Ein junger Markt sucht seine Chancen:

Grafik-Anwendungen oszillieren in satten Tönen

04.11.1988

Bunt und vielfältig wie der Blick durch ein Kaleidoskop stellt sich der Markt für Grafikanwendungen dar. Hochqualifizierte optische Täuschung wechselt mit beeindruckenden Animationssequenzen, poppigen Geschäftsgrafiken und dreidimensionalen Technoskeletten. Indes, das Wirrwarr grafischer Anwendungen löst sich langsam in lebensfähige Teilmärkte.

Der Markt für grafische Software bewegt sich immer noch in einem jener frühen Anfangsstadien, in denen prinzipiell mehr Code verfaßt, als daß Marktnischen identifiziert oder besetzt werden. Noch, so hat es den Anschein, bindet die Lust an der Technologie und ihren - im wahrsten Sinn des Wortes - schillernden Möglichkeiten mehr Kräfte als die Produktvermarktung in größeren Stückzahlen oder die Berücksichtigung von Kostenfaktoren.

Zeigen ist besser als beschreiben

Der Ausdruck "Computergrafik" als Umschreibung eines DV-Segmentes fungiert mehr als eine Art Oberbegriff und umschließt eine Vielzahl verschiedenster Produkte, Anwendungen und Experimente. Dementsprechend wird der Markt, so wie er sich jetzt darstellt, in seinem Wachstum eher divergieren und sich langfristig teilen, als zu einer geschlossenen Einheit zusammenzuwachsen.

Junge Märkte indes haben ihre Besonderheiten. So ist es immer besser, dem Anwender eine Demonstration des Entwickelten zu geben, als das Produkt zu beschreiben. Das Problem bei der Präsentation von Computergrafik ist, daß die Demonstrationen schnell anfangen, den Anwender und potentiellen Kunden zu langweilen, beziehungsweise ihn vom eigentlichen Produkt hin zu Farben und Formen abzulenken.

Der Verkaufserfolg bleibt jedoch fraglich

Die Entwickler von Computergrafik-Software haben zwar eine Menge aufregender Dinge zu zeigen und präsentieren grafische Arbeiten höchster Qualität, der Verkaufserfolg jedoch bleibt fraglich. Bilder werden übereinander gelegt und unter Berücksichtigung jedes einzelnen Bildelementes sorgfältig so neu zusammengestellt, daß ein vollkommenes visuelles Produkt entsteht. Gleichwohl - der mögliche Anwender sieht immer noch keine Applikation für solche grafische Arbeiten.

Trotz komplexen Software und ausgefeilter Hardware sind die Anwendungen für solche Produkte noch begrenzt. Neben der reinen CAD ergeben sich effektive Anwendungen derzeit erst in der Animation und dem reinen Visualisierungsgeschäft, in dem der Preis niemals genannt wird und Qualität schlicht über alles geht.

Diese zwei Bereiche der Animation und Visualisierung bewegen sich jedoch noch ein wenig unsicher neben den eigentlichen Anwendungen des Computergrafikgeschäftes. All diese differenten Marktsegmente stehen letztlich nur unter einer gemeinsamen Begriffsbestimmung, so wie es sich auf der Computer Graphics '88 in London gezeigt hat. Da jeder Markt für sich noch so jung ist, gab es bislang wenig Chancen, sich zu profilieren und abzusetzen.

Innerhalb des anscheinend vereinten Computergrafikmarktes lassen sich wenigstens sechs verschiedene Teilbereiche identifizieren. Jeder von ihnen, so wurde auf Ausstellung und Konferenz deutlich, wird sich in den nächsten zwei oder drei Jahren separat für sich entwickeln und eigene Marktführer und technische Trendsetter hervorbringen.

Neben dem Markt für Animation und Visualisierung - bekannt aus Zahnpastareklame und modernen Kunstausstellungen - sind CAD, grafische Terminalemulation, Geschäftsgrafiken, Imaging, Bilddatenbanken und grafische Schnittstellen als zukünftig eigenständige Segmente zu nennen.

Der Markt für CAD ist weiter fortgeschritten als andere. Dies wird unter anderem dadurch deutlich, daß es einen klaren Marktführer im Bereich PC-CAD-Software gibt. Fast alle Hardwarehersteller tragen dafür Sorge, daß dieses Paket auf ihren Systemen läuft. Die Rede ist von Auto Desks AutoCad.

Das Unternehmen hält einen beständigen Anteil von über 70 Prozent der verkauften Einheiten im britischen Markt für PC-basierende Grafikprodukte und ist bei der wertmäßigen Betrachtung sogar noch höher angesiedelt. Die Herausforderer und Mitbewerber haben begriffen, daß sie diese Vorgabe erfolgreich nur über den Preis angehen können.

