Anpassungsfähige Rechner sind das Nonplusultra der neunziger Jahre:

GMD nimmt das Büro von morgen ins Visier

18.09.1987

Als "Persönlicher Assistent" soll sich der Computer auf dem Schreibtisch von morgen anbieten. Der Personal Computer von heute hält jedoch noch nicht, was sein Name verspricht. Zu einer wirklich persönlichen Unterstützung gehört das Eingehen auf den speziellen Aufgabenbereich und den individuellen Arbeitsstil des einzelnen. Benötigt werden nach Ansicht der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung mbH (GMD) Assistenz-Maschinen, die anpassungsfähig sind und sich an Bedürfnissen und Gewohnheiten ihres Nutzers ausrichten.

Die für Informatik und Informationstechnik zuständige staatliche Großforschungseinrichtung GMD Sankt Augustin, ist zur Zeit dabei ihre wissenschaftliche Arbeit für die neunziger Jahre zu planen. Schon jetzt steht: fest, daß die Computer als Assistenten einer der Schwerpunkte sein werden. Ziel ist die Vision einer völlig neuen Generation informationstechnischer Bürosysteme.

Die Systeme sollen sich in der Art, wie sie ihre Leistungen erbringen, an den Fähigkeiten und Eigenschaften orientieren, die einen guten menschlichen Assistenten auszeichnen ohne dabei den Anspruch zu erheben, diesen ersetzen zu wollen. Inwieweit und wann dieses Ziel erreicht werden kann, ist heute noch weitgehend offen. Ungeklärt ist auch die Frage, was daran im einzelnen wünschenswert ist und was nicht. Für die Antwort sind langfristige umfangreiche Forschungsarbeiten mit einem hohen Anteil an Grundlagenforschung notwendig.

Die Wissenschaftler der GMD, die den "Computer als Assistenten" entwerfen, haben die Arbeitswelt eines "Informationsarbeiters" vor Augen, also beispielsweise eines Planers Managers, Ingenieurs oder Wissenschaftlers. Für die Konstruktion dieser Assistenz-Maschinen versuchen sie, möglichst viel zu lernen aus der Art und Weise, wie menschliche Assistenten ihre Leistungen erbringen:

1. Ein guter Assistent ist anpassungsfähig. Auch ein Assistenz-Computer soll das Verhalten seines Benutzers beobachten, analysieren und sich auf seine Gewohnheiten und seinen Bedarf einstellen können. Was dabei technisch möglich und was wünschenswert ist, soll die Forschung erst noch klären. Ein Anlageberater, der zum Beispiel immer wieder die gleichen Analysen für Wertpapiere durchführt, möchte nicht monatelang den umständlichen Dialog mit dem System führen, um zu seiner Spezialanwendung zu kommen.

Vielmehr erwartet er, daß dies nach einiger Zeit ganz automatisch geschieht. Es muß jedoch nach wie vor auch möglich sein, von der Routine-Automatisierung wieder loszukommen. Ein unausgeschlafener Wissenschaftler beispielsweise, der in der ersten Stunde nach Arbeitsbeginn noch ziemlich unkonzentriert mit seinem Computer herumhantiert, dürfte, wenn dieser Zustand mit einigen Tassen Kaffee überwunden ist, ziemlich ungehalten werden, wenn das System seine Schlußfolgerungen gezogen hat und plötzlich darauf besteht, ihm wie dem letzten Trottel die einfachsten Dinge ausführlich zu erklären.

2. Ein guter Assistent hilft, aus Schwierigkeiten herausfinden. Der Assistenz-Computer soll nicht nur auf Anforderungen Hilfe leisten, sondern von sich aus mit Ratschlägen und Warnungen die Initiative ergreifen, wenn die Analyse des Benutzerverhaltens Anlaß dazu gibt. Wenn zum Beispiel ein Journalist einen Artikel für eine bestimmte Zeitschrift schreibt und die dort übliche Spaltenbreite mißachtet, sollte das System sich von selbst melden müssen mit der Frage, ob das ein Versehen oder Absicht ist.

