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Gericht dreht Napster den Hahn zu

27.07.2000
Vorläufiges Ende des MP3-Tauschs heute Nacht

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Marilyn Patel, Richterin am Bezirksgericht im kalifornischen San Franzisko, hat überraschend eine einstweilige Verfügung gegen die umstrittene MP3-Tauschbörse Napster erlassen. Darin wird der Dienst aufgefordert, bis zum Wochenende (= heute um Mitternacht) den Tausch urheberrechtlich geschützter Musikdateien einzustellen. Da Napster keine Möglichkeit hat, die über sein Netz verteilten MP3-Dateien auf ihren Copyright-Status zu überprüfen, bleibt den Betreibern wohl nichts anderes übrig, als das System komplett abzuschalten. Die Verfügung gilt so lange, bis es im Prozess gegen Napster zu einer Entscheidung kommt (via Urteil oder außergerichtliche Einigung) oder ein Berufungsgericht sie wieder aufhebt.

Die Richterin folgte damit vorerst der Klage der US-Plattenindustrie (RIAA = Recording Industry Association of America), der Napster seit seiner Gründung ein Dorn im Auge ist. Die Gründer der Site aus San Mateo hätten "ein Monstrum erschaffen", erklärte Patel in ihrer Begründung. Sie schätzt den Anteil urheberrechtlich geschützter Musik in Napsters Netz auf bis zu 80 Prozent.

Die Anwälte des Unternehmens, darunter der ehemalige Microsoft-Chefankläger David Boies, hatten gestern noch argumentiert, mit Napster stehe der Falsche am Pranger. Statt dessen solle man die Firmen zur Verantwortung ziehen, die das MP3-Format entwickelt hätten. Bei Richterin Patel stieß diese Argumentation jedoch auf taube Ohren. Napster habe offensichtlich nicht alle Möglichkeiten genutzt, um Verbreiter raubkopierter Musik zu identifizieren. Noch schlimmer sei allerdings, dass die Company überhaupt die Software und Suchmaschine bereitgestellt habe, die die illegale Verbreitung erst ermögliche. "Das ist so, als würden sie durch eigene Hand zur Waise und bäten dann das Gericht um Hilfe", spottete Patel. Interne Napster-Memos bewiesen darüber hinaus, dass das Unternehmen von Anfang an darauf aus gewesen sei, mit seinem Business Geld zu verdienen.

Experten halten das gegenwärtige Scharmützel allerdings eher für einen Kampf gegen Windmühlen. "Was auch immer mit Napster geschieht - Techniken, wie Napster sie nutzt, sind heute schon Teil der Infrastruktur und des Backbone des Internet und werden immer verfügbar sein. Die Musikindustrie sollte einsehen, dass sie hier mitspielen und nicht blockieren muss", urteilt Eric Scheirer, Medienanalyst bei Forrester Research. Er rät den Labels, aktiv mit möglichst vielen Unternehmen zu kooperieren, die mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen - vom Abonnement über werbefinanzierte Ansätze bis hin zu Pay-per-Download - Inhalte anbieten.

Ähnlich sieht dies auch Howard Weitzman von Massive Media (früher Anwalt und Manager von Universal): "Die Napster-Angelegenheit beweist der Musikindustrie, dass die Kunden Songs kaufen wollen und nicht CDs. Die Industrie muss auf die Veränderungen des Marktes reagieren und neue Geschäftsmodelle anbieten, die eine elektronische Distribution adressieren."