Großrechner oder die Monster im Keller

15.07.2002
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.
Lange galten Mainframes als hoffnungslos veraltete Technologie. Doch spätestens seit sie Internetfähig wurden, sind die Monster im Keller wieder aktuell - nur ist niemand mehr da, der sie bändigen kann.
Quelle: Taschen Verlag
Quelle: Taschen Verlag

"Wenn in meinem Lebenslauf steht, dass ich mal ein RPG-Programm geschrieben habe, sinkt doch mein Marktwert sofort!" Peter Barysch, der als Manager Business Intelligence bei DHL Worldwide Express GmbH für die IT-Infrastruktur zuständig ist, muss heute noch lachen, wenn er sich an diesen Satz eines jungen Bewerbers erinnert. Ihm gegenüber saß ein hoffnungsvoller Kandidat, der bei dem international operierenden Logistikunternehmen wegen einer Anstellung verhandelte. Beim Thema Großrechnerwelt stieg der Nachwuchs aus: rückwärtsgewandte Technologie! No Future!

Da sinkt der Marktwert

"Junge Bewerber wollen sich nicht mehr mit Großrechnersystemen abgeben", sagt Barysch. Sein damaliger Jobkandidat habe erklärt, er müsse mit Java auf dem Laufenden bleiben und vielleicht noch mit der Scriptsprache PHP. Mit diesen Technologien wolle er sich gerne auch Projektmeriten erwerben. Aber in der Welt der Mainframes reüssieren? Niemals!

Solche Phobie ist weit verbreitet und droht sich für deutsche Konzerne schon in naher Zukunft zu einem ernsthaften Problem auszuwachsen: In den Kellern insbesondere der Versicherungs- und Bankenkonzerne, aber auch mittelständischer Unternehmen, stehen IT-"Monster", auf denen in PL1, Cobol oder Assembler geschriebene und für die Unternehmen unverzichtbare Kernanwendungen unter vorgeblich veralteten MVS-, VM- oder VSE-Betriebssystemen laufen.

"Die wagt niemand mehr anzufassen, weil sich keiner mehr damit auskennt", sagt ein Berater, der nicht genannt werden will. Sein Unternehmen versteht sich auf solche Probleme und hilft Firmen mit Großrechnern, denen das Know-how für diese komplexen Systeme buchstäblich wegstirbt. So einen misslichen Umstand zugeben zu müssen ist den Betroffenen natürlich außerordentlich peinlich. Also schweigt sich der Berater über seine Kunden aus. "Jeder in diesen Firmen betet in seinem stillen Kämmerlein, dass ihre Großsysteme einfach weiter vor sich hinarbeiten, ohne Fehler zu produzieren."

Einfach vor sich hinarbeiten - das ist leichter gesagt als getan. Als die HypoVereinsbank aus München im Oktober 2001 den schlimmsten anzunehmenden Computer-Crash durchlitt, ging nichts mehr bei den bayerischen Bankern. Kein Kontoauszug langte mehr beim Kunden an, Bankautomaten spuckten kein Geld aus, die Rechnersysteme der Filialen streikten wieder und wieder. Unklar blieb, ob die Probleme in einer Fehlfunktion der IBM-Mainframes sowie der dort lagernden DB/2-Datenbank zu suchen waren oder durch einen massiven Virenbefall verursacht wurden. Ein völlig entnervter Münchner Filialarbeiter stöhnte nur noch: "Wir sind total aufgeschmissen. In der Schalterhalle ist die Hölle los."

Kai Nowak, früher selbst bei einer Bank in leitender Position für die IT zuständig und jetzt bei dem Hamburger Beratungsunternehmen Maturity Consulting GmbH für deutsche Großkonzerne tätig, hält es für besorgniserregend, dass das Wissen um Host-Systeme zunehmend verloren geht: "Viele Verantwortliche in den Unternehmen sagen sich ,Never touch a running system´ und lassen die Maschinen einfach weiterlaufen."

Diese Vogel-Strauß-Politik ist sehr gefährlich. Das Wissen um die Funktionsweise eines Mainframes trockne rapide aus. Nowak mahnt: "Viele Konzerne sollten sich mal bewusst werden, dass rund zehn Prozent ihrer IT-Mitarbeiter jetzt schon fast im Rentenalter sind. Das sind aber gerade die Leute mit dem Know-how über die Verflechtungen der Host-Systeme mit der gesamten übrigen Firmen-IT-Struktur. Diese Experten gehen den Unternehmen relativ kurzfristig verloren."