CEO Coleman hat SAP und Oracle im Visier

Gemischtwarenladen von Baan endlich integriert

26.11.1999
MÜNCHEN (bs) - Auf der Hausmesse Baanworld ''99 in Wien zeigte das niederländische Softwarehaus die strategische Ausrichtung für die nächsten Jahre. Die Integration der zugekauften Produkte sowie neue E-Commerce- und Supply-Chain-Management-(SCM-)Lösungen sollen dem angeschlagenen Softwarehaus zu neuem Glanz verhelfen.

Für Baan stand in Wien viel auf dem Spiel: Seit fünf Quartalen in Folge schreibt der ehemalige Börsenliebling rote Zahlen. Das Image der Softwerker ist aufgrund der ungesetzlichen internen Finanztransaktionen, der undurchsichtigen Verquickung mit Partnerunternehmen und des immer noch verbesserungswürdigen Service mehr als angekratzt. Dringender denn je wünschten sich Anwender und Analysten deshalb eine klare Aussage zur Strategie des Konzerns.

Baans Chief Executive Officer (CEO) Mary Coleman schien die Forderungen verstanden zu haben und strotzte in ihrer Keynote vor Selbstbewußtsein: "Baan is back", hämmerte sie den 3000 Kongreßteilnehmern im Wiener Austria Center ein: "Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und stehen besser da als je zuvor." So strebe Baan durch mehr Service- und Beratungsgeschäft, Konzentration auf die Fertigungsindustrie, E-Commerce-Produkte sowie eine integrierte generalüberholte Anwendungsplattform wieder einen der oberen Plätze unter den Software-Anbietern an. Vorschußlorbeeren erhielt das Unternehmen von AMR Research: Die Marktbeobachter konstatieren, daß Baan mit den "Enterprise Solutions" das derzeit breiteste Angebot integrierter Industrielösungen liefert (siehe Kasten "Enterprise Solutions").

Besonderes Gewicht legt Coleman auf die Entwicklung von Software, die die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen unterstützt (Business-to-Business). Wie die anderen führenden ERP-Anbieter hofft auch Baan, daß sich die Prognosen von Analysten erfüllen werden, die ein explosionsartiges Wachstum in diesem Segment voraussagen. So geht Forrester Research in einer neuen Untersuchung davon aus, daß im Jahr 2003 Waren im Wert von rund 1,5 Billionen Dollar elektronisch gehandelt werden, 1999 sind es gerademal 131 Millionen Dollar. Rund 60 Prozent des E-Commerce-Volumens entfallen, so Forrester, auf die Fertigungsindustrie, dem Kernmarkt von Baan. Von diesen paradiesischen Aussichten hofft der ERP-Anbieter zu profitieren. Colemans ambitioniertes Ziel ist es, im nächsten Jahr die Nummer zwei in den Segmenten Customer-Relationship-Management-(CRM) (nach Siebel) und SCM (nach i2 Technologies) zu werden.

Baans CRM-Software "Baan FOS" sowie die Produktions- und Logistikmodule speziell für die Fertigungsbranche seien leistungsfähiger als die der ERP-Mitbewerber, so die Einschätzung von Rüdiger Spiess, Analyst der Meta Group in München. Schwach präsentiere sich bisher allerdings Baans Finanzwirtschaft und Controlling: "Es bleibt abzuwarten, ob mit dem neuen System ,Baan ERP 5c'' die dringend nötigen Verbesserungen gelungen sind." Das im ersten Quartal 2000 verfügbare Paket sei dann brandneu und Probleme mit Software in diesem Stadium gebe es bekanntlich oft.

In klingende Münze will die Baan-Chefin insbesondere die Erfahrungen und Produkte verwandeln, die bei der Integration der gekauften Produkte von Aurum, Berclain und anderen Softwarefirmen gesammelt wurden. Hier sieht sich Baan künftig als Anbieter von Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Know-how: "Wir sind nicht so vermessen, zu glauben, daß Anwender ihre Anforderungen nur mit Lösungen aus unserem Hause abdecken", unterstützt Martin Schulte, Senior Solution Architect von Baan, Colemans Pläne.

