Adabas, Complete und Natural als Fundament für Software-Engineering:

Großprojekt: Baustein für Baustein feingeplant

14.05.1982

Software-Engineering - das ist Methodendiskussion in Gazetten und auf Kongressen. Das ist Reizwort von Anbietern "revolutionärer" Konzepte, nachdem sie ihre gestern noch als "high sophisticated" apostrophierten Tools integriert haben. Aber das ist auch das praktische Vorgehen bei der Krupp MaK Maschinenbau GmbH in Kiel. Dort hat man eine fundierte Theorie und praktische Erfahrungen, die mit Zahlen untermauert sind.

In 116 Jahren wechselvoller Unternehmensgeschichte hat die MaK Pionierleistungen erbracht im Bau von Dieselmotoren, im Lokomotivbau, in der Wehrtechnik. Die etwa 3900 Mitarbeiter starke Belegschaft in Kiel-Friedrichsort wird informationstechnisch unterstützt durch ein Duplexsystem IBM 4341, an das 300 Bildschirme angeschlossen sind. Zu den Anwendungsschwerpunkten zählen Materialwirtschaft und Fertigungssteuerung, kommerzielle Auswertungen und technisch-wissenschaftliche Programmierung, Planung und technischlogistische Datenbank.

Auf der grünen Wiese gibt es in der hochentwickelten MaK-DV nichts mehr zu entwerfen. Aber Anpassung der vorhandenen Software und Weiterentwicklung der komplexen Systeme - diese Anforderungen werden ständig einer kritischen Kosten-Nutzen-Betrachtung unterzogen.

Beispiel: Auftragsabwicklung im Motorenbau. In der theoretischen Betrachtung wird die absolute Untergrenze für eine komplette Auftragsabwicklung mit Zugriff auf Lagermotoren auf 2,5 bis drei Monate angesetzt. Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus: zehn bis zwölf Monate dauerte es noch im Jahre 1970. Dann aber wurde ein Batchsystem für Fertigungssteuerung und Materialdisposition entwickelt. Ab 1972 konnte damit die Auftragsabwicklung auf zirka acht Monate verkürzt werden. Acht Mannjahre Softwareentwicklungs-Aufwand waren der Preis.

Aber die Informationstechnik sollte dem Unternehmen noch mehr bringen. Die Systeme wurden durch Zentrallagerorganisation im Dialog mächtiger gemacht, ab 1976 verkürzte sich die Auftragsabwicklung auf zirka sechs Monate. Das hatte weitere acht Mannjahre EDV-Entwicklung gekostet.

1978 fragten sich die Kieler in einer Systemstudie, ob man noch näher an das Maximum herankommen könne. Gewiß, sagte die Studie, vier Monate seien erreichbar - zum Preis von noch einmal 16 Mannjahren. Da schlug den Kielern wiederum das Kostengewissen. Denn Informationstechnologie um jeden Preis lehnen sie ab; der Prozentsatz an den Betriebskosten muß im großen und ganzen konstant bleiben.

In den neuen Büros direkt am Strand der Kieler Förde warf man traditionelles Denken über Bord. Die Meinung ist: "Komplexe EDV-Systeme kann man nicht mehr auf konventionelle Weise planen und

realisieren. Die wechselnden Anforderungen der Wirklichkeit führen jedes Großprojekt spätestens im Stadium der Feinplanung ad absurdum." Deshalb beschränkt man sich heute auf Bedarfsanalyse und Grobplanung.

Mit einer verblüffend einfachen Darstellungsweise ordnet man die einzelnen Bausteine sachlich und zeitlich: von oben nach unten gemäß zeitlicher Abfolge, von links nach rechts gemäß sachlicher Abhängigkeit.

Jeder Baustein wird für sich "feingeplant" und realisiert - aber erst wenn er an der Reihe ist. Entflechtung ist der praktische Nutzen. Doppelt zählt der psychologische Nutzen: frühzeitige Erfolgserlebnisse von Baustein zu Baustein und kein Zwang mehr, ein mit enormem Aufwand feingeplantes Projekt gegen neue Anforderungen der

Fachbereiche verteidigen zu müssen.

Die Kehrseite: Wer auf Planungstiefe verzichtet, muß höheren Änderungsaufwand in Kauf nehmen. Denn die Bausteine werden nunmehr in Angriff genommen ohne Rücksicht auf Änderungsnotwendigkeiten für früher erstellte Einheiten.

Neue Werkzeuge

Wer dabei nicht den Teufel mit Beelzebub austreiben will, hat Vorsorge zu treffen: Die Aufwandssumme aus weniger Planung und mehr Änderung muß unter dem gedachten Schnittpunkt von maximaler Planung/maximaler Änderung liegen. Dazu brauchten die Kieler geeignete Werkzeuge.

Mit "Adabas", "Complete" und "Natural" von der Darmstädter Software AG wurde dieses Fundament geschaffen. Exakte Zahlen aus zweijähriger Erfahrung belegen das.

