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Gewalt gegen Frauen in Videospielen wird zum Zankapfel

20.12.2002

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Zum ersten Mal überhaupt ist die Videospiel-Industrie in den USA heftig abgewatscht worden: Das in Minneapolis ansässige National Institute on Media and the Family (NIMF) hat nach einem Bericht im "Wall Street Journal" in seinem Jahresbericht über die Spieleindustrie den Vorwurf erhoben, zunehmend seien Frauen Ziele von Gewalt. Insbesondere das Spiel "Grand Theft Auto: Vice City" wurde heftig kritisiert und anläßlich einer Pressekonferenz in Ausschnitten vorgestellt. Bei diesem Spiel können Spieler ihren Punktestand erhöhen, indem sie Sex mit einer Prostituierten haben. Wenn sie die Prostituierte anschließend ermorden, bekommen sie noch mehr Punkte. Bei der Präsentation dieses Spiels wurde gezeigt, wie aus dem Körper der Frau Blut herausspritzt, wenn der Spieler die Frau totschlägt. Doug Lowenstein, President der Videospiele-Industrievertretung Interactive Digital Software Association, sagte zu den Vorwürfen, das

Institut habe sich ein Beispiel unter vielen herausgesucht, bei dem es "einen Punkt hätte". Aber die Videospielindustrie sei eine, deren Produkte von Menschen mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren benutzt würden. Außerdem sei man schließlich nicht in der Lage, für hygienisch einwandfreie Interessen der Käufer zu sorgen.

Dawn Berrie, Pressesprecherin von Take-Two Interactive Software Inc., die den Produzenten des Spiels "Grand Theft Auto" besitzt, sagte: "Unser Unternehmen hat jede nur mögliche Anstrengung unternommen, seine Spiele in verantwortungsvoller Weise zu vermarkten. Sie zielt mit ihren Anzeigen- und Marketingkampagnen ausschließlich auf erwachsene Kunden, die über 17 Jahre alt sind." NIMF-President David Walsh wies darauf hin, dass lediglich 70 Prozent der Einzelhändler überhaupt eine Firmenpolitik besäßen, um zu verhindern, dass Kindern nur für Erwachsene gedachte Viedeospiele kaufen können. Walsh dazu: "Minderjährige haben nicht das geringste Problem, an solche Spiele zu kommen." Betty McCollum, Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus für die Demokratische Partei, sagte, Spiele wie "Grand Theft Auto" würden "eine Kultur virtueller Sündenböcke schaffen." Ihr Parteikollege Senator Joe Lieberman konzedierte zwar, dass die Spieleindustrie

die Vermarktung von nur für Erwachsene gedachte Spiele an Kinder gestoppt habe. Der Politiker, der sich in der Vergangenheit dafür stark machte, Kindern keinen Gewaltdarstellungen in den Medien auszusetzen, kritisierte allerdings den beunruhigenden Trend, "dass Frauen die neuen Ziele von Gewalt in den brutalsten Spielen seien".

Kommentar: Wahrscheinlich sind wir uns mehrheitlich einig, dass es unmenschlich ist, Menschen und Tiere abzuschlachten um des Abschlachtens willen. Wahrscheinlich findet sich auch eine überwiegende Mehrheit, die die Darstellung von blutrünstigen Gemetzeln an Menschen und Tieren für nicht mit den Werten vereinbar befindet, wie sie in Verfassungen, Grundgesetzen und sonstigen Chartas kodifiziert sind.

Weniger einig sind sich durchaus gebildete, verantwortungsbewusste Menschen aber schon darüber, ob Gewaltdarstellungen, die wir alle mit unserem kulturellen Bildungsüberbau unschwer als menschenverachtend empfinden dürften, ob solche Darstellungen wiederum der Auslöser für Verbrechen "im wahren Leben" sind. Diese Diskussion will ich nicht aufgreifen, weil ich nicht kompetent genug bin, solch einen Diskurs in der nötigen Breite darzulegen.

Sollte man perverse, menschenverachtende Spiele verbieten? Die Meinung hierzu ist einhellig: Nein, denn dann würden solche Spiele mit dem Siegel des Verbotenen geradezu geadelt und sicherlich nicht weniger verkauft. Trotzdem stimme ich mit einer anderen Kollegin überein, die entwaffnend argumentiert: "Ich hätte ein sehr schlechtes Gefühl, wenn mein Lebenspartner ein solches Spiel spielen würde."

Wenn solch ein Reflex aber - Gott sei Dank - funktioniert, dann sollte es auch möglich sein, die Verlogenheit der Spieleindustrie in Rede zu stellen. Wenn diese nämlich in ihren neuesten Spielegenerationen sogar darauf abhebt, dass derjenige Spieler am erfolgreichsten ist, der die perfekteste Strategie entwickelt, um potenzielle Gegner besonders effizient zu ermorden, dann sind dies zynische Signale an Konsumenten mit der Aussage: "Killen ist gut - aber mach es gefälligst intelligent.“ Wollen wir wirklich, dass solcher "Ethos" (ja, ich weiss, ein - auch das noch - Totschlagbegriff) Platz greift?

Ich mache deshalb an dieser Stelle mal einen - vielleicht furchtbar naiven, vielleicht auch unbrauchbaren - Vorschlag: Auf jeder Zigarettenpackung steht, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet. Warum diskriminieren wird nicht ganz absichtsvoll alle Spiele, alle Videos etc. à la "Grand Theft Auto: Vice City" mit dem deutlich lesbaren Hinweis: "DIESES SPIEL IST MENSCHENVERACHTEND! SEINE INHALTE WIDERSPRECHEN ALLEN WERTEN, UM DIE MENSCHEN MIT ACHTUNG VOREINANDER SICH BEMÜHEN!" Klar, es wird dann wieder diejenigen geben, die genau wegen solch eines "Gütesiegels" diese Spiele kaufen wollen werden. (jm)