Die neue "Open World Integration Framework Architecture" sowie ein Set aus EAI-Tools für die Enterprise Application Integration (EAI) kämen einem Best-of-Breed-Ansatz entgegen und ermöglichten die rasche Anbindung von Drittprodukten. Hier habe man gegenüber den Mitbewerbern SAP und Oracle einen Vorsprung von ein bis drei Jahren.

"Auch wenn Baans Integrations-Tools eigenen Aussagen zufolge ausgereifter sind als die der Mitbewerber, ist nicht klar, wie Frau Coleman aus diesem Vorteil Kapital schlagen möchte", kontert Helmuth Gümbel, Analyst von Strategy Partners International. Die besondere Betonung der EAI-Strategie könne bei Anwendern vielmehr den Eindruck erwecken, daß Baans Produkte allein nicht ausreichten, die Anforderungen der Betriebe zu erfüllen.

Die Grundlage für die breite Produktpalette der Niederländer war die Kaufstrategie vergangener Jahre - anders als beim Rivalen SAP, für den nur Produkte aus eigenem Haus gut genug sind: So schluckte Baan die CRM-Anbieter Aurum, Matrix und Beologic und mit Coda einen Anbieter von Finanzsoftware. Baans heutige SCM-Module fußen im wesentlichen auf Funktionen von Berclains Software "Moopi" und der Logistiklösung von Caps Logistics. Auf eine Integration der verschiedenen Produkte warteten Anwender bisher allerdings vergeblich.

Vor rund einem Jahr hob Baan dann die Initiative "Connect" aus der Taufe, mit dem Ziel, aus dem Gemischtwarenladen eine Lösung aus einem Guß zu machen. Unter dem Arbeitstitel "Corelli" sind die Einzelbausteine funktional aufeinander abgestimmt und technisch integriert: "Es war ein hartes Stück Arbeit", konstatiert Baan-Chefin Coleman. Rund 40 Prozent der insgesamt 1600 Entwickler - übrigens nach SAP die zweitgrößte Mannschaft aller ERP-Anbieter - hätten sich ausgiebig mit der Integration der gekauften Produkte beschäftigt.

Herausgekommen sei neben den verzahnten Anwendungssuiten die Baan Open World Integration Framework Architecture mit den sechs EAI-Tools "Enterprise Connector", "Integration Studio", "Integration Server", "BOI Pack", "Office Connection" und "E-Message Connection". Diese sollen vier Ebenen der Kommunikation unterstützen: die Daten-, Applikations- und Geschäftsprozeßebene sowie in Stufe vier die Interaktion von Geschäftprozessen zwischen verschiedenen Unternehmen.

Die Integration auf Datenlevel erfolgt mittels "Baan Exchange", einem klassischen Daten- oder File-Transfer zwischen Anwendungen, der seit rund zehn Jahren verwendet wird. In der neuesten Ausführung sind allerdings Echtzeit-Features hinzugekommen. Auf der Applikationsebene gelangt Baans proprietäres Objektkommunikationsmodell der Business Object Interfaces (BOIs) zum Einsatz. Diese Programmier-Schnittstellen werden seit rund zwei Jahren kontinuierlich ergänzt und bilden das Rückgrat für die Integration der Baan-eigenen ERP-Bausteine.

Für mehr Offenheit soll nun Stufe drei sorgen: Zur Kommunikation auf dem Niveau der Business-Prozesse bietet Baan die Extensible Markup Language (XML) als Metasprache an sowie die Möglichkeit, Informationen mit IBMs "MQ Series" oder Microsofts "Message Queuing"(MSMQ) zu versenden. "Im Zeitalter von E-Commerce müssen Geschäftsprozesse unternehmensübergreifend integrier- und steuerbar sein", erklärt Martin Schulte, Senior Solution Architect von Baan. XML sei hier ein wichtiger Standard, der auch von vielen anderen Anbietern aufgegriffen werde.

Anwender hierzulande täten sich zwar noch schwer, ihre IT für Lieferanten und Kunden zu öffnen, doch der Trend in diese Richtung sei nicht mehr aufzuhalten: "Mit der Geheimniskrämerei der Vergangenheit und dem Glucken auf Daten ist ein echtes Just-inTime-Produzieren nicht möglich." Ziel der Anwender, speziell der Großunternehmen, innerhalb einer Supply-Chain sei es zudem, Lagerbestände zu verringern und Kunden verbindliche Terminzusagen machen zu können. Dies sei ebenfalls nur in einer engmaschig abgestimmten und integrierten Lieferkette möglich.