Die Mehrzahl der CAD-Software läuft jedoch - vom Wert her betrachtet - nicht auf PCs, sondern auf spezieller Hardware oder Minicomputern, die mit speziellen grafischen Terminals ausgestattet sind. Die Emulation grafischer Bildschirme ist deshalb ebenfalls zu den stark wachstumsorientierten Marktsegmenten zu zählen. Hier existiert derzeit schon eine Anzahl von Standards im Weltmarkt - Standards, die allerdings eher von den Marktanteilen der Hersteller bestimmt werden als von internationalen Standardisierungsgremien. Im Jahre 1988 betrug das Marktvolumen für grafische Terminalemulation 10 Millionen Dollar, errechnete das Marktforschungsinstitut Dataquest. Es belief sich im vergangenen Jahr auf sieben Millionen US-Dollar.

Software für grafische Emulation ändert einen PC in ein grafisches Terminal um. Die hier am häufigsten nachgebildeten Terminals stammen wohl von DEC und Tektronix.

Der geringe Preis für solche Pakete - von 200 bis 1000 britische Pfund (600 bis 3000 Mark) - bringt es mit sich, daß sie unterhalb einer Schwelle liegen, an der es effektiv wird, sie über andere Kanäle als Händler oder via Direktwerbung zu vertreiben.

Die Hersteller gehen diesen Markt von verschiedenen Richtungen aus an. Einige haben sich zwischenzeitlich im grafischen Markt etabliert und bedienen die eine oder andere Marktnische. Andere indes tummeln sich noch im Terminalmarkt und sehen hier eine Chance zur Expansion, nicht zuletzt, um zu verhindern, daß die wachsende PC-Installationszahl ihr ursprüngliches Geschäft anknabbert. Pericom aus Großbritannien zählt zu ihnen.

Pericom hat sich selbst erst kürzlich in den Markt für grafische Terminalemulationen gehievt und wird zum Start vorerst über direkte Werbung in spezialisierten Fachblättern verkaufen. Als Response auf die Anzeigen werden laut Marketingplan Demo-Disketten ausgeliefert, die dem Anwender die Funktionsweise der Software erläutern und - sich nach 30 Tagen selbsttätig löschen. Im nächsten Jahr dann beginnt Pericom damit, Direktmail-Aktionen zu starten und die wachsende Gemeinde der Anwender grafischer Systeme anzuschreiben.

Software auch für ungeübte Anwender

Pericom und andere, die in den Markt für grafische Terminalemulation drängen, bewegen sich in ein Segment, daß eigentlich von kleinen Häusern dominiert wird. Das US-Unternehmen Grafpoint besitzt als einziges unter ihnen einen nennenswerten Anteil von 40 Prozent an den Weltverkäufen.

Während die Terminalemulation einen Weg darstellt, Zugang zur Grafik zu finden, ist der andere der, eine offene Basissoftware zu kreieren. Die Coventry Polytechnic aus Großbritannien beschreitet diesen Weg. Das Computerscience Department in Coventry entwickelte eine portable Software, die es auch ungeübten Anwendern erlaubt, Computerbilder und Animationssequenzen zu erstellen. Coventry bietet vor allem Herstellern von Grafiksystemen an. Es läuft unter MS-DOS oder Unix.

Kleinere Unternehmen dominieren den Markt

Unter Berücksichtigung der Jugend nahezu aller grafischen Softwaremärkte an sich, sind die Beschicker im erweiterten Grafikbereich meist kleinere Unternehmen oder Entwicklungsgruppen wie Coventry, die ihre technischen Fähigkeiten nutzen, um einerseits Geschäfte zu machen, andererseits aber auch, ihre technische Basis auszuweiten und zu verfeinern.

Als Resultat hiervon gibt es noch eine Menge Freiraum für Neueinsteiger. KGB Micros aus Großbritannien zum Beispiel ist auf dem Markt mit einer Bild-Bibliothekssoftware für PCs erschienen. Eine solche Bild-Bibliothek kann auf einer optischen Platte aufgebaut und gespeichert werden, die mit einem IBM PC oder kompatiblem System läuft und durch KGBs PS/Firm verwaltet wird.

PS/Firm zielt von der Konzeption her auf größere Unternehmen mit einem Bestand von 20 000 Bildern. Die Information wird mit Hilfe der Software katalogisiert. Anwender können bei ihrer Suche durch eine Selektion von Slides rollen, die durch den Inhalt bestimmt wird. Die Kosten für ein komplettes System inklusive eines leistungsfähigen PCs werden mit 20 000 britischen Pfund beziffert.

