Gemischte Teams erarbeiten Anwendungen Lernsoftware bringt Entwickler und User auf aehnlichen Stand

13.01.1995

Die Anwender in die Entwicklung einbeziehen - ein unmittelbar sinnfaelliges Mittel gegen fehlerhafte oder am Bedarf vorbei geschriebene Software. Aber wenn DV-Laien mit Profiprogrammierern sprechen, liegen Missverstaendnisse nahe. Michael Mittag* beschreibt, wie die Bau-Berufsgenossenschaft Wuppertal dieses Dilemma geloest hat.

Die Systementwicklung bei der Bau-Berufsgenossenschaft Wuppertal ist in Form abteilungsuebergreifender Projekte organisiert. An den Programmiervorhaben arbeiten neben externen Beratern und Angehoerigen des Referats DV-Organisation und Datenverarbeitung auch Beschaeftigte aus den jeweiligen Fachabteilungen, fuer die die Anwendungen erstellt werden sollen. Zur Zeit sind etwa 25 bis 30 Mitarbeiter in den Projekten taetig.

Indem die spaeteren Benutzer kontinuierlich an der Entwicklung teilnehmen, soll sichergestellt werden, dass Systeme entstehen, die den Anforderungen der Fachabteilungen entsprechen. Damit lassen sich die ueblichen Nachbesserungen nach Inbetriebnahme der Anwendungen auf ein Minimum reduzieren, und den Anwendern bleibt ein "Leben mit Kruecken" erspart.

Diese Art der Projektorganisation hat selbstverstaendlich eine hohe Fluktuation innerhalb der Anwendungsentwicklung zur Folge, da an jedem neuen Vorhaben wieder Mitarbeiter aus anderen Fachabteilungen beteiligt sind. Nun versteht ein DV-Neuling aus der Fachabteilung naturgemaess erst einmal nichts von Anwendungsentwicklung. Es gibt also staendig wiederkehrenden Schulungsbedarf zu Themen wie Prozess- oder Datenmodellierung. Nur wenn der erfuellt wird, koennen derart heterogene Projektteams ueberhaupt die gleiche Sprache sprechen.

Ob nun Schulungen durch interne Mitarbeiter oder durch externe Trainer durchgefuehrt werden - in beiden Faellen ist damit ein hoher zeitlicher beziehungsweise finanzieller Aufwand verbunden. Interne Schulungsleiter, also Mitarbeiter der DV-Abteilung, werden durch die Kurse zeitlich gebunden und daran gehindert, ihre eigentlichen Aufgaben zu erfuellen. Externe Schulungen sind teuer; 1500 Mark pro Tag und Mitarbeiter sind sicher nicht zu hoch gegriffen. Dazu kommt, dass der Effekt schnell verpufft, wenn das Gelernte nicht unmittelbar in der Praxis angewandt werden kann.

Um dies alles zu umgehen, wird in der Anwendungsentwicklung seit rund einem Jahr ein computerbasiertes Trainingsprogramm eingesetzt. Die Entscheidung fiel dabei auf das Produkt "SE/CBT" der Experteam GmbH, Koeln. Das Lernprogramm fuehrt anhand von Fallbeispielen und Uebungsaufgaben schrittweise in die Grundlagen der Prozess- und Datenmodellierung ein. So trainiert es die Anwender in strukturierter Analyse und Entity-Relationship- Modellierung. Die Darstellungsweisen und Diagrammtechniken des Programms orientieren sich an der Entwicklungsumgebung "Systems Engineer" von LBMS und weichen zum Teil etwas vom klassischen Ansatz der Systemanalyse ab. Prinzipiell ist das Programm aber auch unabhaengig von einem bestimmten CASE-Werkzeug einsetzbar, da es den Anwender nicht in den Umgang mit dem Tool, sondern in die Vorgehensweise einweiht.

Jeder Mitarbeiter aus einer Fachabteilung, der das erste Mal an einem DV-Projekt beteiligt ist, arbeitet sich zunaechst in die Grundlagen der Prozessmodellierung ein. Dabei lernt er beispielsweise, wie die fachlichen Zusammenhaenge und Ablaeufe in einem System untersucht und die Ergebnisse mit Hilfe von Datenflussdiagrammen und Datenbeschreibungen in einem Prozessmodell dargestellt werden.

