IT in Versicherungen/Verteilte Vertragsverwaltung von Kraft-Flottenprodukten

Groupware-basierte Client-Server-Lösungen schaffen Klarheit im Tarifdschungel

04.02.2000
Seit der Öffnung des Versicherungsmarkts ist eine starke Diversifikation besonders im Segment der Kraftfahrzeuge zu beobachten. Dabei sind etablierte Großrechnersysteme immer weniger in der Lage, die durch den Vertrieb vorgegebene Produktvielfalt zu verarbeiten. Groupware-basierte Client-Server-Lösungen schaffen sowohl für Innen- als auch Außendienst neue Möglichkeiten effizienter Produktverwaltung. Herbert Rogenhofer* und Hans-Peter Holl* berichten.

Bis 1993 war die Versicherungswelt vor allem im Kraftbereich noch in Ordnung. Die Regulierung auf dem europäischen Markt verhinderte den Wettbewerb unter den Versicherern durch die Gleichschaltung der Tarife und damit des Preises für eine Fahrzeugversicherung. Für den Verbraucher war es letzten Endes völlig gleichgültig, zu welcher Versicherung er ging. Allein durch zusätzliche Serviceleistungen wie beispielsweise ein großes Vertriebsnetz mit individueller Kundenbetreuung konnten sich die Versicherer von ihren Konkurrenten unterscheiden.

Diese Gleichförmigkeit endete mit der Aufhebung der Regulierung. Die Konsequenz war für den Verbraucher erfreulich, denn der Preis fiel - zunächst. Gerade große Service-Versicherer sahen sich allerdings mehr und mehr einem zusehends stärkeren Marktdruck ausgesetzt. Denn Direktversicherer konnten das identische Produkt "Kraftversicherung" anbieten, ohne sich in der Folge ein kostenintensives Vertreternetz leisten zu müssen. Dementsprechend günstiger konnte deren Preisgestaltung ausfallen. Der einzige Weg, diesem Druck etwas entgegenzusetzen, ohne gleichzeitig Heerscharen von Versicherungsspezialisten im Vertrieb entlassen zu müssen, war es, die Tarife und damit deren Vergleichbarkeit systematisch intransparent zu machen. Diese Produktdiversifikation schlägt sich heute gerade im Privatkundenbereich in speziellen Nachlässen für beispielsweise Hauseigentümer, bestimmte Berufsgruppen, Einzelfahrer, Garagenbesitzer, Wenigfahrer etc. fort. Diese Liste lässt sich fast beliebig fortgesetzen (s. Tabelle).

Der Verbraucher steht also heute unweigerlich vor dem Problem, die Tarife nicht mehr so ohne weiteres vergleichen zu können. Der Serviceversicherer hat durch diesen Marketing-Trick sein Ziel erreicht: Der Kunde ist verwirrt, die Vertreterschaft begeistert. Somit wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Versicherer kann seine periodischen Tariferhöhungen durchführen, ohne Gefahr zu laufen, Kunden zu verlieren.

Denn gleichzeitig gibt er dem Vertreter neue Instrumente der Tarifgestaltung an die Hand, um die Erhöhung durch einen individuellen Nachlass fast wieder zu nivellieren - aber eben nur fast.

Die Problematik verstärkt sich im gewerblichen Flottengeschäft noch. Firmenkunden, die bei einem bestimmten Versicherer eine Vielzahl von Fahrzeugen unter Vertrag haben, werden sehr individuell betreut und erhalten zusätzliche individuelle Flottentarife. Gängige Modelle sind hier beispielsweise:

-Jahrespauschalprämien (eine Flotte kostet unabhängig von unterjährigen Bewegungen im Bestand einen ausgehandelten Jahresbeitrag),

-Stückbeiträge für bestimmte Fahrzeuggruppen (jeder Pkw eines bestimmten Herstellers kostet den gleichen Versicherungsbeitrag) oder

-Verlaufsrabatteinstufungen (alle Fahrzeuge einer Flotte werden abhängig von der Schadensquote mit einem einheitlichen Schadenfreiheitsrabatt eingestuft, der sich dann im Zeitverlauf verbessern oder auch verschlechtern kann, je nachdem welche Schäden der Flottenbetreiber verursacht).

Das bedeutet, dass die ohnehin schon intransparente Gestaltung der Versicherungsprämien durch spezielle Tarife für Flottenbetreiber noch komplexer und undurchsichtiger wird.

