EINSTIEG IN DIE 90er JAHRE

Gefragt ist interdisziplinäre Informationsverarbeitung

05.01.1990

Moderne integrierte DV-Systeme werden den DV- Verantwortlichen in den

kommenden Jahren viel Wissen, Abstraktionsfähigkeit und

Führungsqualifikation abverlangen. Der Autor vertritt im folgenden Beitrag die

Auffassung, daß DV-Manager ihre Aufgabe erst dann erfüllt haben, wenn die

Bedienung von Informationssystemen für praktisch alle Anwendergruppen

ähnlich leicht und intuitiv beherrschbar geworden ist wie das Autofahren.

Joachim Geffken ist Geschäftsführender Gesellschafter der Herbert Seitz GmbH, Bremen.

Der Trend: Weniger wird mehr

Wissen ist Macht. In der Sprache der DV-Branche lautet diese Uralt-Weisheit für die bevorstehenden 90er Jahre: "Informationsbearbeitung (IV) stellt die entscheidende Funktion in allen Unternehmen und Organisationen dar".

Das bedeutet: die IV-technisch unterstützen Wissensvermittler und -verwalter wachsen in Schlüsselpositionen hinein, übernehmen in eigener Person Schnittstellenfunktionen zwischen den Bereichen der Unternehmen, wie es nebenstehender Artikel " Gefragt ist interdisziplinäre Informationsverarbeitung" nahelegt. Gesucht ist also derjenige, der in den immer komplexer und gleichzeitig weitraumiger angelegten Organisationen interdisziplinär kompilieren kann oder die dafür notwendigen Werkzeuge einzusetzen versteht, so sie denn verfügbar sind. Die Hoffnung auf ein solches für alle konsistentes IV-Konzept, wie es IBM beispielsweise unter dem Kürzel SAA noch im herkömmlichen Proprietary-Denken zu realisieren versucht, gründet auf einem derartigen Bedarf Doch einen Trend zu behaupten, wie es in dem Beitrag "Big Blues SAA-Konzept - Traum und wenig Wirklichkeit" auf Seite 30 geschieht, ist eine Sache - eine andere ist es, feststellen zu können, wie sich in der Tat internationale Normen langsam aber sicher zu marktöffnenden Standards verwandeln, die eben keine herstellereigenen Quasi-Standards sind: Zu lesen auf Seite 25 unter der Überschrift "Mit OSI Zug um Zug in die Praxis offener Kommunikation".

Ein Trend, der schon ein Quasi-Gesetz der Computerei ist, nämlich "Immer mehr Leistung in immer kleineren Systemen", feierte schon in den frühen 80er Jahren mit dem machtvollen Aufkommen persönlicher Kleinrechner Triumphe. Notwendigerweise tat dies der dominierenden Rolle der Mainframes gehörigen Abbruch. Auch wenn hier ein leichtes Zurückschlagen des Pendels zu beobachten ist, ein "Dinosauriersterben" in der Welt der Superrechner ist dennoch für die 90erJahre prognostiziert. Fast alle Anbieter von bislang erfolgreichen Superminis und Mainframes müssen erhebliche Umsatzeinbußen melden - siehe Seite 32.

Mittel der Wahl

Künstliche Intelligenz und "CASE", das sind Schagworte der 80er Jahre, bei denen es nicht geblieben ist. In den kommenden Jahren werden diese Worte zu alltäglichen Realitäten heran- oder auch herabwachsen, je nach Gesichtspunkt, wie auf Seite 33 nachzulesen ist.

Auf jeden Fall gehören sowohl Expertensysteme, wie auf Seite 33 beschrieben, als auch die Anwendung von Computer Aided Software Engineering (CASE) zu den Instrumenten der Wahl, wenn es darum geht, die wenig befriedigende berufliche Ausgangslage (siehe nebenstehende Grafik) von der heutigen "Misere" in eine für Informationsverarbeiter einflußreichere Position näher an der Geschäftsleitung zu verwandeln. bi

Das Automobil ist ein für den allgemeinen Gebrauch "gezähmtes" Produkt. Komplexen Computersystemen steht diese "Zähmung" noch bevor. Neben den Herstellern von Hardware und Standardsoftware werden die DV-Verantwortlichen bei der Domestizierung der Computer eine wichtige Rolle übernehmen müssen. Welche Aufgabe sie zu bewältigen haben, wird deutlich, wenn man die sich abzeichnenden Trends in der Informationstechnologie betrachtet und sie zum heutigen Entwicklungsstand der DV-Kultur in Beziehung setzt.

