Großreinemachen in Stuttgart

12.07.1985

Vergessen wir mal die deutschen Vertriebstöchter amerikanischer Minicomputer- und Mikrocomputer-Hersteller. Das sind Organisationen, bei denen sich das Personalkarussell ständig dreht - ideale Jagdgründe für Headhunter. Von den verkaufsorientierten Unternehmensbereichen der IBM Deutschland konnte man das bisher nicht sagen.

Nach dem Großreinemachen in Stuttgart (Seite 1: "IBM neuerlich mit neuer Vertriebsstruktur") rangiert die Unsicherheit vieler IBMer - und vieler IBM-Kunden - momentan auf einem Spitzenplatz der marktpolitischen Ärgernisse. Denn als Anwender wüßte man eben heute schon gerne, mit wem man es morgen bei seinem Hauslieferanten zu tun hat. Die Personalum(be)setzungen bei der IBM Deutschland dürften indes noch nicht abgeschlossen sein.

An diesem Beispiel kann man fast alles lernen, was für Organisationen gilt, die eine bestimmte Größe erreicht haben. Die erste Lehre: Der Marktführer tut sich unheimlich schwer, das Bösenberg-Programm unter "erledigt" abzuhelfen. Der letzte Geschäftsführer hatte eine "schwäbische Seilschaft" unter Sparberg und Biehler um sich geschart - diese Seilschaft wird peu ß peu ausgetauscht. Keine Wörner-Lösung (alle 50jährigen raus aus der Verantwortung): Aber mit Henkel (45), Dorn (44) und Auer (44) kommen Vertreter einer neuen Manager-Genetation in Stuttgart ans Ruder.

Hier haben wir ein weiteres Problem: Kompetenz und Verantwortung. Es begegnet uns bei der Frage der Wachablösung, die Hausmachten verändert. Der neue Kronprinz Hans-Olaf Henkel, aus der Europa-Zentrale abkommandiert, ließ mit Bernhard Auer einen Mann aufrücken, mit dem er schon in Paris eng zusammengearbeitet hat. Keine Frage: Die einzelnen Strange des Personal-Verwirrspiels laufen bei Henkel zusammen, der unter Erfolgszwang steht, sein Können beweisen muß.

Es sind ja nur vordergründig Personalprobleme, die IBM drücken - und damit wären wir beim dritten Punkt: Die Ursache für die Unsicherheit (siehe oben) ist unschwer zu erraten. Die IBM Deutschland dürfte erhebliche Schwierigkeiten haben, ihr Umsatzsoll in diesem Jahr zu erfüllen. Das betrifft zunächst den PC-Bereich, in dem weiter experimentiert wird. So soll künftig zweigleisig gefahren werden: Einmal auf der Händlerschiene, die der neue Geschäftsbereich "Vertrieb Handelspartner" unter Auer betreut. Dann aber auch im Michel-Bereich "Neue Märkte", dem die Schrägstrich-Produktfamilien /36, /38 und Serie /1 als Ausgleich zugeschlagen wurden.

Dies kann nur als geordneter Rückzug auf Positionen gewertet werden, die vor vier Jahren mit der Eingliederung der Low-end-Bereiche BD und TD (Basisdatenverarbeitung sowie Text- und Datensysteme) in den Gesamtbereich Marketing/Vertrieb Informationssysteme freiwillig geräumt worden waren. Im Klartext: Neue Märkte (Btx!) hin, PC-Euphorie her - das Low-end-Geschaft muß laufen. Mit dem System /3, später mit den Modellen /32 und /34, hatten die BD-Leute jahrelang vorgemacht, wie erfolgreich IBM- Mittelstandamarketing sein kann.

Ob die BD-Renaissance bei IBM wirklich etwas bringt, steht dahin. Ein wichtiger Aspekt der gesamten Neuorganisation für die Anwender könnte leicht übersehen werden: Die IBM strafft, um die Produktivität ihres Vertriebsapparates zu steigern. Das mag gut sein für Big Blue - aber ist es auch gut für die Kunden ?