Regionale Fallstricke erschweren weltweite E-Commerce-Auftritte

Globale Anbieter in der lokalen Abseitsfalle

21.05.1999
MÜNCHEN (wt) - Ob er will oder nicht - im Internet wird jeder Anbieter sofort und automatisch zum Global Player. Allerdings unterschätzen viele Unternehmen die damit verbundenen organisatorischen Fragen und bezahlen teuer für den Eintritt in lokale Märkte.

Es war einmal ein kleiner Honighändler aus Wales. Der faßte eines Tages den Entschluß, seine wenigen, wenn auch exquisiten Imkereiprodukte via Internet anzubieten. Als Kaufanreiz versprach er Lieferung frei Haus. So weit, so gut. Die Probleme begannen allerdings, als nach kurzer Zeit die ersten Bestellungen aus dem Ausland, ja selbst aus Übersee eintrafen. Die Käufer pochten auf kostenlose Zustellung, der Honighändler fühlte sich gebunden und mußte trotz erweiterter Kundenbasis beinahe Konkurs anmelden. Er war logistisch nicht in der Lage, weltweite Anfragen zu erfüllen - geschweige denn, daß er sich Gedanken über die unterschiedlichen, zum Teil sehr strengen Lebensmittel-Importrichtlinien anderer Länder gemacht hätte.

Viele mögen über die Vorgehensweise des Honighändlers lächeln - doch sie illustriert anschaulich ein Verhalten, das oft genug selbst in den "besten" Unternehmen vorkommt. Obwohl jedem Anbieter klar sein müßte, daß er mit einem Internet-Angebot auf der Stelle weltweit erreichbar ist, steht Internationalisierung selten im Mittelpunkt der Online-Strategie. Forrester Research hat 1998 in einer Untersuchung festgestellt, daß 46 Prozent aller Kaufanfragen aus dem Ausland an US-Unternehmen kurzerhand in den Papierkorb wanderten - weil die Anbieter sich nicht in der Lage sahen, entsprechend darauf zu reagieren. Gleichwohl bezifferten sie den daraus resultierenden durchschnittlichen Umsatzverlust mit 13,3 Millionen Dollar. Eine Zahl, die eher noch steigen dürfte, da die weltweite Online-Bevölkerung seit einer Weile stark zu Lasten des US-Anteils wächst.

Zwei Kernthesen lassen sich aus diesen Bildern herausfiltern: Erstens wissen viele Anbieter nicht, wer ihre Online-Kundschaft ist oder sein soll, und zweitens verstehen sie oft die organisatorischen Probleme nicht, die im Zusammenhang mit einem E-Commerce-Angebot entstehen. Unisono fordern daher Gerhard Sundt, Direktor beim Beratungsunternehmen Arthur D. Little, und Martha Bennett, Vice-President bei der Giga Information Group, daß sich Firmen als allererstes darüber klar werden müssen, wen sie mit einem Online-Auftritt erreichen wollen.

Richtet sich das Angebot primär an Endkunden, so ist eine Übersetzung in die jeweilige Landessprache beinahe unerläßlich. "Viele unterschätzen die abschreckende Wirkung, wenn jemand das Gefühl hat, ich verstehe das nicht", redet Giga-Analystin Bennett den Firmen ins Gewissen. Für Hans Björkberg, IT-Leiter des schwedischen Transportunternehmens Stena Line, war es eine schnelle Entscheidung, lokale Sprachen anzubieten.

"Zuerst dachten wir, wir können alles in Englisch machen, aber dann fingen wir an nachzudenken: Was ist mit der älteren Dame, die gerne online buchen würde?" Einfachheit in allem war die zentrale Anforderung an den Web-Auftritt von Stena Line.

Alles andere als einfach war es allerdings, den ausländischen Niederlassungen ein E-Commerce-Engagement überhaupt schmackhaft zu machen. Diese hielten ihre Märkte oft für einzigartig und hätten daher Aversionen gegen zentral initiierte Maßnahmen, so Björkberg. "Wir mußten vorsichtig sein, weil der Erfolg des lokalen Vertriebs sehr wichtig ist." Björkberg startete eine Roadshow, auf der er in Gesprächen mit den lokalen Marketing- und Vertriebsleitern das Konzept des Online-Vertriebs erörterte. Anschließend erteilte er den Niederlassungen weitgehend die Verantwortung für ihren eigenen Web-Auftritt im Rahmen des Stena- Line-Gesamtkonzepts. Vorgegeben wird beinahe nur die Dialogfunktionalität wegen der Anbindung an das zentrale Back-end sowie diejenigen Produkte, die online verkauft werden dürfen. Weil auf diese Weise lokale Sites von Anfang an in die Planung einbezogen wurden, hielten sich laut Björkberg auch die Kosten für Übersetzungen und sonstige Anpassungen in Grenzen.

