Gastkommentar

06.09.1996

Wissen ist nicht nur Macht, sondern auch Kapital. Dies will die Bundesregierung nutzen, wie Bundesminister Rüttgers einmal mehr ankündigte. Wo aber bleiben neue Ideen, und werden wirkliche Probleme angepackt? Die Finanzausstattung des Programms bleibt mager: Die bisherigen 1,5 Milliarden Mark für das auslaufende Programm Fachinformation werden nur um 100 Millionen Mark pro Jahr auf 1,9 Milliarden Mark bis 1999 aufgestockt. Das meiste davon fließt in Um- und Neubau der Frankfurter Zentralbibliothek und der Staatsbibliothek Kulturbesitz Berlin.

Wissenschaft wie Unternehmen nutzen schon elektronische Publikationsverfahren. Im Internet veröffentlichen sie ihre Ergebnisse - ohne die Verlage. Wissensproduzenten mischen die Karten für Verlage, Bibliotheken und Archive neu. Das Problem ist zudem, daß elektronische Publikationen heute kostenlos sind. Rüttgers will die Verlage nun durch die Aussicht auf kostenpflichtige Anbebote zu elektronischem Publizieren animieren. Die bisherigen Vorreiter werden die neue Geldquelle begrüßen. Doch in wichtigen Punkten kneift er: Abrechnungssysteme. Die solle "der Softwaremarkt" stellen. Auch die Copyright-Probleme sind ungelöst.

Die Wissenschaftler allerdings wollen kostenfreien Zugang. Sie produzieren die Informationen und wollen sie auch umfassend nutzen. Ihnen und den wissenschaftlichen Bibliotheken ist nicht damit geholfen, wenn sie keine Bücher und Zeitschriften mehr bestellen können und jedesmal für den Abruf einzelner Artikel im künftig elektronischen Bibliothekssystem bezahlen müssen. Vernetzte Bibliotheken sind Unsinn, wenn ihnen vorher die wissenschaftliche Substanz zusammengestrichen wurde. Den Widerspruch zwischen Wissenschaft und Markt löst Rüttgers nicht auf - er verstärkt ihn. Wer sich in die Wissensgesellschaft aufmacht, muß sich schon etwas mehr einfallen lassen.