Deutsche Bank entwickelt Abwicklungsplattform für elektronische Märkte

Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr

23.02.2001
MÜNCHEN (qua) Für eine vornehmlich mittelständische Kundschaft stellt die Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main, unter dem Namen "Global Trade Management" (GTM) eine Web-basierte Business-to-Business-Lösung für die Abwicklung elektronisch angebahnter Geschäfte zur Verfügung. Die in Java programmierte "E-Solution" ist auf leichte Erweiterbarkeit konzipiert.

Wer hochpreisige Produkte über einen elektronischen Markt verkauft, kennt seinen Kunden manchmal nur dem Namen nach; vor allem, wenn sein Geschäftspartner im Ausland ansässig ist, schaltet er deshalb gern eine dritte Partei ein, die das Geschäft reibungslos über die Bühne bringt. Mit einer brandneuen Web-Plattform hat die Deutsche Bank dafür eine Lösung entwickelt.

Wie Kerstin Leopold, Leiterin des Projekts E-Solution, berichtet, will die Deutsche Bank ihrer Klientel ein "Rundum-sorglos-Paket" für die finanzielle Handhabung grenzüberschreitender Geschäftsvorfälle anbieten. GTM kontrolliere nicht nur den Zahlungsfluss, sondern kümmere sich auch um die Zollabfertigung der Waren.

Unter einen Hut gebracht werden mussten dabei zwei unterschiedliche Komponenten: zum einen elektronische Informationen, zum anderen traditionelle Handelsdokumente wie Rechnungen, Lieferscheine, Frachtbriefe. Denn die Rechtslage erfordert in vielen Fällen den "bewussten Medienbruch", so Leopold. Auch wenn das Geschäft via Web abgeschlossen wurde - ohne einen Lieferschein, der schwarz auf weiß den Besitzerwechsel dokumentiert, wird kaum ein Käufer den vereinbarten Kaufpreis überweisen und ohne einen Beleg für den Zahlungseingang kein Verkäufer die Ware freigeben. Folglich ist es auch im Internet-Zeitalter bisweilen notwendig, physische Dokumente hin- und herzuschicken - insbesondere dann, wenn die Ware länger unterwegs ist.

GTM fungiert als Vermittler in diesem indirekten Zug-um-Zug-Geschäft: Der Verkäufer reicht die Dokumente bei der zuständigen Deutsche-Bank-Filiale ein. Sind die Papiere in Ordnung, veranlasst GTM die Weiterleitung des Kaufpreises an den Verkäufer und der Dokumente an den Käufer. Einen solchen Ablauf hat beispielsweise der erste E-Markt implementiert, mit dem GTM verbunden ist: die Investitionsgüter-Börse www.surplex.com.

Wenn das Marktplatz-Modell einen Logistikdienstleister einbezieht, verändert sich dieser Prozess allerdings. Hier wird meist mit Fristen gearbeitet, innerhalb derer eine Leistung erbracht sein muss; es sind also Ausnahmeregelungen und eventuelle Änderungen der Konditionen zu berücksichtigen. In einem zweiten Projektschritt soll deshalb eine rein elektronische Payment-Lösung entwickelt werden, die diese Abläufe unterstützt.

Mit der Umsetzung des Systems betraute der Bankkonzern die Objective Software GmbH. Das Münchner Beratungs- und Lösungshaus stieg im Juli 2000 in das Projekt ein, das zu diesem Zeitpunkt bereits eine dreimonatige Analysephase hinter sich hatte. 15 Softwarespezialisten machten sich daran, die Vorstellungen der Deutschen Bank Realität werden zu lassen. Mittlerweile ist das erste Teilprojekt beendet. Seit Ende Oktober 2000 läuft das System produktiv.

