Kolumne

"Glaubwürdigkeit ist alles"

14.05.1999

Welche Gedanken kommen angesichts einer Studie auf, die Anwender auffordert, mehr Geld für E-Commerce auszugeben?

Klar, es wird sich wieder mal um eine Untersuchung handeln, die von einem Marketing-eifrigen Hersteller in Auftrag gegeben wurde. Diesmal ist diese Annahme auf den ersten Blick falsch. Ein "neutraler Marktforscher" schreibt europäischen Anwendern ins Stammbuch, daß ihre Ausgaben von durchschnittlich 1,8 Millionen Dollar pro Jahr zu gering seien, um im elektronischen Handel dauerhafte Erfolge zu erzielen (siehe Seite 25). Vielmehr, so Forrester Research, müßten Anbieter im Business-to-Business-Umfeld 6,8 Millionen im ersten und 3,7 Millionen Dollar in den Folgejahren aufwenden. Um im elektronischen Geschäft mit privaten Endkunden mithalten zu können, wird den Firmen empfohlen, noch tiefer in die Tasche greifen.

Freundliche Zeitgenossen mögen angesichts dieser Aussagen zu dem Schluß kommen, daß Forrester Anwendern vor Augen führen will, wie oft Klein-Klein-Denken im E-Commerce letztlich teurer kommt, als von Anfang an den großen Wurf zu wagen. Kritischere Beobachter müssen konstatieren, daß solche Studien nur der Herstellerschaft dienen, Anwender aber verunsichern und eventuell in voreilige Investments treiben.

Offensichtlich ändert sich mit den Zeiten auch das Verhalten der heutigen Orakel: Wir erinnern uns jedenfalls noch gut daran, als Forrester die SAP-Software R/3 als Dinosaurierer bezeichnete und dafür Prügel bezog. Dennoch kam eine fruchtbare Diskussion zustande. Anwender zum Geldausgeben aufzufordern stößt zwar auf weniger Widerstand, hat allerdings nichts mehr mit Marktforschung zu tun, sondern eben doch mit Marketing.

Ein Verhalten übrigens, daß von "neutralen" Branchenbeobachtern in letzter Zeit öfter gezeigt wird. In der vergangenen Woche sorgte etwa ein "Benchmarktest" von Mindcraft (siehe CW 17/99, Seite 1) für Aufsehen, der über die Leistungsfähigkeit von Linux und NT Aufschluß geben sollte. Nach Meinung von Linux-Enthusiasten war der Test so konzipiert, daß NT gewinnen mußte. Jetzt kämpft das Unternehmen um die Reste seiner Glaubwürdigkeit, also um sein Überleben. Ähnlich wird es allen Marktforschern gehen, die sich vor den Karren der IT-Industrie spannen lassen und auf die schnelle Mark schielen.