Datenaustausch ist ein erfreuliches Nebenprodukt

Doch damit nicht genug. Um umsatzstarke Firmenkunden eng zu binden, werden zusätzliche Dienstleistungen angeboten: Customer Care ist hier das Schlagwort. Der Versicherer stellt beispielsweise in differenzierten und individuellen Schadensanalysen dem Flottenbetreiber Instrumente zur Verfügung, mit deren Hilfe er erkennen kann, welche Fahrer mit welchen Fahrzeugen unter bestimmten Begleitumständen (Nachtfahrten, Rückwärtsfahrten, Auslandsfahrten etc.) häufig Schäden verursachen. Risk-Management gibt dem Versicherungsnehmer, aufbauend auf Schadensanalysen, die Möglichkeit, durch geeignete Trainings der Fahrer oder differenzierte Einsatzplanung Schäden zu verhindern. Diese Bindungsmaßnahmen gehen so weit, Teile der IT des Kunden an die versicherungsinterne Flottenverwaltung anzukoppeln. Ein heute schon praktiziertes Modell ist die Weitergabe einer Flotten-Management-Software an den Versicherungsnehmer, die ihm Auskunft über die Kostensituation seiner Flotte, Termine der Fahrzeuge oder beispielsweise Schadenshäufigkeit bei Fahrern geben kann. Der Datenaustausch mit dem Versicherer ist ein erfreuliches Nebenprodukt, spart dem Versicherer die Eingabe der Fahrzeugdaten und dem Versicherten die oft äußerst komplexe Verwaltung der unterschiedlichen Tarife.

Doch diese aus Service-, Vertriebs- und Bindungsgesichtspunkten sehr positive Entwicklung birgt ungeahnte Schwierigkeiten für den Innendienst, da die heterogenen Verträge und Tarife ständig auf die neuen Gegebenheiten im Außendienst angepasst werden müssen, und das innerhalb von wenigen Monaten oder sogar Wochen. Betrachtet man hingegen die vorhandene IT-Infrastruktur in großen Versicherungsgesellschaften, so trifft man in den meisten Fällen auf großrechnerbasierte Lösungen. Die verfügbare Software für die Partner-, Bestands-, und Schadensverwaltung ist meist über mehrere Jahrzehnte gewachsen und häufig Cobol- beziehungsweise PL1basiert, so dass sich die Generationen der Entwickler nicht selten schon überlebt haben. Die vom Grundsatz her absolut sichere und in der Verfügbarkeit ungeschlagene Datenhaltung auf Host-Systemen kann jedoch den heute nötigen schnellen Anpassungszyklen durch neue Markterfordernisse nicht mehr gerecht werden. Selbst eine optimal arbeitende DV-Abteilung wäre durch die komplexen Aufgaben überfordert.

Eine seit einigen Jahren zu beobachtende Konsequenz ist die Etablierung von Insellösungen. In den Fachabteilungen sprießen Microsofts Windows-basierte PC-Systeme aus dem Boden, zumeist werden dann kleinere bis mittlere Projekte an externe IT-Dienstleister vergeben. Die hausinterne DV-Abteilung hat - wenn sie nicht politisch Druck machen kann - das Nachsehen und steht einem unüberbrückbaren Anwendungs-Wildwuchs gegenüber. Diese Problematik ist in nicht wenigen Fällen hausgemacht, denn es fehlt die konzernübergreifende Gesamtkonzeption einer Client-Server-Host-Architektur.

Durch Workgroup-Software integrieren

Geeignete Plattformen zur Lösung dieser vielschichtigen fachlichen wie technischen Anforderungen sind Workgroup-basierte Bestandssysteme im Client-Server-Umfeld (beispielsweise Lotus-Notes-basiert) mit einer effizienten Host-Connectivity zur Datenhaltung und Bedienung der Folgesysteme (Buchhaltung, Druck). Nebenstehende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang.

Dieses Konzept ermöglicht eine schnelle und flexible Gestaltung beziehungsweise Anpassung der grafischen Oberflächen mit einem Standard-Tool, dessen Know-how breit am Markt verfügbar ist. Die Anwendungslogik wird generisch gestaltet, das heißt, das System bietet ein technisches Gerüst. Die fachliche Logik wie beispielsweise Attribute, fachliche Prüfungen, Tarifierung von Fahrzeugen etc. ist durch abgekapselte Schnittstellen offen und durch Nichttechniker wart- beziehungsweise erweiterbar. Dies spart Aufwände und Kosten auf der Entwicklerseite. Die fachlichen Komponenten werden bei Bedarf in den zentralen Server des Systems eingespielt und sind somit sofort für die Sachbearbeitung verfügbar. Im konkreten Fall bedeutet das, dass bei einem neuen Tarif kein Code in der eigentlichen Anwendung entwickelt werden muss. Ein technisch versierter Mitarbeiter des Fachbereichs kann neue Attribute mit neuen fachlichen Regeln entwerfen und in das System einpflegen. Die abgekapselte Tarifierung lässt sich ebenfalls ohne Eingriff in die Kernanwendung modifizieren. Time-to-Market-Anforderungen von wenigen Monaten sind so keine Utopie mehr.

