Grapho-Epitaxie-Verfahren noch im Versuchsfeld:Chips der dritten Dimension sind schneller

07.03.1980

LEXINGTON/MASSACHUSETTS - Am Lincoln Laboratory des Massachusetts Institute of Technology (MlT) in Lexington arbeiten Wissenschaftler nach einem Bericht in der COMPUTERWORLD an einem Verfahren, das zur Entwicklung schnellerer integrierter Schaltungen und möglicherweise zu einem dreidimensionalen Siliziumchip führen kann. Die Wissenschaftler sind der Ansicht, daß der Prozeß die Herstellung integrierter Schaltungen revolutionieren kann. Es gelang ihnen, eine dünne Siliziumschicht auf Quarzglas von hoher Reinheit aufwachsen zu lassen. Damit wurden erstmalig Siliziumkristalle auf einem nichtkristallinen Substrat gezüchtet.

Das Geheimnis dieses Prozesses mit Namen "Grapho-Epitaxie" liegt in einer Reihe von Rillen, die in das Glassubstrat eingeritzt sind. Eine nicht kristalline Silizium-Wasser-Mischung wird auf das Substrat gegeben; bei Erwärmung mit einem Argonlaserstrahl beginnt dann die Kristallbildung. Das Wasser wird nun mit einem Stickstoffstrahl weggeblasen, und zurück bleibt der soeben gebildete Siliziumkristall.

An dem Projekt arbeiten Henry J. Smith, M. G. Geis und Dale Flanders im Rahmen eines mit 630 000 Dollar dotierten Forschungsauftrags des Verteidigungsministeriums.

Man läßt die Siliziumkristalle, wie Projektleiter Smith erläutert, in einem langen Zylinder aufwachsen und schneidet sie dann ab.

Ein ähnliches Verfahren wird zur Bildung von Siliziumkristallen auf Saphirkristallen angewandt. Dabei gelang aber bisher nur polykristallines Silizium, dessen Kristalle in einer Zufallsorientierung gebildet werden.

"Unser Verfahren ist ziemlich einfach", meint Geis. "Man hat ein Einkristallmaterial, auf dem man Transistoren und dergleichen bilden kann. Dann läßt sich das Ganze mit Siliziumdioxid beschichten und darüber noch eine andere Beschichtung oder aber ein Siliziumkristall auf Substrat aufbringen". In die beiden Siliziumschichten können dann zur

elektrischen Verbindung Löcher gebohrt werden.

Bis dahin war das nicht möglich, weil man keine zweite Siliziumschicht aufbringen konnte. Dazu meint Geis: "Mit den gegenwärtigen Verfahren (Silizium auf Saphir) lassen sich keine hochwertigen Schaltungen erzielen. Sie sind langsam, begünstigen Leckströme und sind insgesamt von sehr zweifelhafter Güte, so daß man sie nicht in irgendwelche

größere Schaltungen einbeziehen sollte."

Noch fünf Jahre

Ein dreidimensionales Chip ist zwar möglich, doch ist es nach Ansicht des Projektleiters Smith bisher noch nicht möglich, die starke Wärmeentwicklung zu bekämpfen, die bei solchen Chips entsteht: "Gegenwärtig werden Mikroschaltungen sehr dicht auf Siliziumchips gepackt und geben eine bestimmte Wärmemenge ab. Bildet man zwei oder drei Schichten aufeinander, dann wird die Wärmeentwicklung noch größer. Eine Vervollkommnung des Verfahrens kann noch fünf Jahre dauern."

Was die Kosten anbelangt, werde die am MIT gemachte Entdeckung keinen umwälzenden Einfluß auf die Computerindustrie ausüben, meinte Geis. "Was Kosten verursacht, ist der Prozeß, nicht das Material. Der große Fortschritt liegt darin, daß man Schaltungen herstellen kann, die bisher unmöglich oder nur mit großem Aufwand möglich sind. Mit dem neuen Verfahren" - so Geis - "kann man Einzeltransistoren herstellen, die elektrisch isoliert sind. Das hat den Vorteil eines besseren Frequenzverhaltens, höherer Schaltgeschwindigkeiten und einer geringeren Wärmeentwicklung."

Sehr gute Dioden

Das Team versucht jetzt, eine Gruppe von Transistoren auf dem grapho-epitaxialen Silizium zu bilden; bis jetzt gelang ihnen das aber nur mit Dioden. "Es ergibt sehr gute Dioden", meinte Geis, "doch fehlen uns noch harte Meßdaten, beispielsweise über die Lebensdauer." Die Herstellung ist nicht ohne Probleme, doch sind diese nur von untergeordneter Bedeutung. Das gleichmäßige Aufwachsen von Siliziumkristallen hört auf, wenn das Leistungsniveau des Lasers über 7 Watt hinaus erhöht wird. Bei dieser Leistung schmilzt nämlich das Silizium und, läuft weg wie Butter. Das ist aber nach Geis kein Problem, weil der Grapho-Epitaxieprozeß mit 6 bis 7 Watt auskommt.

Eines der schwerwiegendsten Probleme, vor dem die Wissenschaftler stehen, bedarf aber noch der Lösung. Die entstehende Siliziumschicht hat eine sehr rauhe Oberfläche. Die zur Zeit verwendeten Siliziumkristalle sind "so gut wie anatomisch glatt". Die Wissenschaftler untersuchen nun die Arbeiten anderer Forscher über polykristallines Silizium, um herauszufinden, wie man die grapho-epitaxiale Schicht glätten kann.

Die grapho-epitaxial hergestellten Schaltungen können aber auch für sogenannte "weiche Fehler" anfällig sein, die durch das Eindringen von Alphateilchen in die Siliziumschicht verursacht werden. Obwohl Silizium und Substrat von hoher Reinheit sind und keine radioaktiven Bestandteile enthalten, die bei ihrem Zerfall Alphateilchen emittieren, können Gold und andere Metalle, die zur Herstellung der Schaltungen verwendet werden, radioaktive Partikel enthalten. Die Hersteller von polykristallinem Silizium versuchen nun, die Probleme mit den Alphateilchen in ihren Produkten zu lösen.

Idee auf der Frontscheibe

Smith kam auf das Grapho-Epitaxie-Verfahren beim Beobachten von Eiskristallen, die von winzigen, unsichtbaren Kratzern auf der Frontscheibe seines Wagens ausgingen. Das war vor zehn Jahren. Seitdem hat er versucht, eine Methode zum Einritzen dicht nebeneinanderliegender Linien in das Substrat zu erfinden.

Im Jahr 1978 entwickelte nun einer seiner Studenten ein Verfahren, durch das solche winzige Linien mit Hilfe der Photo-Lithographie und des reaktiven Ionenätzens eingeschnitten werden können.

*Phil Hirsch, Computerworld, Washington Bureau; die Übersetzung besorgte Hans J. Hoelzgen, Böblingen.