Grundlagen sind wichtiger als Praxis

30.07.2003

GI-Präsident Mayr setzt dagegen auf einen stärkeren Anwendungsbezug. Allerdings sieht er es nicht als Aufgabe der Universitäten an, Studierende für bestimmte Berufsfelder auszubilden. Die Hochschüler in Klagenfurt profitieren seiner Erfahrung nach von ihrem Ausflug in den Arbeitsalltag, der sie für die Anforderungen der Praxis sensibilisiert und zur intensiven Zusammenarbeit in Teams zwingt. Das Praxissemester komme gut an, eine theoretische Diplomarbeit allein bringe den angehenden Informatikern dieses Wissen nicht.

Dass die Hochschule nicht auf alle Eventualitäten des späteren Berufslebens vorbereiten kann, wissen auch die Praktiker. Für Accenture-Mann Seiger kommt es darauf an, dass ein Informatiker Methodenwissen mitbringt und in der Lage ist, ein Projekt von Anfang bis zum Abschluss zu planen, ähnlich einem Ingenieur. "Die Universitäten bringen den Leuten bei, wie sie Brücken bauen können, und sie sollten dann in der Lage sein, alle Arten von Brücken zu bauen." Mitarbeiter, die nur Holzbrücken zustande brächten, seien zur Transferleistung nicht fähig, so Seiger. Er erwartet, dass die Universitätsausbildung das gesamte Spektrum abdeckt. Denert schildert die eigenen guten Erfahrungen mit seinem Elektrotechnik-Studium: "Für mich ist die Hochschule ein geistiges Trainingscamp, in dem junge Menschen das Denken lernen."

Michael Seiger, Manfred Broy, Johann Lex (von links) Fotos: Joachim Wendler
Michael Seiger, Manfred Broy, Johann Lex (von links) Fotos: Joachim Wendler

 

 

 

 

 

 

 

Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen schließen schon heute die Lücke zwischen Theorie und Praxis, ohne das Studium in die Länge zu ziehen. Beide Seiten profitieren davon, wenn Studierende in ihrer Diplomarbeit Themen aufgreifen, für die im Alltagsgeschäft der Firmen weder Zeit noch Kapazitäten vorhanden sind. Johann Lex, Head of Regional Services Operations beim Mobilfunknetzbetreiber O2 in München, arbeitet mit der Technischen Universität München zusammen und holt regelmäßig Diplomanden ins Haus. "Die Themen müssen dem Unternehmen etwas bringen, aber auch attraktiv genug sein, damit sich die Studenten dafür interessieren", so sein Kalkül. Die Betreuung der angehenden Informatiker ist intensiv, denn sie arbeiten während dieser Zeit in einem Projekt mit, sind in ein O2-Team integriert und besuchen parallel dazu Seminare an der TU München. Mit den bereits gelernten Grundlagen der angehenden Informatiker ist Lex zufrieden, lediglich die mitunter spärlichen Englischkenntnisse verwundern den promovierten Agraringenieur. Vorträge in englischer Sprache zu präsentieren gehört in einem international ausgerichteten Unternehmen wie O2 dazu. "Sie werden es nicht glauben, aber ich hatte einen Diplomanden, der sich weigerte, eine Präsentation in Englisch vorzutragen." Die lapidare Empfehlung von Denert lautet: "Dann schmeißen Sie ihn raus. Muss man heute überhaupt noch darüber reden, dass jeder Englisch können muss?"

Gestandene Projekt-Manager sind in der Industrie nach wie vor gefragt. Eine Diplomarbeit oder Promotion hilft nach Ansicht der Expertenrunde durchaus, im späteren Berufsalltag schneller und zielgerichteter Projekte umzusetzen. Um ihren Job gut zu erledigen, brauchen die angehenden Informatiker allerdings auch Talent. Nach den Erfahrungen von HVB-Geschäftsführerin Bauer kann die Hochschule nur bedingt die notwendigen Fähigkeiten eines Projekt-Managers lehren: "Die Studierenden müssen das Wesentliche von ihrer Veranlagung her mitbringen." O2-Manager Lex ergänzt: "Ein Projektleiter muss in schwierigen Zeiten den Überblick behalten, muss seine Leute anleiten und in kritischen Phasen motivieren." Soft Skills kann die Hochschule nur bedingt lehren, selbst wenn sie für den späteren Beruf unumgänglich sind. Längere Studienzeiten bieten hier keinen Ausweg.

Im Gegenteil, schon jetzt dauert das Studium in Deutschland zu lange. "Ich finde es besonders schlimm, dass unsere Studenten so alt sind, wenn sie die Hochschule verlassen, und sich viel zu lange in Schulen und Hörsälen getummelt haben", moniert TU-Professor Broy. "Da verzichte ich gerne auf das Praxissemester, wenn sie ein halbes Jahr früher in das Arbeitsleben einsteigen."

In der Tat treten deutsche Absolventen wesentlich später ins Berufsleben ein als ihre Kollegen aus anderen Ländern. Vorzüge wie fundierteres Wissen und mehr Lebenserfahrung wiegen diesen Nachteil nach Ansicht von Accenture-Mann Seiger nicht auf. In Weiterbildungsveranstaltungen des Beratungsunternehmens treffen 22- oder 23-jährige Amerikaner auf 27- oder 28-jährige Deutsche - "es gibt keine großen Unterschiede, was die technischen Kenntnisse betrifft."