Gastkommentar

13.06.1997

Bei Ihnen dürfen Entwickler von objektorientierter Software graue Haare haben?" So lautete kürzlich erst die erstaunte Frage eines Kunden. Für viele Unternehmen scheint es zu einer Art Naturgesetz geworden zu sein, daß die Einführung neuer Technologien das Vorhandene zum alten Eisen stempelt. Mit den überkommenen Anwendungen will man möglichst auch gleich deren Entwickler loswerden. Hochschulabgänger und andere junge Informatiker haben sicher oft das neueste Softwarewissen parat, sie sind engagiert und unverbraucht. Doch macht die Beherrschung von Programmiersprachen und Entwicklungstechniken allein den fähigen Entwickler aus? Für eine sachgerechte Lösung sind Anwendungskenntnisse und Erfahrung häufig wichtiger.

Wenn der Know-how-Transfer funktioniert, können heterogene Teams besonders erfolgreich arbeiten: Die jungen Mitarbeiter profitieren dann von der Berufserfahrung der älteren und diese wiederum von dem Wissen der Nachwuchskräfte. Diese Mischung ist wichtig. Das gilt natürlich auch für Anwendungssysteme einer- und die objektorientierte Entwicklung andererseits. Es ist geradezu paradox, wenn man, um bewährte Systeme ausmustern zu können, ausgerechnet mit der durch Objektorientierung zu erreichenden besseren Wiederverwendbarkeit argumentiert.

Objektorientierung, Client-Server, GUI, Inter- und Intranet etc. sind nur Mittel zum Zweck. Einige der enttäuschenden Erfahrungen mit Client-Server-Projekten sind letztendlich darauf zurückzuführen, daß Technik mit Lösung verwechselt wurde. Aktuelle Paradigmen und Techniken sind notwendig, aber man braucht eine funktionsfähige Basis, um Freiräume für die Entwicklung moderner Systeme zu schaffen. Altsysteme muß man nicht ausmustern, sondern kann sie durch Wrapping-Techniken weiterverwenden. Dann bilden sie ein sinnvolles Fundament für das Neue.