Mobilfunk/Die technische Evolution im Mobilfunk

GPRS: Erster Schritt zu Mobile Multimedia

06.12.2002
Mobile Anwendungen sind kein Alleinstellungsmerkmal der kommenden dritten Mobilfunkgeneration Universal Mobile Telecommunications System (UMTS). Die technische Aufrüstung der Mobilfunknetze auf General Packet Radio Service (GPRS) hat den Weg zu "Mobile Multimedia" und in eine IP-basierende Kommunikationszukunft geebnet. Von Holger Wild*

Obwohl die Vorfreude auf die mobile Informationsgesellschaft aufgrund der hohen UMTS-Lizenzkosten und der Konjunkturschwäche stark getrübt ist, zeigt ein genauer Blick, dass Mobile Multimedia schon heute, im Zeitalter der "zweieinhalbten Mobilfunkgeneration", ein Stück Wirklichkeit ist. Durch die rasante Softwareentwicklung wird das Mobiltelefon nämlich zunehmend zur Plattform für Anwendungen, die speziell für das mobile Umfeld entwickelt werden.

Die Entwicklung lässt sich an einigen Beispielen nachvollziehen: Außendienstmitarbeiter müssen beispielsweise nicht mehr ins Büro fahren, um ihre E-Mails anzurufen. Heute geht das in Sekundenschnelle aufs Handy. Außerdem sind die neuesten Smartphones bereits mit Videoplayern und Streaming-Plugins für den Download oder die Live-Wiedergabe von Videosequenzen ausgestattet. Smartphones lassen sich aber auch durch einen Software-Download sowie eine ansteckbare GPS-Antenne zum vollwertigen Navigationssystem für Autofahrer und Fußgänger umwandeln.

Auch die Nutzung von klassischen Backend-Applikationen wie zum Beispiel aus den Bereichen Customer-Relationship-Management (CRM) oder Warenwirtschaftssystem ist von unterwegs möglich: Eine Vielzahl von Herstellern hat bereits entsprechende Anwendungen für Smartphones entwickelt. Gleiches gilt für CAD-Anwendungen oder Übersetzungsprogramme. Mobile VPN-Clients (VPN = Virtual Private Network) sorgen dabei für eine sichere und verschlüsselte Übertragung der Unternehmens- und Kundendaten.

Die Beispiele zeigen, dass mit der Einführung von GPRS-Technik der erste Schritt ins mobile Internet-Zeitalter schon vollzogen ist. Mit GPRS wurden tatsächlich bereits wesentliche Elemente der künftigen UMTS-Netze in Betrieb genommen. Denn UMTS stellt keinesfalls eine, wie so oft behauptet, grundlegend neue Technologie dar, die alle bestehenden Infrastrukturen und Endgeräte der jetzigen Mobilfunkgeneration hinfällig macht. Im Gegenteil: Die installierte GPRS-Technik verkörpert nämlich den zentralen Bestandteil des UMTS-Netzes - den paketorientierten IP-Backbone des Kernnetzes.

Wirklich neu am UMTS-Netz ist die Umstellung der zahlreichen Funkzugangsnetze - im Fachjargon Base Station Systems (BSS) genannt - auf den neuen Übertragungsstandard Wideband Code Division Multiple Access (WCDMA). Mit diesem Verfahren wird die bisherige auf Zeitmultiplexing basierende GSM-Technik durch eine auf CDMA (kodierter Vielfachzugriff) basierende Übertragungstechnik ersetzt. CDMA ermöglicht es, alle verfügbaren Übertragungskapazitäten auf Nachfrage flexibel und effizient zuzuteilen sowie breitbandige Daten mit einer variablen Transferrate zu übermitteln. Darüber hinaus wird außerdem ein erheblich breiterer Frequenzbereich für die Übertragung genutzt.

UMTS erhöht den Spielraum

Für den Verbraucher bedeutet die Option einer größeren Durchsatzrate, dass Datendienste wie elektronische Postkarten, Videoclips, E-Mails, Streaming-Videos etc. zügiger übertragen und genutzt werden können. Andere Dienste werden mit UMTS erst möglich werden: So können nach Umstellung des Funknetzes auf WCDMA beispielsweise erstmals mehrere Verbindungen aufgrund des Multi-Call-Modus gleichzeitig hergestellt werden. Dies eröffnet völlig neue Chancen für die mobile Internet-Nutzung: Außendienstler, Techniker oder Geschäftsreisende können, während sie in den Intranet-Seiten ihres Unternehmens blättern oder in Produktdatenbanken und Handbüchern nachschlagen, gleichzeitig eine Gesprächs- oder Videoverbindung zu Kollegen herstellen.

Außerdem ist die WCDMA-Technologie eine wichtige Voraussetzung für computergestützte Gruppenarbeit. Bei dieser Arbeitsform, die sich im stationären und mobilen Umfeld zunehmend etabliert, können verschiedene Mitarbeiter zeitgleich an einem Textdokument, einer Präsentation oder Zeichnung arbeiten.

