Cient-Server-Aera schon am Ende?

Gartner Group:Die Zukunft gehoert allein dem Internet

05.04.1996

Noch dienen Internet und World Wide Web (WWW) vorrangig zur simplen Publikation von Informationen sowie zu E-Mail-Zwecken. Binnen der naechsten drei Jahre wird sich dies nach Ansicht von Analysten der Gartner Group dramatisch aendern. Um an dieser Entwicklung zu verdienen, haben die Marktforscher den "Internet Strategies Service" (Inet) ins Leben gerufen. Gartner will den Kunden zeigen, wie das weltumspannende Netz fuer geschaeftliche Zwecke sinnvoll zu nutzen ist.

Das Internet werde sich mittelfristig als einheitliche Plattform fuer diverse Formen der Datenkommunikation etablieren. Es werde zum Fundament fuer den Datentransport innerhalb von Unternehmen und zwischen ihnen, heisst es in einer Research Note. Bis 1998, so prophezeien die Marktauguren, sind die meisten Hindernisse fuer die kommerzielle Entwicklung des Internets ueberwunden. Bereits dann sei der notwendige Durchbruch in puncto Bandbreite, Reife der Entwicklungs-Tools, Zugang zu den Providern oder auch Intranet- Nutzung erreicht.

Die Schluesselkriterien fuer einen Erfolg des Internet sind laut Gartner die Performance, von der jeglicher Nutzen abhaenge, und die Verfuegbarkeit (einschliesslich Sicherheit). Da nahezu taeglich neue Produkte auf den Markt kaemen, sei das dritte Kriterium, die Machbarkeit, schon sehr bald erfuellt. Die erforderliche Leistung und Verfuegbarkeit werde in naher Zukunft zu erzielen sein.

Bereits Ende 1998, so die Analysten, ist das Internet als Plattform fuer die meisten Anwendungen geeignet. Die Performance am Arbeitsplatz werde wahrscheinlich aehnlich gut sein wie beim Zugriff auf das lokale Netz oder die systemeigene Festplatte, der Anwendernutzen vermutlich sogar groesser. Das wesentliche Hindernis auf dem Weg in die vernetzte Welt sei letztlich nur die skeptische Haltung der Menschen, da ein Wechsel zu einem neuen Paradigma der Datenverarbeitung unvermeidlich sei.

Wie sich schon am Wandel von der monolithischen IBM-Mainframe-DV zum Client-Server-Computing gezeigt habe, vollziehe sich ein solcher Paradigmenwechsel nur langsam. Als problematisch haetten sich dabei die GUI-Entwicklung, Softwaretests, das Change Management sowie das Beherrschen der Verteilungslogik erwiesen. Mit entsprechenden Werkzeugen (GUI-Builder) und neuen Geschaeftsmodell-Ansaetzen wurden die Probleme geloest; spaetestens 1997 wird sich laut Gartner das Drei-Schichten-Modell der Client- Server-Entwicklung endgueltig durchgesetzt haben.

Der Uebergang in das letzte Stadium der Client-Server-Verarbeitung findet parallel zum Uebergang in die Internet-Aera statt. So entstehen nicht nur neue Loesungen fuer Entwickler von Multimedia- Inhalten. Auch wird es moeglich, Geschaeftsregeln und Datenbank- Transaktionen in das Netz zu verlagern. Laut Gartner kommen in den naechsten Jahren einfach zu benutzende Web-Builder und visuelle Tools zur Erstellung virtueller Anwendungen auf den Markt, die auf der Spezifikation "Network Distributed Function" (NDF) basieren.

Auch fuer Internet-Serverumgebungen werden neue Entwicklungs- und Management-Tools herausgebracht, die nicht mehr das relativ umstaendliche und langsame Common Gateway Interface (CGI), sondern neue Programmierschnittstellen nutzen. Angeblich wird es auch gelingen, sehr sichere Transaktionsumgebungen fuer die Internet- Welt zu erstellen. Die Programmiersprache Java ist laut Gartner Group fuer die Internet-Welt das, was die 4GLs fuer die Client- Server-Aera und Cobol fuer die monolithischen Architekturen waren.

Dass die Internet-Euphorie zu einer Rueckkehr zentraler IT- Strukturen nach Mainframe-Vorbild fuehrt, haelt Gartner fuer eine unhaltbare These. In Wirklichkeit werde das WWW zur Folge haben, dass mehr als je zuvor Ressourcen ge- und verteilt wuerden. Unsinnig sei auch die Erwartung, billige Web-Terminals koennten jemals den PC ersetzen. Anwender wollten auf die muehsam erkaempfte Eigenstaendigkeit und Unabhaengigkeit am Arbeitsplatz nicht verzichten. Zwar stimme es, dass die Netzabhaengigkeit der Anwender groesser werde, doch auf ihren intelligenten Desktop wuerden die meisten Nutzer deshalb nicht verzichten.

