X/Open-President Morris strebt Fusion mit der OSF an

Gemeinsame Internet-Zukunft der Open-Systems-Konsortien?

12.01.1996

CW: Die User Groups von X/Open und OSF wollen sich zusammenschliessen. Ausserdem ist eine enge Kooperation bei der Definition der Federal Naming Services geplant. Wird es eine Fusion der beiden Organisationen geben?

Morris: Das ist nicht auszuschliessen. Seit zehn Jahren bemuehen wir uns erfolgreich, offene Systeme im Markt durchzusetzen. Das Kaufverhalten der Anwender hat sich inzwischen entsprechend veraendert. Nahezu jeder Hersteller nimmt heute fuer sich in Anspruch, offene Systeme zu liefern. X/Open und OSF muessen reagieren und sich den neuen Open-Systems-Maerkten widmen. Diese orientieren sich am Internet und dem World Wide Web. Unsere Aufgabe ist es, Open-Systems-Standards in diese neue Umgebung zu bringen. X/Open und OSF haben beschlossen, miteinander darueber zu reden, wie wir den Open-Systems-Markt im Zeitalter des Internet weiter ausbauen koennen.

CW: Sie konzentrieren Ihre Kraefte also kuenftig auf das Internet?

Morris: Zunehmend. Das Internet repraesentiert gegenwaertig die Open-Systems-Welt in Aktion. Vor zehn Jahren, als die X/Open begann, gab es keine offenen Systeme. Wir haben uns entschieden, diese Welt auf Basis des Unix-Betriebssystems aufzubauen. Nun, wo Unix vom Markt akzeptiert ist und Anwender ihre geschaeftskritischen Programme unter Unix ablaufen lassen, nun muss die naechste Open-Systems-Welle unterstuetzt werden - und die findet auf dem Ruecken des Internet- und des Web-Modells statt.

CW: Welche der beiden Organisation strebt den Merger staerker an -oder ist das Ganze eine Idee der Sponsoren?

Morris: Die Motivation kommt von unseren User Groups, die einen weltweiten One-stop-Shop fuer offene Systeme wollen. Es sind also die Kunden beider Organisationen, die das moechten. Sie versprechen sich davon einen effizienteren Service.

CW: Haben Sie auch mit der Object Management Group (OMG) gesprochen? Die ist ja ebenfalls eine sehr starke Open-Systems-Organisation mit einem guten Standing im Markt.

Morris: Im Moment ist es schon eine grosse Herausforderung, mit der OSF zusammenzukommen. Wir wollen aber unsere Rolle als Integrationsinstanz fuer andere Open-Systems-Organisationen behalten. Wir bringen die Spezifikationen als Brands in den Markt - aehnlich wie bei Unix oder der Common Desktop Environment geschehen. Als naechstes kommen ein SQL-Brand und Standards im Sicherheitsbereich.

CW: Aber im Internet werden objektorientierte Techniken dominieren. Sollte die X/Open da nicht eher mit der OMG zusammenarbeiten als mit der OSF?

Morris: Objekte spielen in der Tat eine wichtige Rolle, was die Software-Entwicklung im Web angeht. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie die OMG als Schluessel-Player nennen. Eine enge Zusammenarbeit waere sicher sinnvoll, wir werden das in die Diskussion einbringen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.

CW: Das Gespraech mit einem OSF-Verantwortlichen zeigte, dass man dort vor allem aus wirtschaftlichen Gruenden an einer Kooperation mit der X/Open interessiert ist. Man will etwas gegen die Ueberschneidungen der Aufgabenbereiche unternehmen. Vom Internet war keine Rede.

Morris: Die Ueberschneidungen gibt es tatsaechlich; sie ruehren daher, dass wir im selben Markt aktiv sind. Das ist aber nicht der Grund dafuer, dass wir zusammenarbeiten wollen. Uns geht es um das gemeinsame Ziel, den Open-Systems-Markt weiter zu unterstuetzen und entsprechende Standards herauszubringen. Dafuer muessen wir uns eben an die neuesten Trends halten - also spielt das Internet eine zentrale Rolle.