Adabas: Nach Prüfung sechs verschiedener DBMS wurde 1978 Adabas installiert. Die Begründung: Das relationale Konzept gewährt die erforderliche Flexibilität zur Änderung von Datenbank und File-Strukturen. Pointierung verspricht zwar Redundanzfreiheit, treibt aber den

Änderungsaufwand zu hoch. "Etwas mehr Redundanz zugunsten eines

eleganteren Systems ist wirtschaftlicher, als Plattenplatz zu sparen. Damals hatten wir drei große Bestände, aber die Wirklichkeit sieht doch anders aus: Man braucht viele kleine Files." Deshalb strikte Trennung von Daten und Anwendung.

Complete folgte 1979. Es erlaubt im Teilnehmerbetrieb NC-Programmierung und Job-Eingabe durch die Entwicklungs- und Konstruktionsabteilungen, die Angebots- und Auftragsbearbeitung durch den Vertrieb, die Stammdatenverwaltung durch die technische Zentralabteilung und eben auch die Softwareentwicklung durch die EDV-Abteilung.

Was den Kielern jetzt noch fehlte, war eine Sprache der "dritten Generation", der strategisch planerischen Softwaregeneration.

Das wurde Natural im Jahre 1980. Der Erfolg: Man hat den Entwicklungsaufwand reduzieren können und das "time lag" geschlossen. Man hatte mit einer wesentlich höheren Maschinenbelastung gerechnet, hätte sie auch bewußt in Kauf genommen, und war verblüfft, wie wenig mehr Maschine durch Natural beansprucht wurde.

Neue Programmiersprache

Nach Auffassung in Kiel hat Natural den organisatorischen Ansatz der Bausteinrealisierung in der Programmierung als eine "sehr mächtige Sprache" entscheidend unterstützt: Man kann blockweise erste Ergebnisse erzielen, die Funktion der Programme interaktiv prüfen. Man wird automatisch zum strukturierten Programmieren gezwungen, nicht zu riesengroßen Programmen verführt; man denkt transaktionsorientiert.

Aber die EDV-Verantwortlichen der MaK haben mehr verlangt: "Wenn man in der Codierung 80 Prozent spart, diese Phase aber nur zehn Prozent des Gesamtaufwandes ausmacht, reduziert man insgesamt auf 92 Prozent. Das ist zuwenig." Deshalb war für sie besonders beeindruckend, wie Natural schon beim Grobentwurf hilft. Da werden bereits Masken vorformuliert, wird der Rahmen gemäß Leistungsverzeichnis abgesteckt, wird diskutiert, ausprobiert und verbessert. "Man ist erstaunt, wie schnell man zu besseren Ergebnissen kommt."

Aber die MaK hat ihre Entscheidung nicht auf Treu und Glauben gebaut. Mit einem Pilotprojekt wurde eine Vergleichsentwicklung betrieben: Sieben Mannmonate veranschlagte eine Fremdfirma, die MaK schaffte es mit Natural in 2,5 Mannmonaten.

Schiefe Ausgangssituation? Dann ein weiteres Beispiel: Für die Umrüstung des 75/76 für ein dezentrales System mit Cobol entwickelten Zentrallagersystems auf eine TCAM-Version mit ISAM-Dateien brauchte man inklusive diverser Änderungen und Verbesserungen des Systems zirka sechs Mannjahre. Von Herbst 81 bis März 82 wurde das System erneut revidiert und auf Complete und Adabas umgestellt, Aufwand vergleichbar der TCAM-Umrüstung - aber tatsächlicher Einsatz mit Natural zweieinhalb Mannjahre.

Ein drittes Beispiel: Ein auf konventionelle Weise feingeplantes System wurde nach Abschluß der Planung an verschiedene Softwarehäuser vergeben zwecks Kalkulation des Realisierungsaufwands. Die Angebote beliefen sich auf zirka eine Million Mark.

MaK bat die Anbieter, sich mit Natural auseinanderzusetzen. Neues Angebot 600 TDM.

In Handhabung und Lernbarkeit verlangt Natural nach MaK-Überzeugung einen Bruchteil dessen, was einem die höheren Programmiersprachen abverlangen. Neue Projekte werden heute ausschließlich in Natural programmiert von 60 Prozent aller Mitarbeiter in der zentralen EDV. Cobol wird nur noch für Wartung und Erweiterung bestehender Anwendungen verwandt.

Allerdings erwartet man von der Software AG nun die Fortentwicklung von Natural zu einer universellen Sprache, die sich auch für den technisch-wissenschaftlichen Bereich eignet.

Wie zufrieden man aber heute schon mit Natural ist, zeigt die Tabelle, die im Rahmen einer Standortbestimmung über den Einsatz zusammengestellt wurde (Abbildung). 16 Dialoganwendungen befinden sich bei der MaK bereits im Einsatz. Sie sind über die 300 Bildschirme und 55 Terminaldrucker in allen Bereichen der Verwaltung, Produktion und Technik verfügbar. Zum Teil zwei Jahre früher als ursprünglich geplant.

*F. Jörgen Kamm ist Marketing-Berater EDV in Bergisch Gladbach.