Web.de: Initiativbewerbungen dank Börsengang

Große Erwartungen

16.06.2000
Web.de gibt sich erwachsen. Seit 7. Februar 2000 am Neuen Markt in Frankfurt börsennotiert, von der Garage in repräsentative Räume umgezogen, pflegt die Internet-Firma das Image eines mittelständischen Unternehmens mit großen Ambitionen. Von Anna Blume*

Die Zielvorgabe ist klar: Web.de möchte zum populärsten Internet-Portal in Deutschland aufsteigen. Die Strategen sehen vor allem bei den vielen neuen Surfern großes Potenzial. "Unified Messaging" heißt eines der Zauberworte. Mit der kostenlosen E-Mail-Adresse können die Nutzer beispielsweise unbegrenzt viele kostenlose Kurznachrichten (SMS) versenden, einen weltweit verfügbaren Anrufbeantworter einrichten oder Faxe verschicken und empfangen. Mit den hohen Sicherheitsstandards, etwa einer speziellen Verschlüsselungstechnik für Mails, digitaler Unterschrift und zusätzlichem Service wie kostenlosem Telefonsupport möchten die Karlsruher die Konkurrenz abhängen.

Ernüchterung nach anfänglichem Aktienhoch

Allerdings herrscht nach dem Aktienhoch im Februar nur sieben Wochen später Ernüchterung. Der Kurs stieg kurzfristig vom Emissionspreis von 26 auf 78 Euro. Ende März ist das Portal Web.de mit knapp unter 30 Euro notiert. "Wir wollen keine Zocker als Anleger, sondern langfristige Investoren," sagt Richard Berg, seit Januar in Karlsruhe für Investor Relations zuständig. Ein großer Teil des Aktienerlöses soll in Marketing-Maßnahmen fließen, um "Web.de" als Marke bekannter zu machen. Vorstandsvorsitzender Matthias Greve gibt sich ganz optimistisch und selbstbewusst: "Ende 2001 wollen wir 50 Prozent der deutschen User erreichen."

Bei den Brüdern Michael und Matthias Greve standen schon im Kinderzimmer die ersten programmierbaren Flimmerkisten, ihre erste Programme schrieben die beiden Computerfreaks schon als Jugendliche. Bereits 1987 gründeten sie die Cinetic GmbH mit Sitz in Karlsruhe. Die Internet-Agentur gestaltete und verwaltete in erster Linie Web-Auftritte. Vor fünf Jahren setzten sie ihre Idee, ein deutschsprachiges Verzeichnis mit einer Suchfunktion einzurichten, im Netz um. Aus anfänglich 2500 Eintragungen ist mittlerweile ein Katalog von 250 000 deutschen Internet-Seiten geworden. 27 000 Themensparten helfen den Surfern, damit sie im Datendschungel nicht verloren gehen. Zusätzlich bietet das Portal neben der Suchmaschine zahlreiche Serviceangebote in den Bereichen Kommunikation, Nachrichten, Entertainment und Community an.

An der Universität Karlsruhe hielt es die findigen Unternehmensgründer nicht lange. Der heute 36-jährige Michael Greve, verantwortlich für das Ressort Technologie, hatte noch den längsten Atem. Er schaffte es bis zum Vordiplom in Elektrotechnik, sein jüngerer Bruder Matthias warf bereits nach einem Semester das Handtuch. Heute ist er Vorsitzender des Vorstands und beschäftigt sich mit der Vermarktung der Site. Schließlich wollen die Brüder 2002 ihren Aktionären schwarze Zahlen vorlegen. In diesem Jahr rechnen sie trotz Börsengang mit einem Minus von 13 Millionen Euro. Verdienen möchte Web.de in Zukunft vor allem mit Werbeeinnahmen und E-Commerce-Angeboten.

Nur: Was macht die Brüder aus Karlsruhe so zuversichtlich, dass sie enorm wachsen und bald die Hälfte aller deutschsprachigen Surfer als Kunden in der Datenbank haben? "Wir verfügen über eine ausgezeichnete Technik und können wesentlich flexibler reagieren", so die Greve-Brüder. Die hohen Sicherheitsstandards und das vielfältige Angebot sollen die Kunden überzeugen. Solche Sätze meinen vor allem die große Konkurrenz Yahoo, denn bei der letzten GfK-Untersuchung lag der Mitbewerber klar vorn.

Mit beiden Beinen im Leben

Mit Aktienpaketen und attraktiven Aufgaben will Markus Moll, Human Resources Manager, neue Mitarbeiter anlocken. Dabei wünscht er sich Leute, die etwas bewegen wollen und eine große Internet-Affinität mitbringen. Trotzdem sollen sie noch mit beiden Beinen im realen Leben stehen und keine Cyberjunkies sein. "Die Persönlichkeit ist entscheidend bei uns, es gibt kein starres Anforderungsprofil. Angelpunkt ist die Flexibilität, immer wieder Neues lernen zu wollen." Momentan arbeiten in der schick renovierten Etage des ehemaligen Pfaff-Nähmaschinengebäudes 67 Festangestellte und fast ebenso viele Teilzeitkräfte und freie Mitarbeiter. Bis zum Ende des nächsten Jahres soll sich die Zahl der Angestellten versiebenfachen. Keine leichte Aufgabe für Moll. Vor allem in den Abteilungen Web-Design, technische Entwicklung und Marketing gibt es noch genügend leere Schreibtische.

Der Börsengang und das dazugehörige Marketing locken auch neue Bewerber. Ein netter Nebeneffekt, denn mittlerweile kommen auch Initiativbewerbungen an. Bisher suchte Web.de bevorzugt neue Mitarbeiter mit fundierter Berufserfahrung, für die nur eine minimale Einarbeitung notwendig war. In Zukunft muss Moll mehrere Register ziehen, um an die vielen neuen Leute zu kommen. Deshalb stehen beispielsweise Hochschul-Marketing und interne Schulungen ganz oben auf seiner Agenda. "Da wir unsere komplette Technologie selbst entwickelt haben, können wir kaum auf externe Seminarangebote zurückgreifen. Wir entwickeln deshalb eigene Schulungskonzepte für unsere Mitarbeiter", so der Personalexperte.

Die langen Arbeitszeiten, die bei so manchem Internet-Startup üblich sind, sind bei Web.de verpönt. Es gibt keinerlei Zeiterfassung, und die Mitarbeiter können ihre Zeit frei einteilen. "Wir wollen unsere Leute nicht auspowern", betont Moll, "sondern achten schon darauf, dass die Arbeit nicht alles ist." Das heißt dann schon mal, dass der Teamleiter jemanden nach Hause schickt, der tage- und nächtelang am Bildschirm klebt. "Nur mit ausgeglichenen und zufriedenen Mitarbeitern können wir konstruktiv über lange Zeit gut zusammen arbeiten."

*Anna Blume ist freie Journalistin in Berlin.