für Internet-Dienste bestätigen, dass der Wettbewerb funktioniert.

Am 1. Januar 1998 standen die europäischen Telekommunikationsanbieter Kopf: EU-weit wurden damals die TK-Märkte geöffnet. Ausnahme war Großbritannien, das seinen Markt für Telefondienste schon früher liberalisiert hatte. Der "Stunde Null" des freien Wettbewerbs folgte, was wohl unvermeidlich war: Der Kampf um den Kunden wurde vor allem über die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP), in den Gerichtssälen und natürlich in der Presse ausgetragen. Wer erinnert sich nicht an Mobilcom-Gründer Gerhard Schmid, der den Betrieb eines eigenen Netzes mit den Worten abtat: "Nur Verrückte verbuddeln ihr Geld in der Erde." Auch der damalige Chef der Deutschen Telekom, Ron Sommer, war immer für einen flotten Spruch gut. Er forderte 1999 von seinen neuen Wettbewerbern: "Mehr Innovationen und den

Mut, andere Wege zu gehen, anstatt nur mit Hilfe des Regulierers Produkte der Telekom zu vermarkten." Lässt man die in diesen Aussagen mitschwingende Polemik beiseite, lässt sich heute rückblickend feststellen: Beide Herren haben Recht behalten - und dem Wettbewerb hat es trotzdem nicht geschadet.

Einzigartiger Markt Deutschland

Der Markt für TK- und Internet-Dienste hat sich hierzulande seit 1998 weltweit einzigartig entwickelt. Nicht unbedingt in puncto exorbitanter Wachstumsraten, dafür aber umso mehr, was seine Strukturen angeht. Gemeint ist damit in erster Linie die Situation im Mobilfunk, wo sich bereits seit Anfang der 90er-Jahre neben den vier Netzbetreibern T-Mobile, Vodafone (früher Mannesmann Mobilfunk), E-Plus und O2 (früher Viag Interkom) eine Reihe von Service-Providern etabliert hat, die ihr Geschäft erfolgreich mit der Vermarktung eines oder mehrerer der genannten vier Mobilnetze inklusive spezifischen Mehrwertdiensten bestreiten. Unter Experten ist es heute unstrittig, dass diese Angebotsvielfalt mit entscheidend für die Dynamik dieses Segments war. Man könnte an dieser Stelle unzählige Statistiken bemühen. Die entscheidende

Kennziffer dürfte aber sein, dass Ende 2003 knapp 65 Millionen Handy-Verträge registriert waren. Selbst wenn man den Trend zum Zweit-Handy und die immer noch hohe Zahl von Pre-paid-Karten berücksichtigt, bedeutet dies: Inzwischen telefonieren mehr Bundesbürger mobil als über das Festnetz. Man muss hier aber auch erwähnen, dass der deutsche Mobilfunkmarkt bisher bei weitem nicht so reguliert wurde wie das Festnetzgeschäft.

Zwiespältige Bilanz

Letzteres war ja vor allem von der Marktöffnung 1998 betroffen gewesen, und die Bilanz knapp sechs Jahre später fällt hier zwiespältig aus. Anders als im Mobilfunk, wo sich hierzulande mit Vodafone von Beginn an zumindest ein ernst zu nehmender Wettbewerber für den Telekom-Ableger T-Mobile etablieren konnte (siehe Tabelle), kann im Festnetz bis dato kein Anbieter mit dem Ex-Monopolisten auf Augenhöhe konkurrieren. Die Liste prominenter Unternehmen, die in den Markt ein- und inzwischen wieder ausgestiegen sind, ist lang und reicht von Thyssen über RWE bis hin zur Deutschen Bahn. Übrig geblieben von den einst ambitionierten und einer größeren Öffentlichkeit bekannten Telekom-Wettbewerbern im Festnetz sind lediglich die Vodafone-Tochter Arcor sowie die Mobilcom AG, deren wechselvolle jüngere Geschichte aber eine

eigene Betrachtung wert wäre.

Fragmentierter Festnetzmarkt

Tatsache ist, dass der deutsche Festnetzmarkt heute von seiner Anbieterstruktur her sehr fragmentiert ist. Zwar dominiert die Telekom nach wie vor mit großem Abstand das Geschehen. Ein Marktanteil von 74,1 Prozent, den der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten e.V. (VATM) für 2003 ausgemacht haben will, spricht Bände. Insbesondere auch beim Vergleich zum Gesamtmarkt, also Mobilfunk und Internet-Dienste, wo auf den ehemaligen Monopolisten im vergangenen Jahr nach Schätzung des European Information Technology Observatory (Eito) nur noch 54,9 Prozent des Marktvolumens (nach Umsatz) entfielen. Doch zurück zum Festnetzmarkt. Den Rest des Geschäfts teilen sich dort unzählige andere Diensteanbieter wie Arcor, Tele2 & Co., die sich weitgehend auf das beschränken, was Ron Sommer einst kritisierte: Sie

bauen ihr Geschäft auf "Vorleistungen" der Telekom auf, verkauf(t)en also auf eigene Rechnung von der Telekom angemietete Bandbreite beziehungsweise Anschlüsse und investierten bisher (mit Ausnahme einiger City-Carrier oder spezialisierter Glasfasernetzbetreiber wie Colt Telecom) so gut wie nicht in eine eigene Netzinfrastruktur. Wobei die Aussage "auf eigene Rechung" lange Zeit nicht zutreffend war, denn dem Ex-Monopolisten war nach der Marktöffnung vom Regulierer auferlegt worden, zum Teil auch das Inkasso für seinen neuen Wettbewerber zu übernehmen.