3. Ein guter Assistent entwickelt auch sonst Eigeninitiative. Deshalb sollte ein entsprechendes Computersystem, wenn ein Lösungsansatz erkennbar in eine Sackgasse führt, von sich aus einen anderen Weg vorschlagen, oder, wenn an einem im Konsens mit verschiedenen Personen oder Abteilungen entstandenen Dokument Veränderungen vorgenommen wurden, den betroffenen Personenkreis selbständig davon unterrichten.

4. Ein guter Assistent kennt seine Grenzen. Heutige Computersysteme sind weit davon entfernt: Ein medizinisches Expertensystem zur Diagnose von Infektionskrankheiten wird auch jeden Knochenbruch ausschließlich auf Anzeichen einer Infektionskrankheit hin untersuchen. Ein Computer als Assistent darf nur im Rahmen vereinbarter Kompetenzen tätig werden. Dazu muß er über ein gewisses Maß an "common sense" oder "Welt-Wissen" verfügen. Ob und wie das erreicht werden kann, ist derzeit völlig ungeklärt.

5. Ein guter Assistent kann gegebenenfalls sein Verhalten rechtfertigen und erklären. Auch die Assistenz-Maschine muß in der Lage sein, jederzeit jede ihrer Aktionen, Schlußfolgerungen und Hinweise zu erläutern und zu begründen. Das muß jedoch so erfolgen, daß dies vom Benutzer auch verstanden wird.

6. Ein guter Assistent zeichnet sich durch fachliches Wissen aus. Ein Teil dieses sachbezogenen Wissens und der entsprechenden fachlichen Fähigkeiten soll in die Assistenz-Systeme verlagert werden. Besonders wichtig ist dabei die Eigenschaft, aufgrund von nur globalen, unvollständigen und skizzenhaften Angaben Aufgaben durchführen (zum Beispiel das Suchen von Akten oder Informationen) und lästige Routinearbeiten zu erledigen (zum Beispiel die Gestaltung des Layouts von Dokumenten oder das Konfigurieren von Standardverträgen).

Der Weg der Informationstechnik zur direkten Unterstützung der geistig-schöpferischen Tätigkeiten des Menschen ist gepflastert mit Problemen, derer sich die Informatik nach und nach annehmen muß. Viele der beschriebenen Leistungen sind bereits Gegenstand der Forschung doch ist man von ihrer Verwirklichung noch weit entfernt. Viele Leistungs- und Qualitätsmerkmale müssen auch erst näher definiert und erarbeitet werden.

Klar ist auch: Mit wachsender Selbständigkeit des Computers bei der Abwicklung von Aufgaben gewinnt die Frage nach den Grenzen dieser Entwicklungen für die Forschung an Bedeutung. In jedem Fall muß sichergestellt sein, daß die Verantwortung für Aufgaben, deren Erledigung an den Computer delegiert wird, beim Menschen bleibt. Ebenfalls gilt es zu erforschen, wie es erreicht werden kann, daß der Mensch unter allen Umständen Verantwortung und Kontrolle behält. Auf jeden Fall muß auch hier der Vergleich mit den menschlichen Assistenten gelten: Letztlich hat der Chef die Kontrolle und die Verantwortung - und nicht der Assistent.

Entwicklungsziel der "Computer als Assistenten" ist ein an die unterschiedlichsten Bedürfnisse anpaßbares Ensemble von Unterstützungssystemen, die von den Benutzern aber auf einheitliche oder zumindest ähnliche Art bedient werden können. Die GMD-Wissenschaftler haben die maschinellen Assistenten grob in drei Gruppen eingeteilt:

1 Der universelle Büroassistent übernimmt allgemeine Büroaufgaben. Er hilft, beim Erarbeiten eines Vortrages oder Aufsatzes Ideen zu ordnen und zu strukturieren, erleichtert die Formulierung und Überarbeitung, korrigiert Schreib- und Stilfehler und liefert ein Textlayout nach den Regeln der Buchdruckerkunst. Er kann Dokumente ablegen und wiederfinden, und er kennt sich beispielsweise in der Tabellenkalkulation aus.