Die einheitlichen grafischen Oberflächen für die Manipulation der versicherten Objekte lassen eine Bearbeitung von unterschiedlichen fachlichen Branchen im Innendienst zu. So ist es möglich, sowohl Kraftversicherungen wie auch Sach- und Haftversicherungen zu verwalten. Komplexe fachliche Produkte wie Bündelpolicen sind schnell und flexibel implementierbar. Neben den Bestandssystemen lassen sich auch Schadens- und Auswertungssysteme mit diesem Konzept abbilden.

Ein wesentlicher Vorteil des Workgroup-basierten Ansatzes ist gerade in der Versicherungswelt der Datenaustausch zwischen Innen- und Außendienst. Die hier vorgestellte Technologie bietet Dienste und Funktionalitäten, die eine Replikation beziehungsweise Synchronisation der Daten zwischen dem abgekapselten lokalen Außen- und dem Server-basierten Innendienstsystem ermöglichen. Der Versicherungsmitarbeiter im Außendienst gleicht über eine WAN-Kopplung seine Daten periodisch mit dem zentralen System ab, ändert sie eventuell während seiner Kundenbesuche und spielt sie wieder in das Innendienstsystem ein. Umfangreiche Sicherheitsmechanismen für verteilte Anwendungen werden vom Systemstandard unterstützt.

User-Interface kann auch ein Web-Browser sein

Das User-Interface kann wahlweise auch ein Web-Browser sein, so dass bei Bedarf auch der versicherte Kunde über ein Extranet Einblick in seinen Bestand und Schadensverlauf nehmen kann.

Um die Stärken der Sicherheit in der Datenhaltung zu nutzen, werden die vorhandenen Großrechnersysteme als Datenspeicher eingesetzt. Hausinternes Know-how lässt sich weiterhin sinnvoll nutzen, die sicheren Schnittstellen zu den Folgesystemen außerhalb der eigentlichen Bestandsverwaltung, beispielsweise der Finanzbuchhaltung oder dem Policendruck über Massendruckstraßen, bleiben erhalten.

Die hohen fachlichen Anforderungen im Versicherungsbereich können nur adäquat abgedeckt werden, wenn eine Migration von den bestehenden Host-Systemen hin zu flexiblen Client-Server-Host-Architekturen stattfindet. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Außendienst-Erfordernisse verstärkt sich dieser Effekt weiter, denn Klarheit im Tarifdschungel lässt sich nur schaffen, wenn auch der Vertreter beim Kunden vor Ort jederzeit durch entsprechende Technik unterstützt wird.

Angeklickt

Versicherer, die Kraft-Produkte anbieten, stehen heute in zweierlei Hinsicht vor Problemen: Zum einen wurden und werden seit der Öffnung des Versicherungsmarkts im Jahr 1993 etliche neue Tarifierungsmerkmale für Kraftfahrzeuge als Rabattierungsmöglichkeit für den Kunden konzipiert, zum anderen steht die interne IT dadurch vor beinah unlösbaren Aufgaben. Denn die Time-to-Market-Spanne, das heißt die Zeit, die zwischen fachlicher Konzeption und Markteinführung eines neuen Versicherungsprodukts vergeht, wird immer kürzer und bewegt sich bei großen Versicherern mittlerweile im Bereich von drei Monaten. Genau dies ist dann auch das Zeitintervall, in dem die interne IT das neue Produkt verarbeiten muss - für Großrechnersysteme mangels Flexibilität ein oftmals hoffnungsloses Unterfangen. Zumal sich die Produkte für den Privatversicherungsmarkt zwar noch einheitlich gestalten, im Firmenkundengeschäft bei Fahrzeugflotten jedoch in der Regel stark abweichen und individuell zugeschnitten sind.

*Herbert Rogenhofer ist Geschäftsführer und Hans-Peter Holl ist Prokurist und Seniorberater der Nobiscum Gesellschaft für Informationssysteme und Beratung mbH, Würzburg.