Wie der Name andeutet, arbeitet Objective Software vorwiegend mit objektorientierten Entwurfsmethoden. So legten die Münchner auch bei der Entwicklung der E-Solution Wert auf hohe Änder- und Erweiterbarkeit. Mit Hilfe der objektorientierten Entwurfssprache "Unified Modelling Language" (UML) - oder konkreter: mit dem UML-Werkzeug "Together/J" von Object International und dem Modellierungs-Tool "Rational Rose" von Rational Software - erstellten und erstellen die Entwickler Frameworks, die Daten und zugehörige Funktionen so koppeln, dass sie als Grundmuster für Anwendungsarchitekturen dienen können. Für neue Applikationen müssen diese Muster nur noch entsprechend abgewandelt werden.

Der Rahmen ist alles andere als starr

Ein Beispiel für ein solches Framework ist die Workflow-Engine, die der E-Solution zugrunde liegt. In ihrer derzeitigen Form bildet sie lediglich einen einzigen Ablauf ab: den von Dokumenten begleiteten Investitionsgüterkauf beziehungsweise -verkauf. Wenn GTM mit weiteren elektronischen Marktplätzen verbunden werden soll, muss die Vorgangsbearbeitung sicher auch die Einbindung eines Transportlogistik-Unternehmens leisten. Die Framework-Architur der Vorgangsbearbeitungs-Software erspart den Entwicklern dann aufwändige Programmierungsarbeiten, beteuert Tom Mödl, Technical Architect bei Objective Software.

Für den Betrieb der E-Solution hat das Projektteam eine Internet-Server-Farm aufgebaut, die sich aus vier E-450-Modellen und zehn "Netra"-Servern von Sun - mit dem Betriebssystem Solaris - zusammensetzt. Die Antwort auf die Frage nach dem Applikations-Server lautete: "IBM Websphere". Das Datenbank-Management-System "Oracle 8i" dient dazu, alle Abwicklungsdaten aus interner und externer Sicht zu speichern. Am Laufen gehalten wird die gesamte Konfiguration im Rechnenzentrum der Deutschen Bank.

Wie die Workflow-Engine, so ist auch die Benutzer-Schnittstelle der E-Solution in Java codiert. Der Browser des Käufers oder Verkäufers muss aber nur die Hypertext Markup Language (HTML) verstehen, weil die Seiten auf dem Server generiert werden.

Die von Sun lancierte und mit weiteren Erleichterungen für den Entwickler aufwartende Komponententechnik "Enterprise Javabeans" (EJB) kommt bei Objective Software nur vereinzelt zum Einsatz - immer dort, wo eine komplexe Workload-Verteilung notwendig ist. Ansonsten begnügt sich das Team mit normalen Java-Klassen, die zwar mehr Programmierarbeit erfordern, dafür aber nicht so viel Performance fressen wie die Beans.

Keine Angst vor Haken und Ösen

Um den Überblick über die unterschiedlichen Releases der E-Solution-Software zu behalten, nutzen die Entwickler das Werkzeug "J Report" von J-Infonet Software Inc., Washington D.C. (www.jinfonet.com). Für das Java-basierte Versions-Management-Tool hält Objective Software die Vermarktungsrechte im deutschsprachigen Raum.

Jüngste Meldungen über gescheiterte Java-Projekte (siehe CW 39/00, Seite 1) beeindrucken den Objective-Software-Geschäftsführer Clemens Dannheim wenig. Eine neue Technik habe ihre "Haken und Ösen". Doch über Erfolg oder Misserfolg einer Systementwicklung entscheide nicht die Programmiersprache, sondern das Projekt-Management. Mit seinem Kompagnon Nikolaus Letsch stimmt Dannheim darin überein, dass es vor allem darauf ankomme,

- engen Kontakt mit dem Auftraggeber (der "Business-Seite") zu halten,

- sich am Machbaren zu orientieren und

- so viel Zeit wie notwendig (manchmal sehr viel Zeit) auf die Entwurfsphase zu verwenden.

Eine notwendige Bedingung für ein erfolgreiches Projekt seien zudem kommunikationsfähige Mitarbeiter.