Folgende Trends werden - neben anderen - die Informationstechnologie in den nächsten Jahren beherrschen:

- Die Rechnerleistung wird in Zukunft nicht mehr um 20 bis 30 Prozent, sondern um 50 bis 70 Prozent pro Jahr steigen

Die entscheidende Funktion zu allen Organisationen

- Auch im Mini- und Workstationbereich sind MlPS-Leistungen zu erwarten, die derzeit bestenfalls von Größtrechnern erbracht werden .

- "Persönliche Workstation Computerleistung" wird eine dominante Rolle spielen.

- Ganzheitliche computerisierte Arbeitsgänge werden die taylorisierte aufgesplittete

DV-gestützte Aufgabenabwicklung ablösen. Der Weg führt über die integrierte DV-Lösung

zur integrierten (und interdisziplinären) Vorgangsbearbeitung.

- Die sporadische Nutzung von Computern durch eine breitere Allgemeinheit nimmt erheblich zu.

Der Zugang zu verschiedensten Informationsquellen und die DV-Vernetzung vieler Geschäftsvorgänge wird im weltumspannenden Maßstab realisiert werden. Informationsverarbeitung stellt die entscheidende Funktion in allen Unternehmen und Organisationen dar.

Allerdings ist es fraglich, oh die neuen Techniken beherrscht werden und zu einer höher integrierten, interdisziplinär genutzten Informationstechnologie beitragen können, wenn man die heutige DV-Kultur betrachtet.

So ist die Informationsverarbeitung in vielen Unternehmen bestenfalls bei Investitionsentscheidungen oder im Problemfall Managementsache.

Monostrukturierte Ausbildung der DV-Mitarbeiter

Nur wenigen großen Unternehmen ist dieser Bereich wichtig genug, um ihn auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene anzusiedeln. Hinzu kommt die monostrukturierte Ausbildung von DV-Mitarbeitern. Nur in Ausnahmefällen enthält sie bereichsübergreifende Themen, die dem "fertigen" DV-Mann Integrationsaufgaben erleichtern würden. Als Bremsklötze wirken sich zudem die Myriaden alter Programme aus deren Pflege die Mehrzahl der Softwareentwickler bindet. Fast alle diese Systeme können nicht mehr sinnvoll und strukturiert weiterentwickelt werden.

Aus den skizzierten Trends einerseits und dem geschilderten Status quo der Informationsverarbeitung andererseits lassen sich die Anforderungen und deren Folgen für die DV-Verantwortlichen ableiten. Die bereits erwähnte, rapide steigende Rechnerleistung wird Lösungen in vielen heute noch DV-freien Verwaltungsbereichen ermöglichen. Hierzu gehören zum Beispiel Sprachspeicherung und -übermittlung sowie durchgängige Dokumentenarchivierung und -versand.

Mit der damit zusammenhängenden, steil ansteigenden DV-Abhängigkeit, wird die Ausfallsicherheit und Rekonstruierbarkeit von Anwendungen (über)lebensentscheidend.

Sicherheits- und Datenschutzfragen nehmen in ihrer Bedeutung und gesellschaftspolitischen Brisanz erheblich zu. Der DV-Manager muß sich dann der kritischen Beobachtung durch die Öffentlichkeit genauso verantwortlich stellen, wie Umweltbeauftragte der öffentlichen Hand oder großer Unternehmen das heute schon tun sollen.

Der Einsatz modernster Computertechnik ermöglicht die durchgängige Information von der ersten Produktidee über Konstruktion, Fertigung, Qualiltätssicherung bis hin zum Versand. Allerdings müssen die DV-Abteilungen eine integrierte alle betroffenen Bereiche einbeziehende Vorgangsabwicklung bereitstellen. Nur Unternehmen, die auf diese Weise die "Time-to-market"-Zeit ihrer Produkte kürzer gestalten können als die Wettbewerber, werden überleben.

