Gastkommentar/Nils Klussmann Consultant Eutelis Consult GmbH, Ratingen

05.07.1996

Als die erste Software für Telefonie im Frühjahr 1995 auf den Markt kam, hob ein Rauschen im Blätterwald an. Nicht nur dort rauscht es bis heute: Die Sprachqualität im Internet ist zum Heulen - etwa wie beim Mittelwellenradio. Sprachübertragung mit weniger als 16 Kbit/s ist nicht neu, Sprache über paketvermittelte Netze ist nicht neu, Telefonieren mit PC-Unterstützung auch nicht. Worin also liegt der große Wurf? Aha, billig ist das Verfahren. Für internationale Gespräche zumindest. Und es funktioniert. Irgendwie.

Wenn schon Telefonie, warum dann nicht auch andere Echtzeitdienste? Könnte man so nicht die teuren Carrier aushebeln? Das Internet ist nur leider nicht für Echtzeitfunktionen entwickelt worden. Paketvermittlungstechnik eignet sich grundsätzlich nur für zeitunkritische Anwendungen. Alle Versuche mit Prioritätsklassen und ähnlichen Tricks funktionieren nur dann, wenn es nur wenig hochprioren Verkehr im Netz gibt.

Der Zeitgeist sagt anderes: Das Internet sei das kommende Medium für Dienste wie Video und Audio on demand etc. Die kommende Version 6 des Internet Protocol (IP) oder das Real Time Protocol (RTP) würden es schon richten. Die alternative Infrastruktur werde freigegeben, und dann seien, zumindest in Deutschland, die nötigen Backbone-Kapazitäten auch da. Keiner weiß, ob und wann das der Fall sein wird. Außerdem: Wer soll das bezahlen? Wird IP 6 wirklich alle Probleme lösen, und wenn ja: Wird das auch für die anderen Protokolle gelten, die gegen die Mängel der Paketvermittlungstechnik helfen sollen? Es kursiert auch das Zauberwort Streaming, aber keiner weiß so recht, was das ist, geschweige denn, ob es schon irgendwo läuft. Alles in allem: Internet als Medium für Echtzeitdienste wird gewaltig überschätzt. Es ist schön, daß es eine Vision gibt, doch noch schöner ist, zu wissen, was wirklich machbar ist. Internet-Telefonie wird für die Carrier so gefährlich sein wie Tipp-Kick für die Fußball-Bundesliga.