Microsoft im "Straßenkampf mit Java"

Gates ruft Phase zwei von .NET aus

02.08.2002
MÜNCHEN (CW) - Zwei Jahre nach dem Start seiner Web-Services-Strategie .NET hat Microsofts Führungsriege ein Resümee gezogen. Auf einem Presse- und Analysten-Briefing äußerte sich Bill Gates dabei teilweise kritisch über Fehlentwicklungen, sieht sich aber in der grundsätzlichen Marschrichtung bestätigt.

Microsofts Zukunft hängt untrennbar mit dem Erfolg von .NET zusammen, ein Scheitern können sich die Redmonder praktisch nicht mehr leisten. Umso interessanter ist die Frage, wie es um die Umsetzung der ehrgeizigen Pläne steht. Immerhin sieht die .NET-Agenda vor, die gesamte Architektur - von den Fundamenten der Betriebssysteme bis in die Protokolle der Business-Anwendungen hinein - auf .NET umzustellen.

Anfänglicher Marketing-Hype

Gates räumte einige Fehler und Misserfolge ein. So sei das Marketing seines Unternehmens klar über das Ziel hinausgeschossen, als bereits kurz nach der Verkündung der neuen Strategie die ersten Server-Produkte den Zusatz ".NET-fähig" angehängt bekamen, so etwa "Biztalk Server 2000" oder "Commerce Server 2000". "Wir haben mittlerweile Erweiterungen für diese Server-Produkte ausgeliefert, so dass sie vollständig die Web-Services-Standards XML und Soap unterstützen", so Gates weiter.

Als unbefriedigend bezeichnete Gates den Fortschritt bei den ".NET Building Block Services", womit er im Wesentlichen die .NET Myservices (Codename "Hailstorm") meinte (siehe Seite 21). Auch die Idee der "Software als Service" habe .NET entgegen der erklärten Absicht seiner Erfinder nicht ausreichend verbreiten können.

Erfolge könne das Unternehmen nach Ansicht des Firmengründers und obersten Softwarearchitekten jedoch in den Bereichen Entwicklungswerkzeuge und Infrastruktur verbuchen. Auch sei praktisch die gesamte Industrie auf den Web-Service-Zug aufgesprungen, den Microsoft mit in Gang gebracht habe.

Gates hat für die Phase zwei von .NET einige Produkte angekündigt. So steht ab sofort für Tester die seriennahe Version des nächsten Server-Betriebssystems Windows .NET Server unter der üblichen Bezeichnung "Release Candidate 1" (RC1) zur Verfügung. Nach dem Erscheinen des Entwickler-Tools "Visual Studio .NET" ist damit eine weitere Voraussetzung für die größere Verbreitung von Microsoft-Web-Services und .NET-Anwendungen erfüllt. Die für Anfang 2003 zu erwartenden .NET Server sind das erste System, das serienmäßig die Laufzeitumgebung CLR .NET-Programme mitbringt.

Als weiteres Schlüsselprodukt wollen die Redmonder in der ersten Jahreshälfte 2003 den Echtzeitkommunikations- und Collaboration-Server "Greenwich" herausbringen. Das Produkt, das von Diensten innerhalb des "Microsoft Messenger" unterstützt wird, soll verbesserte Möglichkeiten der Kommunikation und Zusammenarbeit von Anwendern und Teams bieten - so etwa die universelle Integration von Telefon, E-Mail und Datenübertragung ohne Medienbruch.

Gegen IBM und Linux

Auch über Feindbilder haben sich die Microsoft-Oberen vor den Journalisten und Analysten ausgelassen. Die größte Bedrohung für ihre Strategie seien IBM und Linux, war von den Senior Vice Presidents Eric Rudder und Paul Flessner zu hören. IBM führe einen Krieg gegen Microsoft im lukrativen Unternehmenskundenbereich, Linux sei ein Gegner im wichtigen Entwicklerumfeld. Die Bedeutung von Java spielt das Unternehmen hingegen immer wieder herunter. So sagte CEO Steve Ballmer, dass nicht Java, sondern XML die Basistechnik der Zukunft sein werde.

In der Auseinandersetzung mit dem Java-Lager ist Microsoft nach Einschätzung von Pierre Fricke, Vice President des Marktforschungsunternehmens D. H. Brown Associates, in einer guten Position. Bei Server-Anwendungen befänden sich die Redmonder mit .NET zwar in einem "Straßenkampf", allerdings sei es ihnen immerhin gelungen, dort eine Rolle zu spielen. Eine Überlegenheit von .NET sieht Fricke im Desktop-Bereich, wo Java in Sachen Bedienerfreundlichkeit und Funktionalität enttäusche.

Gegen den Branchentrend will Microsoft investieren. Im nächsten Jahr soll die 50500 Personen zählende Belegschaft um 5000 neue Mitarbeiter aufgestockt werden. Der Umsatz ist im letzten Jahr um zwölf Prozent gestiegen, die Barreserven betragen 38,7 Millionen Dollar. (wm)