Bundesinnenministerium will "verständliche DV":

Gefahr durch kleine Informationssysteme?

22.09.1978

BERLIN (ee) - Mit dem Problem der zunehmenden Informations-Vernetzung im Bereich des Staates setzte sich auf dem Internationalen Kongreß für Datenverarbeitung Ministerialdirektor Dr. Hans-Joachim Ordemann vom Bundesinnenministerium auseinander. Auszugsweise Ordemanns Eröffnungs-Vortrag.

An die Stelle einer Faszination über neue Horizonte durch die Technologie ist die starke Besorgnis über Verluste an Bürgerrechten und Freiheit des einzelnen getreten. Dies heißt die Frage nach der Unbedenklichkeit der Nutzung des technologischen Angebotes stellen.

Die Mikroelektronik hat für den Bereich der Informationstechnologie ein vielfältiges und leistungsfähiges Angebot geschaffen, dessen Ausmaß allen Anzeichen zufolge eine weiterhin stürmische Ausweitung bei weiterer Verbesserung des Preis-/Leistungsverhältnisses erfahren wird.

Die Konsequenz ist, daß sich Datenbanken leichter einrichten und Informationsquellen leichter verbinden und erschließen lassen. Dies bedeutet aber auch, daß Verwaltungen, Unternehmen und Betriebe jeder Größenordnung, jeder Arbeitsplatz und damit jeder einzelne im industriellen und im Dienstleistungsbereich von der technologischen Entwicklung betroffen werden können.

Dies gilt insbesondere angesichts der gegenwärtigen Entwicklung, in der Datenverarbeitung, Kommunikationstechnik und Nachrichtentechnik zu einem Technologischen Dreieck zusammenwachsen.

Der öffentlichen Verwaltung darf es nicht genügen, ihrerseits auf Forschungsergebnisse und die Folgen einer Entwicklung zu warten, in der die einzelnen Kommunikationssysteme langfristig in der Art eines "sozialen Nervennetzes" (Steinbuch) zusammenwachsen könnten. Die Untersuchungen und Überlegungen hierfür müssen von der Verwaltung selbst geleistet werden.

Es bleibt auch Aufgabe des Staates, die Entwicklung überschaubar zu machen und die Sachunsicherheit sowie die Rechtsunsicherheit im Umgang mit der neuen Technik abzubauen. Hierbei ist der Staat besonders auch auf die kritische Mithilfe der Massenmedien angewiesen.

Da jedermann heute in irgendeiner Weise Leistungsempfänger ist, muß der Staat insbesondere im Rahmen seiner sozialstaatlichen Aufgaben eine fast unbe(...)enzte Menge von Daten verwerten, deren Sammlung, Verarbeitung und Aufbewahrung nur noch mit Hilfe der automatisierten Datenverarbeitung möglich ist. Der für die Anwendung der Datenverarbeitung in der Verwaltung Verantwortliche steht also vor der Frage, welchen kommunikations- und informationstechnischen Möglichkeiten er den Vorzug geben soll, ohne die Anonymität des Verwaltungsvollzugs zu fördern und die Undurchsichtigkeit und Unverständlichkeit von Verwaltungsvorgängen zu begünstigen. Insbesondere muß er darauf achten, daß nicht mehr Daten erhoben und ausgetauscht werden, als dies zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben unbedingt nötig ist.

Die Vorstellungen über den richtigen, zweckmäßigen und rationellen Einsatz der Datenverarbeitung können nicht losgelöst von den Wertvorstellungen der Gesellschaft und deren Gestaltung entwickelt werden.

Bei der Anwendung der Datenverarbeitung dürfen deshalb dem Bürger grundsätzlich keine Verhaltensweisen abverlangt werden, die ihm nicht zuzumuten sind, die ihre Begründung lediglich in DV-organisatorischen und DV-technischen Randbedingungen finden könnten.

Einer verantwortungsbewußten Anwendung der Datenverarbeitung muß eine Bewertung der Möglichkeiten des gesellschaftlichen Nutzens der Datenverarbeitung und deren Risiken sowie eine kritische Prüfung des technologischen Angebotes zugrunde liegen, um notwendigen Fortschritt mit den Interessen der Bürger in Einklang zu bringen. Hierzu gehören insbesondere mehr Verständlichkeit und Übersichtlichkeit.

Es gilt allgemein und nicht nur für die öffentliche Verwaltung, allgemein gültige Grundsätze über die Verständlichkeit von Ergebnissen der Datenverarbeitung zu formulieren und bei der organisatorischen Ausgestaltung von Dienstleistungen zu beachten. Im Bundesinnenministerium werden folgende Überlegungen angestellt:

þComputerergebnisse und insbesondere ihre Darstellung sollten dem Bürger in einer angemessenen Form und Qualität zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort erreichen.

þComputergestützte Erhebungen beim Bürger sollten verständlich formuliert und ohne DV-technisch bedingten Aufwand gestaltet werden.

þDie Behörden sollten organisatorisch so ausgestattet sein, daß Verwaltungsdienstleistungen bürgergerecht ermöglicht werden.

þDie Mitarbeiter der Behörden sollten so geschult sein, daß sie auch im Rahmen eines computergestützten Verwaltungsvollzuges den Anforderungen an eine bürgergerechte Verwaltung entsprechen können.

In der öffentlichen Verwaltung entstehen datenverarbeitende Einrichtungen und Anwendungen ausschließlich aus den Erfordernissen der Aufgabe heraus und in verfassungsmäßiger Verantwortung. Die neuen Technologien der Informationsverarbeitung erlauben vielfältige Möglichkeiten der Informationsorganisation. Dezentrale, föderative und zentrale Lösungen sind ebenso denkbar und realisierbar wie isolierte Einzellösungen und vernetzte Verbundlösungen.

Damit wird ein organisatorischer Freiraum geschaffen. Dieser organisatorische Freiraum darf jedoch nicht dahingehend mißbraucht werden, daß der Einsatz der automatisierten Informationsverarbeitung eine Ausgestaltung annimmt, die mit den Grundsätzen einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung nicht mehr zu vereinbaren ist.

Dies muß nicht durch spektakuläre, zentralistisch organisierte Informationssysteme geschehen; weitaus wahrscheinlicher ist vielmehr die nahezu unmerkliche - und damit bedenkliche - Zunahme kleiner und mittlerer Informationssysteme, von denen jedes einzelne isoliert betrachtet vollauf legitimiert und notwendig sein mag. Gesetzgeber und Exekutive sind aufgerufen, diese - sicher noch fern liegende - mögliche Gefahr schon heute zu orten.