Gleichwohl kann sich natürlich nicht jeder Händler eine Globalisierung auf Basis mehrerer landessprachlicher Web-Sites leisten. Denn abgesehen von der ersten Übersetzung müssen diese virtuellen Niederlassungen ständig gemäß ihren kulturellen und marktwirtschaftlichen Besonderheiten gepflegt werden. Anbietern, die trotzdem nicht auf einen Web-Auftritt verzichten wollen, eröffnen sich verschiedene Alternativen. Sie können beispielsweise das Gesamtangebot nur in der "Internet-Sprache" Englisch abfassen. Das fällt um so leichter, je geschlossener und Technik-affiner die Zielgruppe ist. Cisco zum Beispiel kann es sich laut Giga-Expertin Bennett leisten, einen großen Teil seiner Web-Inhalte ausschließlich auf Englisch anzubieten, weil die Firma über eine "captive audience" verfügt: "Wenn Sie einmal Cisco-Anwender sind, dann hängen Sie da drin."

Generell stellt sich die Frage nach lokalen Sprachen im Business-to-Business-Bereich (B-2-B) weit weniger als im Konsumenten-Geschäft. Erstens fällt der Werbefaktor nicht so ins Gewicht, und zweitens ist Englisch in den meisten Bereichen der Wirtschaft und Technik die Standardsprache. Ian Wilson, E-Commerce-Direktor von Intel Europa, glaubt, daß lokale Sprachen im B-2-B wenig Sinn haben. Ihm kommt es in erster Linie auf einen weltweit einheitlichen Markenauftritt an. Wenn allerdings ein Händler sein Angebot nur auf Englisch präsentiert, dann sollte er es nach Meinung von Bennett möglichst einfach gestalten und kulturelle Besonderheiten heraushalten.

Berater Sundt sieht neben einem "einzelsprachlichen" E-Commerce-Auftritt noch eine weitere Möglichkeit für kleinere, lokale Anbieter, global zu agieren. Sie sollten seiner Meinung nach Interessengruppen (Communities of Interest) finden und diese im Verbund mit anderen Anbietern adressieren. Beispiele sind die Integration verschiedener Buchhändler in das Web-Angebot des Grossisten Libri (www.libri.de) oder das Händlernetz von Autobytel in den USA. Umgekehrt wiederum können große Unternehmen laut Bennett kleinere lokale Wettbewerber für die eigene Expansion nutzen - sei es durch Übernahme oder Partnerschaften. Darüber hinaus gibt es inzwischen Software, die kleinen Anbietern das Leben als Global Player erleichtern soll. Die Startup-Company Idiom Technologies (www.idiomtech.com) offeriert etwa mit dem Worldserver eine einheitliche Plattform für mehrsprachige Web-Auftritte.

Die Stärke lokaler Anbieter liegt in der genauen Kenntnis des jeweiligen Marktes und der mit jeder nationalen Gesetzgebung einhergehenden Fallstricke. In Schweden beispielsweise ist Werbung, die sich direkt an Kinder richtet, verboten. Es gibt gewaltige Unterschiede bei Garantie- und Haftungsfragen sowie Steuern. Die Problematik von nationalen Im- und Exportregeln wurde bereits am Beispiel des walisischen Honighändlers angedeutet. Diffizile Rechtsfragen kommen hinzu: Was ist im jeweiligen Land ein Angebot, wann kommt ein Vertrag zustande? Schließlich muß die Frage der Zahlungsmittel bedacht werden. Stena-Line-Manager Björkberg erläutert, daß in Schweden und anderen skandinavischen Ländern die Banken beispielsweise keine Kreditkartenzahlungen via Internet akzeptieren - es sei denn mittels SET (Secure Electronic Transactions). Dieses Verfahren wiederum ist Björkberg zu kompliziert. Daher läuft bei Stena Line auch online alles über Rechnungen.

Globale Stolpersteine

Folgende Fragen sollten Unternehmen im Hinterkopf behalten, bevor sie ein weltweit erreichbares E-Commerce-Angebot aufziehen:

- Welche Zielgruppe soll wo erreicht werden?

- Wie müssen die Besonderheiten lokaler Zielgruppen adressiert werden (Sprache, Kultur)?

- Kommen Kanalkonflikte auf die Firma zu (Vertrieb, Niederlassungen, Partner)?

- Wie läßt sich die Unternehmensmarke international durchgängig verbreiten (Branding)?

- Ist die Firma für eine weltweite Auslieferung gerüstet (Logistik)?

- Welche Zahlungswege in welchen Währungen sollen eingerichtet werden?

- Wie soll die lokale Preisgestaltung aussehen?

- Sind die wichtigsten nationalen Bestimmungen bedacht (Bezahlung, Garantie, Haftung, Im- und Exportregeln, Vertragsrecht, Werbung)?

- Ist das Back-end für die neuen Prozesse gerüstet beziehungsweise ist eine Anbindung möglich?