Wie bereits angedeutet, ist das E-Solution-Projekt auf Weiterentwicklung angelegt. Dem fertigen Modul werden also weitere folgen. "Dazu müssen die Fachabteilungen aber voll Release-fähig sein", scherzt Letsch, um - ernster - hinzuzufügen: "Diese Vorgehensweise setzt eine gewisse Leidensfähigkeit voraus."

Den Nutzern von GTM bringt die E-Solution eine Reihe von Vorteilen: Sie sind beispielsweise in der Lage, den jeweiligen Stand ihres Beschaffungs- beziehungsweise Verkaufsprozesses im Internet zu verfolgen. Über ein Tracking-System können die registrierten Benutzer jederzeit erurieren, ob eine Zahlung schon eingegangen ist oder möglicherweise noch im Workflow eines involvierten Bankinstituts herumlungert.

Zudem löst das System jedes Mal, wenn ein Schritt des Prozesses abgeschlossen ist, eine E-Mail an alle Beteiligten aus. Objective Software hat dabei Sicherheitsvorkehrungen gegen unberechtigte Mitleser getroffen: Verschickt wird nicht die komplette Nachricht, sondern ein Link auf eine Internet-Seite, die nur über ein Passwort zugänglich ist. Alle über das Netz weitergegebenen Nachrichten sind ohnehin mit 1024 Bit verschlüsselt.

Doppelte Authentifizierung vermeiden

Die Anbindung an die Backend-Systeme, eines der vordringlichen Themen bei vielen E-Business-Projekten, hatte in der ersten Phase des GTM-Vorhabens keine hohe Priorität. Die manuelle Überprüfung von Dokumenten schränke die Möglichkeit für automatische Abläufe ohnehin ein, so die Begründung der Projektverantwortlichen. Wichtiger sei die Integration mit den elektronischen Marktplätzen. "Wir versuchen, möglichst viele Daten vom Marktplatz zu übernehmen", erläutert Mödl. Vor allem die Authentifikations-Informationen, die Käufer und Verkäufer auf dem elektronischen Markt hinterlassen, werden über eine Schnittstelle direkt in die E-Solution hineingespielt. So ersparen sich die Beteiligten eine mehrmalige Anmeldungsprozedur, und eine mögliche Ursache für Fehleingaben und Diskontinuitäten fällt fort.

Die Komponenten

Tom Mödl, als Technical Architect maßgeblich in das E-Solution-Projekt involviert, hat die Merkmale zusammengestellt, die seiner Ansicht nach zum Gelingen des Vorhabens beitragen:

- Die Softwarearchitekten arbeiten mit Frameworks, die sie selbst erstellen. Enterprise Javabeans kommen aus Performance-Gründen nur "wohldosiert" zum Einsatz.

- Innerhalb der Frameworks werden ausgewählte Entwurfsmuster ("Design Patterns") genutzt.

- Für eine optimale Teamkommunikation sorgen eine eingespielte Plattform für verteiltes Software-Engineering, eine durchgängige Dokumentation auf Basis der Unified Modelling Language und der allgemein akzeptierten Pattern-Beschreibungen sowie ein Wissens-Management, dem im Entwicklungsteam eine eigene Position zugewiesen ist.

- Die Systemerstellung wird sinnvoll durch Tools unterstützt: "Together J" und "Rational Rose" für die Modellierung, das Open-Source-Produkt "Concurrent Version System" (unter Windows und Solaris) für die verteilte Softwareentwicklung, "J Report" für die Versionskontrolle.

- Das Team besteht überwiegend aus erfahrenen Softwareentwicklern und -dozenten. Sie vereinen theoretisches und praktisches Know-how sowie die Fähigkeit, neue Mitarbeiter auszubilden.

Abb.1: Das Geschäft

Das Global Trade Management der Deutschen Bank bildet die Drehscheibe für Dokumente, Geld und Informationen. (Quelle: Deutsche Bank)

Abb.2: Die Architektur

Die "demilitarisierte Zone" (DMZ) zwischen dem Internet und dem Intranet ist durch zwei Firewalls gegen unberechtigte Zugriffe geschützt. (Quelle: Objective Software GmbH)