Multiplikatoreffekt ist ein Vorzug der verteilten Datenverarbeitung:

Gemeinsame Programme zentral entwickelt

01.10.1982

STUTTGART - Die Systems Network Architecture (SNA), mittlerweile acht Jahre alt, ist zentrales Element in IBMs Konzept der verteilten Datenverarbeitung. Diese Architektur sollte mit ihren Regeln den Rahmen für die Entwicklung aller künftigen DV-Produkte abstecken. Die beiden IBM-Mitarbeiter Helmut Hänge und Dieter Zimmermann beschreiben das DDP-Konzept aus Stuttgarter Sicht.

Die zunehmende Verteilung von Computerfunktionen in einem Netzverbund hat zahlreiche Grunde, beispielsweise die geografische Streuung von Unternehmensbereichen, die Komplexität großer zentraler Systeme, die Verfügbarkeit von Teleprocessing-Netzen oder lange Antwortzeiten. Verstärkt fallen heute auch die Kosten ins Gewicht: Kosten für Leitungen, besonders aber für das EDV-Personal. Die technologische Entwicklung der vergangenen Jahre unterstützte die relativ schnelle Verwirklichung des DDP, denn erst das sich verbessernde Preis-/Leistungsverhältnis, insbesondere bei den Arbeitsspeichern und Prozessoren, ermöglichte eine wirtschaftlich sinnvolle Verteilung von Computerleistung.

Dezentralisierung ist nicht gleich DDP

Wenn man über die verteilte Datenverarbeitung (DDP) sprechen will, empfiehlt es sich wegen der bestehenden Begriffsvielfalt zunächst einmal zu definieren, was unter DDP zu verstehen ist. Arbeiten beispielsweise Mini- oder Bürocomputer völlig unabhängig von einem zentralen Rechner an verschiedenen Stellen eines Unternehmens, so kann man zwar von Dezentralisierung sprechen, nicht jedoch von DDP. Wenn unintelligente Terminals vor Ort online mit einem zentralen Rechner verbunden sind, so fällt auch diese Lösung nicht unter den Begriff DDP, denn dezentral findet ja keine Verarbeitung statt. Weniger scharf verlaufen die Grenzen, wenn eigenständige Systeme gleichberechtigt in einem horizontalen Verbund arbeiten, um beispielsweise Dateien auszutauschen, im Grunde aber doch voneinander unabhängig sind. Auch eine solche Lösung würde man wahrscheinlich nicht dem Begriff DDP zuordnen.

DDP in einfachster Form findet statt, wenn beispielsweise intelligente Terminals, die relativ selbständig arbeiten, an einen Host-Rechner angeschlossen sind und nur zum Daten- oder Programmaustausch Verbindung mit diesem aufnehmen. Auch einen vertikalen Rechnerverbund (mehrere Computer IBM 4300, die einem übergeordneten Host 308X zugeordnet sind) würde man als DDP-Lösung bezeichnen. Und dann gibt es schließlich DDP in seiner universellsten Form: ein hierarchischer Verbund von Host-Rechner und Systemen wie dem 8100, an die wiederum Datenstationen und Subsysteme unterschiedlichster Art und Leistungsfähigkeit angeschlossen werden können.

Die DDP-Konzeption von IBM basiert auf SNA, einer Architektur für Kommunikationssysteme. Der Begriff Architektur kennzeichnet einen Rahmen, bestehend aus Regeln und Vorschriften, nicht jedoch deren Implementierung. So gelten die 1974 aufgestellten SNA-Regeln - vorgegeben für künftige Kommunikationsprodukte der IBM - heute noch in gleicher Weise. Gewandelt und vor allem erweitert hat sich nur die Form ihrer Implementierung.

Die Implementierung von SNA ist eng mit der technologichen Entwicklung verbunden. Da es möglich wurde, Terminals mit Mikroprozessoren auszurüsten, konnte man auf die direkte Gerätesteuerung durch den Host-Computer verzichten. Befehle und Prozeduren, die bei der engen Kopplung an den Host bisher erforderlich waren und vielfach auch die Anwendungsprogramme betrafen, entfielen und wurden durch die flexibleren SNA-Protokolle ersetzt.

Im Laufe der Zeit erweiterten sich die Möglichkeiten der SNA-Implementierung immer mehr. Steuereinheiten (zum Beispiel IBM 3274 und 3276), die mehrere Datenstationen bedienen konnten, kamen hinzu; später leistungsfähigere Prozessoren, die zusätzlich zur Steuerung auch Anwendungen übernahmen. Damit war der Übergang zu DDP in SNA vollzogen. Die DDP-Prozessoren konnten wiederum eigene Terminals und Subsysteme bedienen, die über TP-Leitungen, Ringleitungen oder direkt angeschlossen wurden. Die hierarchische Netzstruktur wurde Wirklichkeit.

Außenstellen ohne EDV-Kenntnisse

1977 eröffnete IBM den Anwendern die Möglichkeit des "Networking". Damit kann jeder Benutzer jede Anwendung der Host-Rechner über einen Netzknotenrechner ansprechen. Die horizontale Implementierung von SNA wurde damit sowohl auf der Host- als auch auf der Netzknotenebene erweitert.