Während der Ausbau der 3G-Mobilfunknetze vorangetrieben wird, schreitet bundesweit auch die WLAN-Funkversorgung voran: WLAN-Systeme stellen heute an ausgewählten Hotspots breitbandige Internet-Zugänge bereit und werden damit künftig eine wichtige Ergänzung zu den UMTS-Netzen sein, die mehr für den wirklich mobilen Zugriff mit hohen Durchsatzraten zuständig sind. Anders formuliert: Dank UMTS hat der Teilnehmer unterwegs überall Zugriff auf mobile Multimedia-Dienste - befindet er sich in der Nähe eines Hotspot, so kann er sich über WLAN mit Breitbandgeschwindigkeit einwählen. Der bestmögliche Nutzen für den Anwender setzt dabei natürlich die nahtlose Integration dieser beiden Zugangstechniken voraus: Im Idealfall wird die laufende Verbindung, die beispielsweise im UMTS-Netz aufgebaut wurde, bei Erreichen eines WLAN-Hotspots in das WLAN-Funkzugangsnetz weitergereicht.

Schon heute arbeiten die Anbieter von Netzinfrastrukturtechnik an Konzepten für durchgängig auf IP basierende Mobilfunknetze, die alle verfügbaren Zugangsnetze, ob GSM, EDGE, WCDMA, xDSL, WLAN oder LAN, in eine alles übergreifende Netzarchitektur mit einem einheitlichen IP-basierenden Kernnetz integrieren. Auf dem Weg zu einem nahtlosen Wechsel zwischen den verschiedenen gängigen Zugangstechnologien, wie in dem obigen Beispiel zwischen UMTS und WLAN, müssen jedoch verschiedene grundsätzliche Herausforderungen gemeistert werden.

Das Ziel im mobilen Internet ist das Zusammenführen verschiedener Datenströme in einem IP-Netz. Dieser IP-Verkehr ist aber alles andere als homogen. Bei der Übertragung von Echtzeitdiensten wie Sprache und Video bestehen strikte Anforderungen an das Netz im Hinblick auf die Servicegüte (Quality of Service). In Mobilfunknetzen ist die Toleranz bei Laufzeitverzögerungen aufgrund der mobilfunkspezifischen Zugangsprotokolle und der geringeren Kapazität der Luftschnittstelle noch geringer als in kabelgebundenen IP-Netzen. Die Dienstgüte in solchen IP-Netzen wird durch Einsatz der Diffserv- und der MPLS-Technologie ermöglicht. Diffserv (Differentiated Services) und MPLS (Multi Protocol Label Switching) sind neue Ansätze, die es ermöglichen, bereits in IPv4-basierenden IP-Netzen Quality of Service einzuführen.

IPv6, das Internet Protocol der nächsten Generation, wird mit "Mobile IPv6" die Voraussetzung für ein reibungsloses Handover von Sprach- und Datenverbindungen zwischen den verschiedenen Zugangsnetzen bereits beinhalten. In 3GPP Release 5 (R5) ist IPv6 inzwischen als fester Bestandteil der mobilen Infrastruktur festgeschrieben. Der größte Vorzug von IPv6 ist der wesentlich umfangreichere Adressbereich gegenüber IPv4 sowie die fest eingebauten Sicherheits- und Mobilitätsmechanismen.

Diese Mobility-Management-Funktionalität von IPv6 wird im IP-Layer angesiedelt, so dass die erforderlichen Prozesse keinerlei Auswirkungen für jede der auf IP aufsetzenden Applikationen und Protokollebenen haben, sprich, vollkommen transparent für die darüberliegenden Ebenen sind. Ferner funktioniert das Mobilitäts-Management des mobilen Knotens auch zwischen Netzwerken mit unterschiedlichen Link-Layer-Mechanismen, so dass keine besonderen Interworking-Mechanismen spezifiziert werden müssen. Mobile IPv6 ermöglicht somit eine einfache Umsetzung des Mobilitäts-Managements beim Roaming zwischen unterschiedlichen Zugangsnetzen wie beispielsweise WLAN und GPRS/UMTS.

Die Zukunft gehört IP

Wesentlich für die Evolution vom GSM-Netz zum konvergenten All-IP-Netz sind drei Entwicklungen, die parallel verlaufen können:

- Der gesamte Datenverkehr (einschließlich Daten, Sprache und Signalisierung) wird im Kernnetz über einen einheitlichen IP-Backbone geführt.

- Der gesamte Sprach- und Datenverkehr wird von Endgerät zu Endgerät über paketvermittelte Träger geleitet.

- Die bisherige hierarchische Struktur des Funknetzes wird durch eine verteilte IP-RAN-Architektur (RAN = Radio Access Network) ersetzt.

Die Vision des konvergenten Netzes zielt auf die Integration unterschiedlicher Zugangsoptionen wie zum Beispiel Breitband, Internet und die mobile Kommunikation in einem einheitlichen Netz mit einem gemeinsamen IP-Kern, ebenso wie Serviceplattformen. Der Anwendernutzen dieser Konvergenz liegt in der Integration und Interaktion von Telefonie und Informationsanwendungen sowohl im Festnetz als auch im Mobilfunknetz. Mit IP ist eine Plattform geschaffen, die die verschiedensten Dienste wie Sprache, Video, Messaging, Kalender, Adressbücher oder Präsenzinformationen integriert. (pg)

*Holger Wild ist Head of Solutions and Applications Customer Operations bei der Nokia GmbH in Düsseldorf.

Angeklickt

Mit der GPRS-Technik ist bereits ein zentraler Bestandteil der kommenden UMTS-Netze, nämlich das IP-Backbone, realisiert. Im zweiten Schritt müssen die Carrier jetzt ihre Base-Station-Systeme auf das Übertragungsprotokoll WCDMA umrüsten und für eine Kooperation zwischen Wireless LANs und UMTS sorgen. Doch die Planspiele der Netzausrüster gehen schon weiter: Die Zukunft soll durchgängig auf IP basierenden Mobilfunknetzen gehören.