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Gartner: Europas E-Commerce macht mobil

03.11.1999
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Gartner Group veranstaltet in diesen Tagen im französischen Cannes ihre europäische Analystenkonferenz "ITxpo". Gestern beschäftigten sich die Experten unter anderem mit den Auswirkungen des Handy-Booms auf den europäischen E-Commerce.

Aus Sicht der Gartner Group entwickelt sich der elektronische Handel in Europa grundlegend anders als in den Vereinigten Staaten. Während der Business-to-Consumer-Markt in den USA vornehmlich auf PCs und TV-Set-top-Boxen fokussiert sei, spielten im Rest der Welt Mobiltelefone eine zentrale Rolle. Dies gelte insbesondere für Europa, wo Handies vier mal häufiger anzutreffen sind als Internet-Zugänge. In diesem Bereich werde der alte Kontinent das "Mutterland des E-Commerce" sogar hinter sich lassen, meint Gartner.

Die Auguren erwarten, daß bis zum Jahr 2004 im Schnitt 60 Prozent aller Europäer ein Mobiltelefon nutzen werden. Die große Nutzerzahl werde im Laufe der kommenden drei Jahre in Verbindung mit neuen Techniken wie Bluetooth, WAP (Wireless Application Protocol) und gängigen Mobil-Betriebssystemen dem elektronischen Handel völlig neue Möglichkeiten eröffnen, und zwar sowohl via Web als auch mit direkten Business-to-Consumer-Modellen.

Binnen fünf Jahren sollen laut Gartner 40 Prozent aller elektronischen Geschäfte außerhalb der USA über mobile Endgeräte abgewickelt werden. Analyst Peter Richardson erklärte: "Europa steht vor einem entscheidenden Wandel in der Art und Weise, in der Verbraucher den E-Commerce sehen und auf ihre E-Mails und andere Informationen zugreifen."

Trendsetter WAP und Bluetooth

Dabei werde das Wireless Application Protocol mit Microbrowsern und speziell für kleine Displays aufbereiteten Inhalten als "mobile Eintrittskarte" zum Internet dienen. Laut aktuellen Erhebungen von Gartner sollen im Jahr 2004 rund 95 Prozent aller neu verkauften Handies den neuen Anwendungsstandard unterstützen.

Research Director Nigel Deighton verwies darüber hinaus auf die wichtige Rolle, die der drahtlosen Übertragungstechnik Bluetooth zukommt. "Diese Technik stellt eine neue Dimension für den E-Commerce dar und wird die Nutzung von Mobilgeräten radikal verändern. Hier tun sich endlose Möglichkeiten auf - von Verkaufs- und Fahrkartenautomaten über Point-of-Sales-Terminals bis hin zu Parkuhren", erklärte der Analyst. In fünf Jahren sollen bereits drei Viertel aller Endgeräte Bluetooth-fähig sein. Die drahtlose Übertragung werde nicht einfach Kabel ersetzen, sondern dem europäischen E-Commerce völlig neue Möglichkeiten bescheren.

Den große Erfolg der Mobiltelefonie in Europa führt Gartner auf drei Kernfaktoren zurück: Ubiquity, Utility and Usability (zu deutsch: Allgegenwart, Nutzen und Verwendbarkeit) - weder PC noch Fernsehgerät erfüllten diese Kriterien. Deswegen erwarten die Analysten auch, daß bereits in vier Jahren mehr portable Internet-Geräte verkauft werden als PCs.

XML - ein Muß im E-Business

Neben dem Einsatz mobiler Endgeräte kommt aus Sicht der Marktforscher auch der Extensible Markup Language (XML) eine zentrale Rolle zu. Die Begeisterung für die neue Auszeichnungssprache befinde sich derzeit auf dem Höhepunkt, für das kommende Jahr erwarten die Experten zunächst einige kleine Dämpfer.

Zumindest sollen bis Mitte 2001 wichtige Standards und Spezifikationen verabschiedet sein, wie Unternehmen untereinander Daten austauschen können. Ein wichtiger Schritt dazu sei die XML-Schema-Spezifikation, die das World Wide Web Consortium (W3C) für die erste Hälfte kommenden Jahres vorgesehen hat. Damit werde XML ein gutes Stück "selbsterklärender". Bis allerdings entsprechende Modellierungs-Tools verfügbar sind, dürfte laut Gartner mindestens noch ein weiteres halbes Jahr verstreichen.

Research Director Yefim Natis erklärte auf der ITxpo, daß "XML für Daten-Portabilität das ist, was Java für die Portabilität von Anwendungen bedeutet". Im Gegensatz zu bisherigen Ansätzen sei XML deutlich zugänglicher und ausbaufähiger, weil sich damit relativ einfach portable Abbildungen von Geschäftsdaten erzeugen ließen, ähnlich wie sich Geschäftsprozesse mit Hilfe von Java portabel abbilden ließen.

Allerdings, so Natis, mache XML nicht die übrige Application Integration überflüssig. Damit eine entfernte Anwendung XML-Daten eines anderen Systems verstehen und darauf reagieren könne, müßten Unternehmen weiterhin auch andere Techniken wie Adapter, regelbasierte Datenverarbeitung (rule based processing), Message-Kommunikation und -Routing sowie Workflow einsetzen.

Dennoch werde Ende kommenden Jahres XML in gängigen IT-Projekten mindestens eine so große Rolle spielen wie Java heute. Natis´ Fazit: "XML ist keine Modeerscheinung - XML bleibt."