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Gates: Die Auflagen könnten wir unmöglich erfüllen

23.04.2002
Ein gut aufgelegter Bill Gates warnte im Kartellprozess, der Vorschlag der klagenden Staaten werde "die Uhr der Windows-Entwicklung um zehn Jahr zurückdrehen und dort einfrieren".

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Firmengründer, Chairman und Chief Software Architect Bill Gates wagte sich gestern in Begleitung seiner Frau Melinda im seit vier Jahren andauernden Kartellverfahren gegen Microsoft erstmals persönlich in den Zeugenstand (sein misslungener erster Videoauftritt dürfte so manchem noch in Erinnerung sein). Angetan mit einem schlichten blauen Anzug und mit kurz geschnittenem Haar stellte sich Gates dem Kreuzverhör der Verteidigung, die sich nach Kräften bemühte, seine vorab eingereichte schriftliche Aussage zu entkräften. In dieser hatte Gates dargelegt, dass die von den im Verfahren verbliebenen neun Bundesstaaten geforderten Strafen sein Unternehmen allzu sehr beschränken würden.

Bill Gates fürchtet, der Vorschlag der klagenden Staaten werde "die Uhr der Windows-Entwicklung um etwa zehn Jahre zurückdrehen und effektiv auf diesem Stand einfrieren."
Bill Gates fürchtet, der Vorschlag der klagenden Staaten werde "die Uhr der Windows-Entwicklung um etwa zehn Jahre zurückdrehen und effektiv auf diesem Stand einfrieren."

Zuvor ging aber erst einmal ein Microsoft-Anwalt mit Gates eine Reihe von Kernpunkten seiner Aussage durch, die als Slides an die Wand projiziert wurden und beweisen sollten, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen die Verbraucher, die PC-Industrie und natürlich den Redmonder Konzern in erheblichem Ausmaß schädigen würden. Unter anderem legte Gates dar, dass ein abgespecktes Windows-Betriebssystem nicht korrekt funktionieren würde, weil wichtige Funktionen beispielsweise über den mitgelieferten Browser "Internet Explorer" bereit gestellt würden.

Außerdem würden die Strafen zwangsläufig zu einer Fragmentierung der Plattform führen. "Jeder, der 10.000 Kopien zur Lizenzierung anbietet, könnte an Windows beliebige Änderungen vornehmen", warnte der Chief Software Architect. Eine solche Fragmentierung würde den größten Wert des Betriebssystems - seine Fähigkeit, über einen weiten Bereich von Hard- und Software Kompatibilität zu liefern - zunichte machen.

Gates sprach sich im Weiteren dagegen aus, den Quellcode von Windows offen zu legen. Bereits heute stelle Microsoft Programmierschnittstellen (APIs) und Kommunikationsprotokolle bereit, sodass Entwickler ihre Produkte entsprechend integrieren und anpassen könnten. Es könne aber nicht angehen, dass Microsoft "das Rezept für Windows", sein geistiges Eigentum, aus der Hand geben und anderen Firmen zur Verfügung stellen müsse, darunter auch seinen Wettbewerbern im Betriebssystem-Markt. Der Strafvorschlag der Kläger würde "die Uhr der Windows-Entwicklung um etwa zehn Jahre zurückdrehen und effektiv auf diesem Stand einfrieren", erklärte Gates.

Das Kreuzverhör für die Klageseite übernahm Anwalt Steven Kuney (zur großen Verwunderung vieler Beobachter, die eher mit Chefankläger Brendan Sullivan gerechnet hatten). Dieser fokussierte sich bei seiner Befragung vor allem auf zwei Themen - das Zusammenspiel von Windows mit anderen Produkten und die Auswirkungen daraus auf die geforderte Offenlegung von Betriebssystem-Interna.

Der Anwalt fragte mehrmals nach, ob Microsoft jemals versucht habe, das Zusammenspiel von Windows mit anderen Produkten zu behindern. Gates erwiderte, er habe niemals irgendjemanden im Unternehmen angewiesen, APIs zurückzuhalten, die für die Interoperabilität von Windows mit Third-Party-Software vonnöten seien: "Dass wir Informationen mit Entwicklern teilen, ist Teil des Erfolgs von Windows."

In puncto Office wollte Kuney wissen, ob die Bürosuite APIs nutze, die anderen Anwendungen nicht zur Verfügung stünden, und ob Gates Office als Anwendung betrachte. "Das tue ich", erwiderte Gates. "Der Erlass der Staaten ordnet es einer anderen Kategorie zu - Middleware". Dieser Begriff sei so mehrdeutig, dass er selbst ihn außerhalb des Prozesses niemals gebrauche, so der Microsoft-Chairman. "Middleware ist hier sehr breit definiert und schließt explizit Office mit ein. Wir wären gezwungen, die internen Schnittstellen von Microsoft Office zu veröffentlichen." Damit müsste Microsoft wertvolles geistiges Eigentum herschenken. Gates räumte ein, dass Microsoft gelegentlich entdecke, das Office auf APIs zugreife, die anderen Anwendungen nicht zur Verfügung stünden. Solche Informationen würden aber sofort veröffentlicht, sobald man auf sie stoße.

Kuney fragte dann danach, was Gates mit seiner schriftlichen Aussage mit der These gemeint habe, die von den Staaten geforderte Öffnung des Quellcodes ermögliche ein weit reichendes "Cloning" von Windows. "Halten Sie Cloning für schlecht?", fragte der Klägeranwalt. "Es gibt ein Cloning, dass man ohne die Auflagen und legal machen kann, und es gibt ein Cloning, wenn der Vorschlag in Kraft träte", warnte Gates. Letzteres würde "Microsofts geistiges Eigentum stehlen und verschenken." Gates erklärte anschließend noch, was er unter "legalem Cloning" verstehe. Das gebe es dann, wenn man die gleiche Funktionalität wie die eines Konkurrenzprodukts erreiche, indem man dessen Technik lizenziere oder nachbaue, oder deren geistiges Eigentum zu verletzen.

Kuney befragte Gates ferner danach, ob Microsoft noch immer in den in zweiter Instanz festgestellten Punkten gegen das Kartellrecht verstoße. "Ich glaube nicht", erwiderte der Konzernlenker. "Falls das aus meiner Sicht der Fall wäre, würde ich es unterbinden." Kuney wollte dann wissen: "Sollte das Gericht Ihrer Meinung nach ein Urteil fällen, in dem steht 'Microsoft, mach einfach so weiter wie bisher?'" Gates, in dessen schriftlicher Aussage sich praktisch kein Hinweis auf das bereits festgestellte Monopolverhalten seines Unternehmens fand, zögerte mit der Antwort und erwiderte, das sei eine komplizierte Angelegenheit.

Alles in allem machte Gates in seiner Aussage nach Ansicht von Beobachtern eine gute Figur. "Sein Auftritt war gut, und das war wichtig für ihn", bescheinigt etwa Bob Lande, Kartelljurist an der Baltimore School of Law. "Das war nicht der Gates, den wir in der früheren Aussage gesehen haben." (tc)