2. Der Fachassistent ist auf die jeweilige Berufsgruppe spezialisiert. Er weiß, welchen Anforderungen Verträge und andere Dokumente genügen müssen, hilft bei der Entwicklung von Simulationsmodellen für Planungszwecke und bei der Interpretation von Zahlen: Als Vision sei ein System genannt, das in der Nacht der Bundestagswahl auf der Grundlage der eingehenden Wahlergebnisse Vorschläge für bestimmte Analysen macht und diese so durchführt, daß als Endprodukt eine automatisch erstellte politische Wahlanalyse entsteht, die dann vom Journalisten zu einem interessanten Artikel formuliert wird. Ein solches System würde dann das können, was heute die Wahlcomputer der Fernsehanstalten und die dort zusätzlich hinter den Kulissen wirkenden Wahlanalytiker zusammen leisten.

3. Der Kommunikationsassistent sorgt für das Zustandekommen und die Abwicklung der Kontakte, die der "Informationsarbeiter" mit anderen Personen innerhalb und außerhalb der eigenen Organisation oder Gruppe braucht. Einbezogen sind dabei alle Kommunikationsmedien von der Briefpost über das Telefon bis zu elektronischen Mitteilungsdiensten. Dieser Assistent empfängt die Kommunikationsangebote, klassifiziert, ordnet und verteilt sie und sortiert notfalls auch unerwünschte Post aus.

Er baut Kommunikationsverbindungen auf, erkundet technische Möglichkeiten und Adressen gewünschter Kommunikationspartner und vereinbart bis zu einem gewissen Grad selbständig Termine mit anderen Personen. Er weiß, welchen Weg eine Reisekostenabrechnung durch eine Firma nehmen muß, wer sie abzeichnen und wer gegenzeichnen muß. Oder er unterstützt ganz gezielt die Zusammenarbeit mehrerer Personen, die an unterschiedlichen Orten an der Lösung desselben Problems arbeiten.

Beim "Online Conferencing" soll es beispielsweise ermöglicht werden daß mehrere Personen von verschiedenen Orten aus an einem gemeinsamen Dokument oder dem Entwurf einer technischen Zeichnung arbeiten können, und es dabei ständig klar bleibt, wer wann was verändert hat ob über die Veränderung ein Konsens der Beteiligten erreicht wurde und was die Beweggründe für die Veränderung waren.

Alle diese angestrebten Leistungen setzen voraus, daß die Assistenz-Systeme über einiges Wissen verfügen, das heute noch ausschließlich in den Köpfen ihrer Benutzer vorhanden ist und von diesen in die Systemnutzung eingebracht werden muß. Das setzt auch erhebliche Fortschritte gegenüber dem heutigen Stand voraus bei der Kunst, das erforderliche Wissen zu sammeln und so aufzubereiten, daß es von informationstechnischen Systemen aufgenommen, verarbeitet und sinnvoll angewandt werden kann.

Projektdauer: 15 Jahre

Die wissenschaflichen Schwerpunktthemen des Leitvorhabens sind: verteiltes Problemlösen, maschinelles Planen und Gestalten Mensch-Maschine-Kommunikation, Wissensrepräsentation und Wissensakquisition. Aus den ersten beiden Gebieten entstehen ganz neue Unterstützungsleistungen durch Computer. Die Arbeit zur Mensch-Maschine-Kommunikation sollen zu einem Qualitätssprung im Sinne einer kooperativen Benutzerschnittstelle führen; neue Resultate zur Wissensrepräsentation und -akquistion sind Grundlagen für daß System, ohne die der Gesamtanspruch des Leitvorhabens nicht eingelöst werden kann.

Angesichts der Größe dieser Aufgaben ist es nicht verwunderlich, daß sich die Wissenschaftler der GMD für diese Pionierarbeiten an der vordersten Front der informationstechnischen Entwicklung einen Zeitrahmen von 15 Jahren gesetzt haben.