Nicht nur die Fachabteilungsmitarbeiter, sondern auch Beschaeftigte aus der DV-Abteilung, die bisher vorwiegend mit Programmieraufgaben befasst waren, nutzen das Programm, um ihr Wissen im Hinblick auf neue Aufgaben zu ergaenzen oder aufzufrischen. Die neu erworbenen Kenntnisse werden im Projekt unmittelbar praktisch umgesetzt, eventuell auftretende Fragen koennen von erfahrenen Kollegen quasi nebenbei oder im Rahmen kurzer "Ad-hoc-Schulungen" beantwortet werden. Nach einer ersten Phase der praktischen Anwendung vertiefen die Mitarbeiter dann ihr Wissen entsprechend den Anforderungen, die das aktuelle Projekt stellt, und gemaess ihrem individuellen Schulungsbedarf.

Oft vergehen einige Wochen, bis die Projektmitarbeiter sich mit der Datenmodellierung befassen - genau zu dem Zeitpunkt, an dem es vom Projektfortschritt her erforderlich ist. Danach kennen sie die Grundlagen des Entity-Relationship-Modells und koennen anhand dessen das Datenmodell eines Systems erstellen. Auch dieses neue Wissen laesst sich sofort in der Projektpraxis anwenden.

Selbstverstaendlich macht das computerbasierte Training aus den Mitarbeitern der Fachabteilungen keine Systemanalytiker oder - entwickler. Doch sind die Anwender danach in der Lage, mit den beteiligten DV-Spezialisten auf gleicher Ebene zu kommunizieren und am Aufbau des Fachkonzepts aktiv mitzuarbeiten. Zudem koennen sie die durch das CASE-Tool erstellte Anwendungsdokumentation verstehen und bei Bedarf korrigierend eingreifen.

Die im Trainingsprogramm enthaltenen Uebungsbeispiele werden allerdings nur in Ansaetzen genutzt. Der Hauptgrund hierfuer liegt wohl darin, dass die Teilnehmer parallel zur Schulung bereits im Projekt mitarbeiten. Sie sind daher an "berufsgenossenschaftsfernen" Anwendungsbeispielen wie der Modellierung einer Theaterkasse weniger interessiert und nutzen zur Uebung lieber Teilbereiche des konkreten Projekts.

Hohe Investition amortisiert sich schnell

Nach den bisherigen Erfahrungen bietet der Einsatz eines computerbasierten Trainingsprogramms gegenueber den herkoemmlichen Schulungen folgende Vorteile:

- Die hohen Kosten fuer Ausbildungskurse, die immer wieder neu durchgefuehrt werden muessten, lassen sich einsparen.

- Die Einarbeitung in die Grundlagen der Prozess- und Datenmodellierung kann zu genau dem Zeitpunkt geschehen, an dem sie vom Projektstatus her erforderlich ist.

- Das neu erworbene Wissen ist unmittelbar in der Praxis anwendbar und vertiefbar.

- Alle Mitglieder der sehr heterogenen Projektteams verwenden die gleiche Terminologie.

- Durch die jederzeit moegliche Wiederholung des Trainingsprogramms koennen eventuelle Luecken rasch gefuellt beziehungsweise laenger zurueckliegende Schulungseinheiten sofort aufgefrischt werden.

- Ein computerbasiertes Trainingsprogramm passt sich automatisch dem individuellen Lerntempo des Mitarbeiters an.

Die notwendige Investition fuer das Programm erscheint zunaechst recht hoch. Sie betraegt rund 15 400 Mark fuer bis zu 50 Anwender. Bei der Bau-Berufsgenossenschaft Wuppertal hat sich diese Ausgabe jedoch innerhalb kurzer Zeit amortisiert.

Das Unternehmen

Die Bau-Berufsgenossenschaft Wuppertal ist eine bundesunmittelbare Koerperschaft des oeffentlichen Rechts mit etwa 850 Mitarbeitern. Sie ist zustaendig fuer die Durchfuehrung der gesetzlichen Unfallversicherung in der Bauwirtschaft. Das heisst, sie kommt fuer die Folgen von Arbeitsunfaellen und Berufskrankheiten auf, und im Vorfeld kuemmert sie sich um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in Betrieben sowie auf Baustellen. Mehr als 500000 Personen aus rund 45000 Mitgliedsunternehmen sind bei der Wuppertaler Bau-Berufsgenossenschaft versichert, deren Zustaendigkeitsbereich sich auf das Gebiet des Landes Nordrhein- Westfalen (mit Ausnahme des Regierungsbezirks Detmold) sowie auf die Regierungsbezirke Koblenz und Trier erstreckt. Die betraechtlichen Datenmengen werden auf Siemens-Grossrechern verwaltet, neue DV-Systeme mit Adabas und Natural von der Software AG entwickelt. Fuer Anforderungsanalyse, Entwicklung des Fachkonzepts, Erstellung der Programmvorgaben und Dokumentation kommt die Entwicklungsumgebung

Systems Engineer von LBMS zum Einsatz.