Konkurrenz durch Windoes NT droht

Grosse Anbieter definieren Unix als einheitliches Betriebssystem

26.03.1993

Mit einer "Common Open Software Environment" (COSEwollen sechs fuehrende Anbieter jetzt die Portierung von Anwendungen zwischen unterschiedlichen Unix-Ausfuehrungen vereinfachen. Marktbeobachter sehen darin allerdings auch eine Reaktion auf die bevorstehende Marktfreigabe von Windows NT.

Nach dem derzeitigen Stand der Informationen hat Microsoft die generelle Verfuegbarkeit seines Multiuser-Betriebssystems fuer Mitte des laufenden Jahres geplant (siehe CW Nr. 12 vom 19. Maerz 1993, Seite 1). Exakt zur selben Zeit, naemlich Ende Juni 1993, wollen HP, IBM, SCO, Sunsoft, Univel und USL erste Arbeitsergebnisse des COSE-Projekts vorlegen. Mit Produktimplementierungen ist in der ersten Haelfte des kommenden Jahres zu rechnen.

Hinter dem Kuerzel COSE verstecken sich zunaechst die Spezifikationen fuer eine "Common Desktop Environment", auf die sich HP, IBM, Sunsoft, Univel und USL eigenen Angaben zufolge bereits geeinigt haben. Diese Desktop-Umgebung ist ein Konglomerat aus Workplace Shell und CUA-Modell von IBM, Visual User Enironment (Vuevon HP, dem Motif-Toolkit von der Open Software Foundation (OSF) sowie Open Look von Sunsoft und dem Desktop Manager des USL- Unix System V Release 4.2.

Kompatibilitaet bleibt erhalten

Darueber hinaus wollen die sechs Unix-Anbieter ein Set von Application Programming Interfaces (API) entwickeln, die Unix zu dem machen sollen, was es noch nicht ist: ein einheitliches Betriebssystem. Anwendungen, bei deren Erstellung die Spezifikationen dieser Programmierschnittstellen beruecksichtigt werden, sind naemlich, so die Absichtserklaerung, auf jedem der unterstuetzten Betriebssysteme ablauffaehig. Wie die COSE- Gruppe verspricht, bleibt die Kompatibilitaet mit existierenden AIX/6000-, HP-UXl-, Open-Desktop-, Solaris-, Unixware- und SVR4.2- Anwendungen dabei erhalten.

Mit Hilfe ihrer API-Spezifikationen hofft die Sechserbande, den Portabilitaetsvorsprung des Microsoft-Betriebssystems aufzuholen und sich so neben den RISC-Kunden auch einen Anteil am schnell wachsenden Markt fuer Desktop-Betriebssysteme zu sichern. Laut Alain Fastre, Managing Director European Operations bei der Open Software Foundation (OSF) in Bruessel, sind Portierungen zwischen unterschiedlichen Unix-Derivaten derzeit nur innerhalb gewisser Basisfunktionen moeglich. "Was die Leute wollen, ist eine hoehere Ebene der Portabilitaet", erlaeutert der europaeische OSF-Chef. Ungeklaert bleibt bislang allerdings, wie detailliert die in Aussicht gestellten API-Spezifikationen sein werden.

Digital Equipment fehlt auf der Liste

Das COSE-Komitee will bereits als Quasi-Standard etablierte Technologie in sein Konzept einbeziehen. So hat jeder der sechs Anbieter seine Bereitschaft erklaert, die fuer verteilte heterogene Systeme ausgelegten Produkte Distributed Computing Environment (DCE) von der OSF, ONC von Sunsoft und Netware Unix Client von Univel zu vermarkten und zu unterstuetzen. Ausserdem haben sich die sechs Unix-Spezialisten verpflichtet, die Common Object Request Broker Architecture (Corba) von der Object Management Group (OMG) in ihren Produkten zu implementieren.

Im Grafik- und Multimedia-Bereich engagieren sich die COSE- Initiatoren ebenfalls. Sie haben nicht nur den vom X-Konsortium entwickelten Grafikfunktionen Xlib/X, Pexlib/Pex und Xielib/Xie ihre Unterstuetzung zugesagt, sondern arbeiten auch an einer Spezifikation fuer den einheitlichen Zugriff auf Multimedia- Werkzeuge in heterogenen Umgebungen.

Eine ganze Reihe weiterer Hardware- und Software-Anbieter reagierte prompt und kuendigte an, dass sie COSE unterstuetzen werde. Dazu zaehlen der Postscript-Anbieter Adobe, der CAD-Spezialist Autodesk, der Softwareriese Computer Associates (CA), der Supercomputer-Hersteller Cray Research, das Serviceunternehmen EDS, die PCM-Anbieter Fujitsu und Hitachi, die Datenbank-Companies Ingres, Oracle und Sybase sowie ICL, Siemens-Nixdorf, Toshiba und Unisys. Auf den ersten Blick faellt auf, dass ein Name auf dieser Liste fehlt: Die Digital Equipment Corp. hat nach den Worten von William Strecker, Vice-President fuer Engineering, die Einzelheiten dieser Unix-Allianz erst einen Tag vor der offiziellen Ankuendigung erfahren. In diesem Zusammenhang wies Strecker allerdings auch darauf hin, dass DEC bereits eine Unix-Umgebung im Angebot habe, die unterschiedliche Derivate in sich vereinige.

Wie Fastre auf Anfrage bestaetigte, offeriert Digital Equipment tatsaechlich ein "Unified Unix", das auf Ultrix und OSF/1 basiere und mit Einschraenkungen System-V-kompatibel sei. "Moeglicherweise deckt Digital Equipment bereits vieles von dem ab, das die anderen Anbieter weiterentwickeln wollen", mutmasst der OSF-Manager.