Nach der AIX-Ankündigung für die 370-Welt:

Gerüchte um IBM und X/Open leben wieder auf

15.04.1988

MÜNCHEN (CW) - Daß Big Blue mit dem aktuellen Unix-Schwenk den Erfordernissen des Marktes nachzukommen sucht, ist unter Branchenkennern längst kein Geheimnis mehr. Wie ernst es dem Hardwareriesen mit seinem Unix-Engagement tatsächlich ist, bleibt fraglich, aber die alten Gerüchte um einen möglichen Beitritt zur Anbietervereinigung X/Open leben bereits wieder auf.

Innerhalb der nächsten Tage werde X/Open-Geschäftsführer Geoff Morris in Houston mit IBM-Leuten sprechen, berichtet Georg Winter, X/Open-Sprecher für den deutschsprachigen Raum; er hält sich jedoch bedeckt, was Spekulationen über konkrete Ergebnisse dieses Treffens angeht: "Es wäre durchaus denkbar, daß man irgend etwas findet, was zwischen der kompletten Ablehnung und dem kompletten Beitritt liegt. Außerdem ist IBM jederzeit willkommen, unsere Standards zu adaptieren, auch dann, wenn sie nicht Mitglied ist."

Von seiten der X/Open ist laut Winter jeder Hersteller zur Mitwirkung eingeladen, solange er sich an die Regeln hält: Alle Mitglieder müssen sich zu den bisherigen Mehrheitsbeschlüssen sowie zum Prinzip der offenen Systeme bekennen. Diese Offenheit bezieht sich heute vorwiegend auf die Portabilität der Software. Die Tendenz, so der X/Open-Sprecher, gehe aber dahin, auch die Hardware zu standardisieren.

Die AIX/370-Ankündigung dürfte auch eingefleischte IBM-Anwender empfänglich für die X/Open-Ideen machen. Schon aus diesem Grund steht Winter der unerwarteten Schützenhilfe positiv gegenüber: "Wenn die IBM etwas unterstützt, dann hat das ein anderes Gewicht am Markt als etwas, wogegen sie sich sträubt. Insofern sehen wir AIX nicht ungern.

Allerdings wird niemand ernsthaft annehmen wollen, daß IBM nun alle Segel in Richtung Unix gesetzt habe.

Zwar räumt ein Unternehmenssprecher ein: "Man kann diesen Bereich nicht mehr ignorieren." Doch er bekennt unumwunden: "Wir wollen auch in Zukunft Wert darauf legen, daß die Positionierung unserer Standardbetriebssysteme dadurch absolut nicht leidet." Vielmehr betrachte IBM die Unix-Welt als ein zusätzliches Marktsegment, und, so der Sprecher, "wenn man an diesem Markt teilhaben will, muß man eben etwas anbieten."

Dieses Unterfangen könnte sich als ein heikler Balanceakt erweisen. Immerhin haben die Armonker erst vor etwa einem Jahr ihr eigenes Portabilitätskonzept vorgestellt, die Systems Applications Architecture (SAA). Dazu Werner Rödig, bei der Münchener Siemens AG unter anderem für die Vermarktung des hauseigenen Unix-Derivats Sinix zuständig: "IBM ist gezwungen, in diesem Segment mitzuhalten, obwohl das ihrer SAA-Strategie entgegensieht; sie will durchgängige Benutzeroberflächen für alle Betriebssysteme haben, und jetzt bekommt sie noch eines dazu."