Solche Software ist wie erwähnt ursprünglich für einen limitierten und spezifischen Markt entwickelt worden, in dem Anwender gezielt nach Lösungen suchen. Der Hauptwettbewerb spielt sich im Bereich teurer Workstations von Sun und Apollo ab. KGBs Vorteil, und auch der anderer Anbieter, ist, daß solch teure Hardware eigentlich für die Anwendung nicht benötigt wird.

Personal Computer sind die günstigste Hardware

Ein Standard-PC ist zu einem weitaus geringeren Einstiegspreis erhältlich. Aber dieser Vorteil ist für den KGB-Approach nicht von so gravierender Bedeutung, da der Markt nach Aussage des Unternehmens absolut nicht preissensibel reagiert. Anstelle des Preisfaktors tritt vielmehr der Vorteil der PC-Anwendung als solcher, da der Anwender bereits mit einem solchen System vertraut ist oder sogar schon eins besitzt.

Die Hardwarebasis in Form eines PCs ist also oft schon vorhanden: ein nicht geringer Vorteil für den Softwareentwickler. Der VGA-Standard, den IBM mit der PS/2-Serie im April 1987 einführte, und das grafische Interface, das Apple mit dem Macintosh zur selben Zeit auf den Markt, brachte, stellen beide ausreichende Qualität für die Wiedergabe fast aller Animationen und Bild-Anwendungen dar. Beide PCs besitzen zudem Steckplätze, in die Grafikkarten integriert werden können, die zusätzliche Prozessorleistung für Grafikanwendungen liefern und die dann wiederum für die verfügbare Software bereitsteht.

Das richtige Marketing entscheidet über den Erfolg

Erfolgreiche Software zielt in das richtige Marktsegment und liefert konsequent neue Features. Die Kosten für Softwarentwicklung sind allerdings mittlerweile so immens, daß das Marketing sehr treffsicher und gezielt konzipiert und angewendet werden muß. Die Analyse der derzeitigen Situation mit dem Trend eines noch zu generellen und undurchsichtigen Marktes wird im Bereich grafischer Software dazu führen, daß sich in den nächsten zwei Jahren mehrere, ausgereiftere Einzelmärkte entwickeln. Sie werden durch die Dominanz klar definierbarer Marktführer als Segmente charakterisiert sein, die sich aus der Vielfalt der Produkte und Anwendungen herausgeschält haben.

Einer der profitabelsten Märkte der hier schon angegangen wird, ist der für grafische Software in traditionellen datenverarbeitenden Bereichen. Die Verantwortlichen dieser Abteilungen sind es gewohnt, größere Summen für Software bereitzustellen, aber alle angeschafften Pakete waren bislang hauptsächlich text- oder datenorientiert.

Der klassische Softwareanwender wird nun langsam darin ausgebildet, Grafik intensiv zu gebrauchen, da mehr und mehr grafische Schnittstellen für kommerzielle Arbeitsplätze bereitgestellt werden. Aber dies ist ein eher langwieriges Geschäft. Das Grafik-ausgelegte Interface des Apple Macintosh ist nun über fünf Jahre alt, und auch die IBM-PC-Architektur hat bis jetzt noch nicht effektvoll durchgeschlagen.

Ein relativ schneller Aufschwung zeichnet sich indes in einem anderen Bereich ab. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfährt der wissenschaftliche und technische Sektor die ungeteilte Aufmerksamkeit von Herstellern grafischer Schnittstellenpakete.

Der wissenschaftliche Markt bleibt der wichtigste

Uniras, ein britisches Unternehmen für grafische Tools beispielsweise zielt mit seiner neuen "Useit"-Serie grafisch-orientierter Softwareentwicklungstools auf diesen wissenschaftlichen Markt.

Uniras sagt, daß ein Maximum von 15 Fortran-Codezeilen ausreiche, um das Interface aufzurufen und auszuführen, das der Anwender zuvor durch den Aufruf von Subroutinen definiert hat - und berichtet von einer interessanten Erfahrung, die zu dieser Entwicklung geführt hat: Nur unterhalb einer Schwelle von 15 Zeilen Code nämlich wird ein kommerziellorientierter Entwickler dieses Thema aufgreifen, und ihm seine Aufmerksamkeit widmen.

Bis dahin allerdings wird die Erfüllung der Bedürfnisse wissenschaftlicher und technischer Anwender von grafischer Software für die Konzeption weiterer Produkte dominierend sein.