Die DDP-Konzeption von IBM vereinigt in sich die Vorteile von zentraler und eigenständiger dezentraler Datenverarbeitung, da die dezentralen Systeme hard- und softwaremäßig in das zentrale System eingebunden sind. Für den Anwender ergeben sich dadurch folgende, in den einzelnen Produkten mit unterschiedlichem Schwerpunkt realisierte Vorteile:

- trotz dezentraler Verarbeitung zentrale Steuerung und Überwachung durch den Host-Rechner,

- in den Außenstellen keine EDV-Kenntnisse erforderlich,

- hierarchische Gliederung von Funktionen und Daten (hierarchische Datenbanken),

- Verarbeitung vor Ort (Erhöhung der Produktivität),

- höhere Betriebssicherheit (bei Störungen auf der Leitung oder Ausfall der Zentrale weiterer Betrieb vor Ort möglich),

- Auslegung von Hardware und Software auf den Endbenutzer abgestimmt,

- Zugriffsmöglichkeit zu zentralen Daten und Anwendungen,

- gemeinsame Programme, die zentral entwickelt werden (Multiplikatoreffekt),

- zentrale Programmpflege,

- Fehleranalyse vom Host-Rechner aus (Hardware, Programme, Netz).

Besonders die zentrale Steuerung und Überwachung der dezentralen Systeme bringt dem Anwender vielfältige Vorteile. So sind vor Ort EDV-Kenntnisse nicht erforderlich, ein operatorloser Betrieb ist möglich. Sollten "draußen" doch einmal Probleme im Betriebsablauf auftreten, kann ein EDV-Fachmann von der Zentrale aus auf das System durchgreifen und quasi als "Fernoperator" fungieren.

Die zentrale Steurung ist jedoch nicht nur für Betriebsstörungen vorgesehen. Sie sorgt beispielsweise dafür, daß Daten von der Außenstelle zur Zentrale übertragen werden, daß Ergebnisse aus der Zentrale von der Außenstelle empfangen, in den dortigen Datenbestand eingefügt und eventuell ausgedruckt werden - alles ohne einen Eingriff des Personals vor Ort. Auch das Abschalten von Systemen - beispielsweise zum Wochenende - läßt sich von der Zentrale aus erledigen. Für den Anwender bedeutet diese zentrale Steuerung gegenüber einem eigenständigen dezentralen Betrieb eine beträchtliche Kostenersparnis, da er auf geschultes EDV-Personal in den Außenstellen weitgehend verzichten kann.

Ein weiterer Vorteil dieser DDP-Konzeption liegt in der Verwendung von einheitlichen Anwendungs- und Betriebsprogrammen in allen Außenstellen. Mit diesem Multiplikatoreffekt erspart sich der Anwender eine Vielzahl von teuren Programmentwicklungen. Auch die Programmpflege erfolgt zentral.

Außerordentlich wichtig ist die vom Host-Rechner aus mögliche Fehleranalyse, die Fehler in der Hardware, in der Software (Betriebssystem und Anwendungsprogramme) oder auch im Übertragungssystem erkennen und Korrekturmaßnahmen einleiten kann.

Ebenso flexibel, wie sich die Hardware den jeweiligen Bedürfnissen einer Außenstelle anpassen läßt, kann auch die Software ausgelegt werden. Zu fest vorgegebenen Anwendungsprogrammen für den täglichen Betriebsablauf können je nach Bedarf weitere Programme hinzugefügt werden.

Höherer Grad der Benutzerfreundlichkeit

Die Beschreibung des SNA-Rahmens hat gezeigt, welche Möglichkeiten dem Anwender zur Realisierung einer DDP-Lösung zur Verfügung stehen. Erst aufgrund dieser Voraussetzungen können Netze realisiert werden, die von topologischen Einschränkungen weitgehend befreit sind, sich den Benutzeranforderungen anpassen lassen und einen höheren Grad der Benutzerfreundlichkeit von DDP-Systemen erreichen.

Mit unterschiedlichen Übertragungswegen lassen sich vielfältige und den wirtschaftlichen Bedürfnissen angepaßte Lösungen implementieren. So können zum Beispiel Bestandsabfragen direkt an einer intelligenten Datenstation bearbeitet werden, oder der Benutzer bedient sich der Programme des DDP-Systerns, an dem seine Datenstation angeschlossen ist.

Von hier kann entweder direkt, aufgrund der vor Ort befindlichen Dateien, Auskunft auf die Anfrage gegeben werden, oder es kann programmgesteuert ein Zugriff auf ein zentrales System erfolgen, daß sich irgendwo innerhalb eines Netzverbundes befinden mag. Schließlich kann sich derselbe Benutzer auch eines Programms bedienen, das sich auf einem beliebigen zentralen Rechner befindet, wobei in diesem Fall ein Durchgriff von der Datenstation durch das DDP-System erfolgt.

Mit SNA und der darauf basierenden DDP-Konzeption läßt sich heute ein Datenfernverarbeitungsnetz an die unterschiedlichen Unternehmensstrukturen anpassen Beispiele solcher Implementierungen finden sich vor allem im Bereich der Kreditinstitute, bei Versicherungsunternehmen oder im öffentlichen Dienst. Dort sind aufgrund der Struktur nach Regionen und Bezirken DDP-Lösungen in hierarchischer Abstufung eine sinnvolle Lösung.