Dieses wettbewerbsstrategische Ziel hat direkte Auswirkungen auf die Anforderungen, die an einen DV-Manager gestellt werden. Sie können sich nur dann zum IS-Manager qualifizieren, wenn sie eine bereichsübergreifende Ausbildung hinter sich bringen. Da unsere Ausbildungssysteme den Anforderungen um viele Jahre hinterherhinken, ist wie in den Gründerzeiten der Lochkarten- und Tabellier-EDV Pioniergeist, Eigeninitiative und lebenslange Lernwilligkeit und -fähigkeit auf hohem Niveau gefragt.

Einheitliche Bedienung zwingende Voraussetzung

Neben den Integrationsaufgaben, die auf die EDV-Leute zukommen, werden zahlreiche neue - vor allem nicht geschulte - Anwendergruppen bedienfreundliche und sichere Systeme fordern.

Intuitiv bedienbare Software wird die heute nur für geschulte Insider benutzbaren Programme ablösen. Und dabei ist es mit ein paar Fehlermeldungen und felderklärenden Hinweisen nicht getan. Einheitliche Bedienung mit konsistenten Reaktionsweisen, Fenstertechnik, kontextabhängige Hilfefunktionen und computergestütztes Training werden zur zwingenden Voraussetzung. Die Last tragen die Entwickler von Standardpaketen nicht allein sondern die DV-Verantwortlichen werden für abteilungs- und firmenspezifische Ergänzungen sorgen müssen. Hier entsteht ein gigantisches Arbeitspotential.

Da die "Workstation-DV" immer wichtiger werden wird, muß die kooperative Verarbeitung mit verschiedensten Rechnern beherrscht werden. Redundanzfreie - oder realistischer - redundanzarme Datenhaltung mit ablaufsicherer Synchronisation erhöht die Anforderungen an Informations-Bedarfs-Analyse, Daten-Strukturdesign und stabile Nachsynchronisation auch bei Störungen einzelner Netzknoten. Netzwerkmanagement - heute eher nur eine Aufgabe in großen EDV-vernetzten Unternehmen - wird zum Alltagsgeschäft. Damit wird die Sicherheit sich immer stärker öffnender Informationssysteme zu einer beherrschenden Aufgabe. Der Informationsschutz zieht in seiner Bedeutung mit Eigentums und Objektschutz gleich.

Die mit kooperativen Prozessoren, dem Umgang mit Agenten, Servern und Applikationsinterfaces einhergehenden intelektuellen Herausforderungen werden manchen Programmierer an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit führen.

Darüber hinaus macht das kommende, weltweite Verbundnetz der Informationsverarbeitung die Einhaltung interner und externer Standards unabdingbar. Schon heute ist beispielsweise ein Automobilzulieferer ohne Liefer-Abruf-Austausch oder ohne die Fähigkeit zum Austausch von CAD-, CAM-und CAQ-Daten in einer problematischen Situation. In Zukunft gilt das auch für viele andere Branchen. Die Bedeutung firmenspezifischer "Spezialitäten" in der Geschäftsabwicklung nimmt ab, die Einsetzbarkeit von Standardsoftware eher zu.

Allgemein akzeptierte Managementaufgabe

Abschließend muß gesagt werden, daß eine integrierte und umfassende Informationsverarbeitung nur dann realisiert werden kann, wenn sie unternehmensweit anerkannt und implementiert wird. Sie muß zur allgemein akzeptierten Managementaufgabe werden. Das beinhaltet gleichzeitig eine große Chance für den entwicklungsaktiven und lernbereiten DV-Verantwortlichen. IS-Karrieren werden interessanter! Die Wettbewerber um solche Positionen erscheinen deswegen zahlreicher und mit besserer Ausbildung als heute.

Erfahrung und Lernwilligkeit zusammen werden den DV-Leiter wahrscheinlich vor unliebsamen Überraschungen schützen. Absolut sicher ist das aber keineswegs.