Doch das Geschäftsmodell, das quasi dem der erwähnten Service-Provider im Mobilfunk entspricht, funktioniert - wenn auch leidlich. "Call-by-Call" und "Preselection" sind heute für die Kunden längst gängige Begriffe - zuerst bei den Ferngesprächen, inzwischen auch im Ortsnetz. Überall verliert die Telekom langsam, aber kontinuierlich Marktanteile. Zudem ist die RegTP auch von ihrer Linie der so genannten asymmetrischen Regulierung abgewichen. Wurden bisher überwiegend nur dem früheren Monopolisten Telekom Auflagen gemacht, hat sich das jetzt geändert. So mussten beispielsweise alle Anbieter, die Call-by-Call- oder Preselection-Services im Ortsnetz anbieten wollen, ihr eigenes Netz auf 475 Zusammenschaltungspunkte in Deutschland ausbauen. Dies hat nach Angaben der RegTP inzwischen dazu geführt, dass die Wettbewerber

der Telekom von ihren Erträgen nicht mehr 60 Prozent wie noch im Jahr 2001, sondern nur noch 50 Prozent für besagte Vorleistungen der Telekom abführen müssen. Die Abhängigkeit von der Netzinfrastruktur der Telekom ist somit spürbar kleiner geworden.

Auch das dürfte letztlich ein Grund dafür sein, dass es im Markt inzwischen ruhiger zugeht. Was nicht heißen soll, dass der VATM nicht weiterhin die Interessen seiner Mitglieder mit Nachdruck vertritt und die Beamten der RegTP beschäftigungslos sind. Aber den großen Schlachtenlärm vergangener Jahre gibt es nicht mehr. Mit der Öffnung der Ortsnetze im vergangenen Jahr und der erst im Juli 2004 verabschiedeten Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) herrscht an der Regulierungfront weitgehend Ruhe.

Großes Thema Breitband

Umstritten war zuletzt vor allem die Frage der Bereitstellung von DSL-Zugängen, die nun aber im Zuge des neuen TKGs ebenfalls geregelt worden ist. Marktbeherrschende Anbieter wie eben die Telekom können nun gezwungen werden, einen vom reinen Telefonanschluss entbündelten Breitbandzugang anzubieten - ein Verfahren, das in der Branche als Bitstream-Zugang bekannt ist. Dieser ermöglicht es nun allen einschlägigen Anbietern, individuelle Breitbanddienste auf der Telekom-Infrastruktur anzubieten, die über den reinen Preiskampf im Wiederverkauf hinausgehen.

Breitband ist ohnehin ein gutes Stichwort, wenn es um die Szene der deutschen Internet-Provider geht. Hier konnte sich T-Online bisher aufgrund des "Labels" und der Marktmacht seiner Konzernmutter als der nach Kunden- Accounts mit Abstand führende Anbieter behaupten. Vor allem auch die von der Telekom-Festnetzsparte T-Com verkauften DSL-Verträge sicherten T-Online zuletzt seine Spitzenstellung mit einem Marktanteil von mehr als 90 Prozent bei den Breitbandanschlüssen in Deutschland. Doch der Markt gerät zunehmend in Bewegung - nicht nur aufgrund der erwähnten veränderten regulatorischen Rahmenbedingungen, sondern weil sich die Parameter insgesamt verschieben. "Die zunehmende Verbreitung von DSL-Services hat eine Lawine losgetreten", meint Gartner-Analystin Bettina Tratz-Ryan, Anbieter wie Freenet, 1&1 oder QSC hätten bereits Blut geleckt und stehen mit Angebote bereit.

Eine der spannenden Fragen wird dabei sein, ob Marktführer Telekom auf diese Entwicklung gut vorbereitet ist. Denn die "jungen Wilden" greifen auch dort an, wo es der frühere Monopolist nicht unbedingt erwartet hat: bei der Telefonie, genauer gesagt bei der Voice-over-IP-Telefonie. Mit Lockangeboten wie kostenlosem Telefonieren bei fester (und günstiger) monatlicher Internet-Flatrate wollen die Herausforderer möglichst viele Kunden gewinnen - ein Trend, der nach Ansicht vieler Experten die klasssische Festnetztelefonie immer mehr zum Marketing-Tool werden lässt. Das eigentliche Geld werde zunehmend mit der Übertragung großer Datenmengen im Zuge der Nutzung einschlägiger Multimedia-Angebote verdient. Geht diese Rechnung auf, kann der Telekom-Kunde sein normales Telefon über kurz oder lang abmelden.

* Der Autor Gerhard Holzwart ist Redakteur bei der Computerwoche. [gholzwart@computerwoche.de]