<H4>Thesen der Gartner Group zum Internet</H4>

1.Bis Ende 1997 werden sich Web-Technologien so stark ausbreiten und so kostenguenstig werden, dass ihr Einsatz fuer Endanwender unvermeidlich ist. Um das Netz fuer Geschaeftzwecke zu nutzen, sollte der Netzverkehr sorgfaeltig modelliert werden. Jedes Tool, das sich in diesem Zusammenhang fuer TCP/IP verwenden lasse, koenne auch HTTP ueber TCP/IP - und damit Web-Interaktionen - modellieren. So lassen sich erwartete Antwortzeiten und die noetige Bandbreite abschaetzen.

Ferner empfiehlt Gartner, Web-Netze so zu gestalten, dass sich die Uebertragungskosten in Grenzen halten. Das bedeutet: Fuer den Zugriff auf das globale Netz sind Firewalls und Gateways dort zu plazieren, wo grosse Anwendermengen zugreifen. Werden interne Netze aufgebaut, sollten die Web-Server ebenfalls dort positioniert werden, wo sich die meisten Anwender einklinken.

2.Ungeachtet des aggressiven Markteintritts von Microsoft wird laut Gartner Group weiterhin Netscape den Markt fuer Business- Browser dominieren. Von den anderen Wettbewerbern seien in erster Linie komplementaere Loesungen zum "Navigator" zu erwarten. Der Browser "Hot Java" von Sun Microsystems habe weder den Anspruch noch das Zeug dazu, um Netscapes Sonderstellung in diesem Markt zu gefaehrden.

3.Die Hypertext Markup Language (HTML) wird der Standard fuer die Lieferung von Web-Inhalten bleiben, aber um einige Features erweitert werden.

4.Bis 1997 wird sich der Markt fuer Web-Authoring-Tools lichten. Ein paar dominierende Player bleiben uebrig, die mit spezifischen Funktionen und proprietaeren Schnittstellen Kunden an sich binden - hier ist vor allem Microsoft zu nennen. "Autoren" empfiehlt Gartner deshalb, zur Produktion von Web-Seiten den De-facto- Standard HTML, Version 2.x, zu verwenden und sich eng an dessen Spezifikationen zu halten, um nicht in eine proprietaere Nische abzugleiten.

5.Fuer die Einrichtung unternehmensweiter Intranets verspricht Microsofts Bundling des Internet Information Server mit Windows NT eine attraktive Loesung zu werden. Damit koennen Anwender auf relativ einfache Weise Web-Server in unternehmensweiten Intranets einrichten und verwalten.

6.Optimale Skalierbarkeit - noch ein Manko bei Windows NT - ist dagegen von Unix-basierten Web-Servern zu erwarten.

7.In den kommenden zwei Jahren ist nicht damit zu rechnen, dass Browser Betriebssysteme ersetzen werden.

8.Eine extreme Konsolidierung am Markt fuer Internet-Produkte wird dazu fuehren, dass bis 1998 rund drei Viertel aller Unternehmen ihren Service-Provider mindestens einmal gewechselt haben. Das groesste Stehvermoe- gen duerften die Service-Anbieter besitzen, die schon heute mit anderen Netzdienstleistungen erfolgreich sind. Laut Gartner schrumpft die Menge der Internet-Service-Anbieter von gegenwaertig ueber 3000 auf weniger als 500.

9.Die Programmiersprache Java von Sun Microsystems wird als Web- Sprache weiterhin eine Ausnahmestellung einnehmen, da der Bedarf an Web-Seiten mit ausfuehrbaren Inhalten (interaktive Anwendungen) staendig waechst. Der Mangel an Alternativen, die Popularitaet von Java und die enge Verbindung mit Netscape werden die dominierende Position der Web-Sprache noch verstaerken.

Zweifel hegt die Gartner Group indessen daran, dass sich Java als General-Purpose-Sprache fuer die Entwicklung verteilter Anwendungen durchsetzen wird. Der Markt gebe noch nicht die notwendigen Entwicklungsumgebungen her. Sun muesse mit einer Reihe von Partnern kooperieren, da man selbst nicht ueber die erforderlichen Skills verfuege.