Neben einem TCP/IP-Connector, der einfachsten Verbindung zwischen Applikationen auf Basis von Sockets, steht ein DCOM-Connector zur Verfügung, der die proprietären BOIs für das Schnittstellen-Modell von Microsoft öffnet. Corba- und OLE-DB-Connectoren sollen mit dem nächsten Release zur Verfügung stehen.

Während die EAI-Levels eins bis drei mit den Enterprise Solutions Ende des Jahres erhältlich sein werden, fehlt es den Niederländern in der Stufe vier anscheinend noch an Substanz. So konnte Laurens van der Tang, Chefentwickler von Baan, auch nur ein vages Konzept vortragen: Der "Business Community Level" solle die Zusammenarbeit innerhalb von Betrieben und über Unternehmensgrenzen hinaus erlauben. Baan gehe dabei davon aus, daß Kunden, Lieferanten und Sublieferanten ihre Geschäftsprozesse künftig miteinander stärker teilen und dazu eine Web-basierte Anwendungslandschaft verwenden. Dieser Ansatz ähnelt laut Analysten Internet-Marktplätzen wie SAPs "Mysap.com" und Oracles "Exchange". Eine konkrete Web-Community-Strategie ist Baan seinen Kunden jedoch schuldig geblieben, sie soll wahrscheinlich bis zur CeBIT 2000 heranreifen.

Neuer Schwung für Baans Service

Unter dem Markennamen "Baan.agility" stellen die Niederländer Kunden bekannte und neue Services via Internet zur Verfügung. Ein Web-Portal soll Anwendern dabei den Zugriff sowohl auf Routine-Services wie Software-Updates und Patches als auch auf zusätzliche Dienste wie eine Wissensdatenbank ermöglichen. Die Foren dienen Baan-Mitarbeitern, -Anwendern und Partnerunternehmen gleichermaßen als Informationsfundus.

Zum Leidwesen der Anwender sind die Agility-Angebote jedoch größtenteils kostenpflichtig und nicht in den vergleichsweise hohen Software-Wartungsgebühren enthalten. Neben einem verbesserten Wissenstransfer innerhalb der Baan-Gemeinde erhofft sich Andrew Nash, Baans Executive Vice-President Services, davon zusätzliche Einnahmen.

Kostenfrei ist aber weiterhin "Ontrack", ein Werkzeug für die Qualitätssicherung von Projekten. Der Service "Cyberconsult", bei dem Kunden ihre Probleme in Echtzeit mit Baan-Beratern diskutieren können, kostet dagegen 45 Dollar je Viertelstunde. Darüber hinaus sind "Onsite"-Leistungen und der "Advocate"-Service, bei dem Kunden auf einen fest benannten Consultant zurückgreifen können, gesondert zu vergüten. Die Preise dafür wurden nicht genannt. Neu im Agility-Portfolio sind "Method", "Knowledge@work", "Serviceport", "Extreme.Listening" und "Optimize". Besonders interessant für Kunden dürfte Knowledge@work sein. In einem Repository sollen Projekterfahrungen und -berichte von Baan-Beratern und Partnerunternehmen gesammelt und im Web publiziert werden. Kunden haben die Möglichkeit, die Informationen abzurufen, Voraussetzung dafür ist allerdings der Dienst "Serviceport". Alle Agility-Services sollen im vierten Quartal 1999 und im ersten Quartal 2000 verfügbar sein.

Enterprise Solutions

Baan ERP 5.0c - neue Version des Kernsystems für das Enterprise Resource Planning;

Baan E-Enterprise - E-Commerce-Lösungen für Vertrieb, Beschaffung und Zusammenarbeit über das Web wie E-Sales, E-Procurement und E-Collaboration;

Baan SCS - Supply-Chain-Werkzeuge: SCS Planner 2.0, Order Promising 2.0, Scheduler 6.3, Demand Planner 2.5.9, Baan SCS Execution;

Baan FOS 98.4 - Front-Office-Lösungen für Vertrieb, Service und Marketing;

Baan BIS Data Navigator 2.5 - ein Werkzeug für Knowledge-Management;

Baan DEM 5.2 - Dynamic Enterprise Modeller für die Unterstützung der Modellierung von Prozessen und Einführung der Software.