CW: X/Open und OSF hatten sich stets gegen Kritiker zu behaupten, die den Gremien Behaebigkeit und schwache Marktorientierung vorwarfen...

Morris: Beide Organisationen wissen, dass die Reaktion auf den Markt deutlich schneller werden muss, wenn wir in einem noch schnelleren Open-Systems-Geschaeft agieren wollen.

CW: Wie koennen Prozesse beschleunigt werden, wenn kuenftig die Board-Mitglieder beider Organisationen auf verschiedenen Ebenen miteinander kommunzieren und verhandeln muessen? Solange Sie nicht fusionieren, aber in diversen Bereichen kooperieren, wird dies der Alltag sein.

Morris: Wir sind dabei, die Entscheidungsverfahren zu verkuerzen, damit die Zeitspannen nicht zu gross werden. Wir optimieren derzeit unsere Prozesse.

CW: Der einfachste Weg waere es doch, die OSF-Entwicklungen voll in die X/Open zu integrieren oder umgekehrt, um den Verwaltungsapparat klein zu halten.

Morris: Gewiss, das ist eine Moeglichkeit.

CW: Sie diskutieren also mit der OSF ueber einen formellen Merger?

Morris: Ja. Allerdings sind hier noch keine Entscheidungen gefallen. Das ist aber eine der Aktivitaeten, die bei uns hoechste Prioritaet haben.

CW: Wenn ab Maerz zunaechst die User Groups zusammengehen, welche Organisation soll sie dann unterstuetzen?

Morris: Wir planen, eine Supporteinheit zu gruenden, die die fusionierten User Groups unterstuetzt. Momentan ist die Art und Weise, in der Anwendern Services angeboten werden, in OSF und X/Open aber noch sehr unterschiedlich.

CW: Sie wollen eine Serviceorganisation fuer alle Anwender. Wer aber erhaelt kuenftig die Mitgliedsbeitraege?

Morris: Die Mitgliedsbeitraege der Anwender beziehen sich in der Regel auf Konferenzgebuehren oder ganz bestimmte Serviceleistungen. Wir machen damit keinen Profit, und hier sind auch keine groesseren Betraege zu verteilen. Wir verfolgen, was das betrifft, eine Break-even-Strategie.

CW: Sollten Sie den Merger verwirklichen, werden Sie dann ein anderes Finanzierungskonzept benoetigen?

Morris: Eine vollstaendige Fusion wuerde dies sicher erfordern. Gegenwaertig kooperieren wir, indem wir Verantwortlichkeiten von einer zur anderen Organisation uebertragen.

CW: Die Erfahrung mit X/Open und OSF lehrt, dass hinter Restrukturierungen in der Regel finanzielle Probleme stecken.

Morris: Wir haben derzeit keine Finanzprobleme, und fuer X/ Open kann ich kategorisch sagen: Wir hatten nie welche. Auf die Sponsorenbeitraege der grossen Hersteller haben wir uns nie allein verlassen. Sie bringen weniger als 50 Prozent unserer Einnahmen. Der groessere Teil kommt von Services, die wir anderen Organisationen in Form von Lizenzgebuehren etc. liefern.

Die Einnahmen der X/Open liegen bei 15 Millionen Dollar. Das ist relativ wenig, dafuer dass wir einen sehr grossen Markt beeinflussen. Wenn wir die finanziellen Ressourcen von X/Open und OSF zusammenbringen, dann fuehrt das dazu, dass wir unser Geld sehr viel effektiver im Open-Systems-Markt ausgeben koennen.

CW: Vor zirka einem halben Jahr hat Microsoft bekundet, enger mit X/ Open kooperieren zu wollen. Was ist daraus geworden?

Morris: Sie arbeiten im Bereich Interoperabilitaet und beim SQL-Brand eng mit uns zusammen. Die gemeinschaftlichen Aktivitaeten sind jedoch auf wenige Themen begrenzt. Auf den Druck der Kunden hin beginnt Microsoft allmaehlich damit, seine Produkte an Open-Systems-Anforderungen anzupassen und mehr Standards zu beruecksichtigen. Beispielsweise fordern sie eine Posix-Schnittstelle fuer Windows NT.